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Mordmotiv: „Assis klatschen“

Ende Mai töteten vier rechte Jugendliche einen Sozialhilfeempfänger in seiner Wohnung in Pankow. Doch die Staatsanwaltschaft hielt Erkenntnisse über den rechtsradikalen Hintergrund der Tat zurück

von BARBARA BOLLWAHNDE PAEZ CASANOVA

Er war arbeitslos, lebte von Sozialhilfe und war Alkoholiker. Das schien den Tätern Grund genug gewesen zu sein, den 60-jährigen Dieter E. umzubringen. Wie erst gestern bekannt wurde, ist der Mann, der am 25. Mai erstochen in der Wohnung seiner Lebensgefährtin in Pankow aufgefunden wurde, von rechten Jugendlichen getötet worden.

Bei den Tätern handelt es sich nach Angaben des Sprechers der Staatsanwaltschaft, Sascha Daue, um rechte Jugendliche zwischen 17 und 21 Jahren. „Sie fühlen sich dem rechten Spektrum zugehörig und haben Kameradschaftstreffen veranstaltet.“ Die vier Jugendlichen hielten sich, so der Justizsprecher, in der Tatnacht in der Wohnung von einem der Täter, dem 18-jährigen René R., auf, der im gleichen Haus wie das Opfer wohnt. R.s Vater ist Bundesgrenzschutzbeamter. „Sie haben rechte Sprüche geklopft und gesoffen und sind dann auf die Idee gekommen, ihn zusammenzuschlagen“, so Daue weiter.

Weil die Wohnungstür von Dieter E. wegen eines fehlenden Schlosses schon seit längerer Zeit ungesichert war, konnten sich die Jugendlichen problemlos Zutritt verschaffen. Nach Angaben von Sascha Daue haben sie den Sechzigjährigen, der sich nach dem Tod seiner Lebensgefährtin ohne polizeiliche Meldung in deren Wohnung aufhielt, „mit Händen und Füßen fürchterlich zusammengeschlagen“. Dann verließen sie die Wohnung – um zurückzukommen. Dabei rammte René R. dem Opfer ein Messer ins Herz. Zur Motivation der Täter sagte Daue: „Assis klatschen.“

Nach Angaben des Justizsprechers alarmierten in der Tatnacht Bewohner des Hauses in der Walter-Friedrich-Straße die Polizei wegen lauter Musik und „Heil Hitler“-Rufen. Doch in der Pressemitteilung der Polizei war am nächsten Tag nur von Raubmord die Rede. Wegen Diebstahls läuft ein gesondertes Verfahren. Und die Staatsanwaltschaft hat – obwohl die Jugendlichen zwei Tage später festgenommen wurden und sie aus ihrer Gesinnung keinen Hehl machten – ihre Erkenntnisse über den rechten Hintergrund für sich behalten. Erst nachdem gestern die B.Z. darüber berichtete, bestätigte Justizsprecher Daue diesen Sachverhalt. „Die Staatsanwaltschaft ist nicht so schnell dabei mit Presseerklärungen. Ich bitte um Verständnis“, sagte er.

Die Zahl der von Rechten getöteten Sozialhilfeempfänger steigt damit in diesem Jahr auf drei. In Mecklenburg-Vorpommern wurden im Juli zwei Obdachlose Opfer von rechten Schlägern: Anfang Juli erschlugen fünf Neonazis einen gehbehinderten Obdachlosen (52) in Wismar, zwei Wochen später töteten vier rechte Jugendliche einen Obdachlosen (51) in Ahlbeck mit Schlägen und Fußtritten.

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