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BGH hält nichts von Tariftreue

Land Berlin darf Auftragsvergabe nicht an Lohnvorgabe binden. Bundesgerichtshof legt den Streit dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vor ■ Von Christian Rath

Karlsruhe (taz) – Das Land Berlin darf bei der Vergabe öffentlicher Aufträge nicht die Bezahlung von Tariflöhnen verlangen. Auch das neue Vergabegesetz hat dem Land nicht geholfen. Denn der Bundesgerichtshof (BGH) hält das im Sommer verabschiedete Gesetz für verfassungswidrig. Er hat den Rechtsstreit zwischen dem Bundeskartellamt und dem Land Berlin ausgesetzt und das Verfahren dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt.

Seit 1995 verlangt das Land Berlin von seinen Auftragsnehmern im Bauwesen, dass sie sich verpflichten, Berliner Tariflöhne zu bezahlen. Der tarifliche Ecklohn eines Facharbeiters lag im Jahr 1998 bei 25,26 Mark, während die Mindestlöhne für nicht tarifgebundene Baufirmen bei 16 Mark (West) und 15,14 Mark (Ost) betrugen. In dieser Beeinträchtigung der tariflosen Baufirmen sah das Bundeskartellamt einen Verstoß gegen das Kartellrecht. Zumindest im Bereich des öffentlichen Straßenbaus nutze das Land seine marktbeherrschende Stellung aus, um vergabefremde Anliegen durchzusetzen. Gegen die Untersagungsverfügung des Kartellamtes klagte das Land vor dem Kammergericht und unterlag.

Ende letzten Jahres veränderten sich jedoch die Rahmenbedingungen, weil nun der Bund ein Gesetz erließ, das vergabefremde Anforderungen erlaubt, wenn sie in einem Bundes- oder Landesgesetz vorgesehen sind. Sofort erließ das Land Berlin ein solches Gesetz, konnte damit aber das Kartellamt nicht zufriedenstellen. Dieses hielt das Berliner Gesetz für verfassungs- und europarechtswidrig.

Im Wesentlichen ist der Bundesgerichtshof nun dem Kartellamt gefolgt. Auch das oberste deutsche Zivilgericht hält das Berliner Gesetz für unzulässig und legte den Fall dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vor. Zum einen würde das Grundrecht der tariflosen Baufirmen verletzt, nicht in einen Arbeitgeberverband hineingezwungen zu werden. Zum anderen wird die Gesetzgebungskompetenz des Landes bestritten. Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darf Berlin keine Tariftreueerklärungen mehr verlangen. Den Antrag auf „Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung“ lehnte der BGH ab. Az. KVR 23/98

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