: chronik
Zehn Minuten in Wien
21. Dezember 1975: Ein sechsköpfiges deutsch-palästinensisches Terrorkommando unter Leitung von Illich Ramirez Sanchez alias Carlos überfällt das Gebäude der Opec-Konferenz in Wien, erschießt drei Menschen und nimmt 33 Geiseln. Mittäter Hans-Joachim Klein wird schwer verletzt – zehn Minuten, die sein Leben zerstören, wie er später sagt. Die Attentäter und ihre Gefangenen werden nach Algier ausgeflogen.
Anfang 1976: Klein reist in den Jemen in ein Militärcamp der palästinensischen Befreiungsbewegung PFLP. Dort werden deutsche Terroristen zu Kämpfern ausgebildet. Er wird als Held gefeiert, fühlt sich aber einsam und versucht Kontakt zu deutschen Freunden aufzunehmen. Die Teilnahme an weiteren Anschlägen verweigert er, schiebt gesundheitliche Gründe vor. Er setzt seine Rückkehr nach Europa durch.
Frühjahr 1977: Klein wird von den Revolutionären Zellen (RZ) in einem Haus im italienischen Aostatal versteckt. Er plant seit längerem seinen Ausstieg aus dem Terrorismus und fürchtet deshalb, umgebracht zu werden. Siebzehn Monate nach dem Attentat flüchtet er vor seinen ehemaligen Genossen, schickt seinen Revolver an die Spiegel-Redaktion in Rom und beschuldigt die RZ in einem Brief, Attentate auf die Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinden in Deutschland, Galinski und Lipinski, geplant zu haben.
1977/78: Klein bekommt Unterstützung durch ehemalige Frankfurter Freunde, die ihm helfen, unterzutauchen. Er reist zuerst nach England, dann nach Frankreich. Französische Intellektuelle verstecken ihn, reichen ihn aber gleichzeitig als Partyattraktion herum.
1979: Kleins Buch „Rückkehr in die Menschlichkeit“ erscheint. In flapsigem, rüdem Ton berichtet er über das Attentat, seine Zeit in der Guerilla, betont aber gleichzeitig, er selbst habe niemanden erschossen, und ruft zur Abkehr vom Terrorismus auf. Klein heiratet in Frankreich eine Lehrerin, zwei Kinder werden geboren, die Ehe zerbricht an der Belastung durch Kleins Illegalität. Klein ist krank und versucht zweimal, sich das Leben zu nehmen.
1998: Kleins Freunde raten ihm, sich zu stellen. Sie haben Kontakt zum Aussteigerprogramm der Bundesrepublik hergestellt. Er trifft sich zweimal mit dem dafür zuständigen Verfassungsschützer Benz. Klein bittet darum, einen letzten Sommer mit seinen Kindern verbringen zu dürfen. Kurz danach wird er in einem Dorf in der Normandie verhaftet und 1999 ausgeliefert. Klein hofft auf die Kronzeugenregelung und beschuldigt den 57-jährigen Rudolf Schindler der Mittäterschaft. Schindler habe ihn als Verräter umbringen wollen. Schindler wird ebenfalls verhaftet.
Oktober 2000: Der Prozess gegen Klein und Schindler vor dem Frankfurter Landgericht beginnt eher unspektakulär. Öffentliches Interesse gewinnt er erst durch die Vorladung von Bundesaußenminister Joschka Fischer, der Klein aus beider gemeinsamer Zeit als Häuserkämpfer in Frankfurt am Main kennt. Die Staatsanwaltschaft greift Fischer an und wirft ihm vor, die Terroristin Margrit Schiller in seiner Wohnung beherbergt zu haben. Fischer bestreitet das und wird deshalb wegen uneidlicher Falschaussage angezeigt.
Februar 2001: Das Gericht kündigt das Urteil gegen Klein nach überraschend kurzer Verhandlungsdauer für den 15. Februar an. Vierzehn Jahre Haft hatte die Staatsanwaltschaft gefordert, höchstens acht Jahre die Verteidigung. Für Schindler werden fünf Jahre Freiheitsstrafe beantragt. Dessen Verteidigung verlangt Freispruch und Haftentlassung. HP
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