: Keine Komplizinnen
Im Afghanistankonflikt sind Frauen und ihre Rechte Verhandlungsmasse. Damit der Krieg plausibel erscheint, werden feministische Standpunkte ausgeblendet, auch an der Heimatfront
von ARIANE BRENSSELLund WALTRAUD SCHWAB
Der Zusammenhang zwischen Krieg und Geschlechterverhältnissen ist komplex. Ihn auf einen Slogan wie „Der Krieg ist männlich“ zu reduzieren, verkennt, welche Chance in einer Betrachtung der gegenwärtigen politischen Situation unter Einbeziehung der Geschlechterverhältnisse liegt. Damit nämlich eröffnet sich ein kritischer Blick auf den vorherrschenden Argumentationskontext, in dem Krieg als einzige Lösung erscheint. Es geht jedoch um Alternativen.
Die politische Reaktion einiger westlicher Länder auf die Terroranschläge in den USA ist Krieg. Frauen, die sich danach kritisch zu Wort gemeldet haben, darunter Susan Sontag, Arundhati Roy oder Saskia Sassen, sind hingegen dafür eingetreten, die Ereignisse nicht auf Fragen von Terror und Terrorbekämpfung zu reduzieren. Stattdessen fordern sie, dass der 11. September im Zusammenhang gesehen werden muss mit der Politik der Wirtschaftsnationen und dem Blutzoll, den diese in den meisten Ländern der Erde fordert.
Damit aber wurden die Anschläge auf das Welthandelszentrum und das Pentagon und die am 7. Oktober begonnene militärische Vergeltung in Afghanistan von den Kritikerinnen jenseits des Kontextes analysiert, in den sie von den Regierungen der Industrieländer, vornehmlich der der USA, gestellt wurden. Wer aber den Kontext durchbricht, durchbricht auch den Konsens. Genau an diesem Punkt beginnt für Kriegsdemagogen die kritische Zone. Niemand soll daran zweifeln, dass Krieg Probleme lösen kann. Was dies für eine Gesellschaft heißt, hat Susan Sontag in einem Beitrag vom 15. September auf visionäre Weise pointiert, als sie schrieb: „Lasst nicht zu, dass wir uns gemeinsam der Dummheit ergeben.“
Die USA haben die Attentate auf das Welthandelszentrum und das Pentagon zur Kriegserklärung erklärt. Neben der Definitionsmacht in Bezug auf die Fragen, wann Krieg ist, gegen wen Krieg geführt wird, wann ein Krieg ein Erfolg ist und wann er beendet ist, haben die USA aber ebenso die Legitimationsmacht in Bezug auf die Frage, warum Krieg ist, für sich in Anspruch genommen. Ein leicht nachvollziehbares Szenario, in dem die Definition von der guten Seite die schlechte impliziert, wird dazu herangezogen, wie die Literaturwissenschaftlerin Marianne Schuller und ihr Kollege Volker Kaiser zeigen. Bezogen auf die Terrorakte am 11. September schreiben sie: „Als Angriff gegen die gesamte [westliche] Zivilisation gedeutet, stellt sich unweigerlich die Gegenfigur in Gestalt des Unzivilisierten ein. Als Folge dieser Deutung wird Amerika nicht nur zum Inbegriff der zivilisierten Welt, sondern es ist aufgefordert und legitimiert, den Kampf der Zivilisation gegen die Unzivilisation zu führen.“ Zivilisation versus Barbarei – dieser Dualismus macht Krieg als Lösung plausibel. Wem in diesem Szenario die gute, wem die schlechte Seite zugedacht ist, brachte der italienische Regierungschef Berlusconi auf den Punkt. Zum Entsetzen vieler Menschen nämlich verkündete er öffentlich die kulturelle Überlegenheit des Westens gegenüber dem Islam.
Ein Argument, das diesem Dualismus und der daraus ableitbaren militärischen Vergeltung breite Zustimmung nicht nur unter Kriegsbefürwortern, sondern auch unter Kriegsskeptikerinnen garantiert und das plötzlich ins Spiel gebracht wurde, ist der Umgang mit Frauen in Afghanistan. Die Situation der Afghaninnen, die zu Gefangenen im eigenen Land wurden, wollten Feministinnen bereits zur Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 berücksichtigt sehen. Von politischer Seite aber waren die Menschenrechtsverletzungen an Frauen durch die Nordallianz und später die Taliban für die westlichen Länder niemals ein Anlass zum politischen oder gar militärischen Eingreifen. Es irritiert, wenn heute aber von Politikern und Kommentatoren auf das Schicksal der Afghaninnen verwiesen wird, um dem Krieg eine menschenrechtliche Legitimation zu verleihen. Wird zudem berücksichtigt, dass nach Zahlen der UNO von 1990 mittlerweile etwa neunzig Prozent der Opfer jedes Krieges Zivilisten, meist Frauen, Kinder und alte Leute, sind, wird dieses Argument erst recht zur Farce.
Es ist den Politikern in den USA daran gelegen zu behaupten, dass ihre Kriege saubere Kriege sind und dass in ihrem Krieg nahezu keine Zivilisten ums Leben kommen. Sind Flüchtlinge, die wie in Afghanistan tausendfach an Unterernährung, mangelnder Hygiene, Krankheit, Vertreibung, Verletzung durch Minen oder Unterkühlung sterben, keine Kriegsopfer, weil sie nicht direkt im Bombenhagel stehen? Die USA haben in Afghanistan die geächteten Streubomben abgeworfen. Unmittelbare Tote sind „Kollateralschäden“. Mittelbare Opfer, die bei Detonation der vielen Blindgänger erst nach den Kriegshandlungen getötet werden, sterben bei „Unfällen“. Es stellt sich daher die Frage, ob Krieg nicht da gedacht werden muss, wo er bisher übersehen wurde: im Alltag. Auch im Nachkriegsalltag.
Alltagspraxis und Lebenssicherung sind Bereiche, die bis heute weltweit geschlechtsspezifisch organisiert sind. Frauen sind nach wie vor für die Reproduktion, die Erziehung, vielfach ebenfalls für die Ernährung und Alltagssicherung der Kinder und Familien zuständig. „Sorgeökonomie“ lautet dafür der Fachbegriff der Vereinten Nationen. Eine Frauendomäne.
Das alltägliche Überleben zu organisieren hat für Frauen auch im Krieg oberste Priorität. Damit aber orientiert sich ihr Handeln bereits jenseits aller Kriegslogik. Statt Terror und Krieg rücken vom „Frauenstandpunkt“ aus Verteilung und Gerechtigkeit ins Blickfeld. Hier aber liegt ohnehin viel im Argen. Denn wenn Verteilung nicht nur geschlechtsneutral, sondern auch geschlechtsspezifisch untersucht wird, pointiert dies die ungerechte Weltordnung zusätzlich. Zwei Drittel der Armut der Welt trifft Frauen. Zwei Drittel der Frauen der Welt sind Analphabetinnen. Zwei Drittel der Arbeit der Welt wird von Frauen geleistet. Mit diesen Zusammenhängen im Blick werden andere Fragen an die Politik wichtig.
Feministische Militärsoziologinnen wie Ruth Seifert haben zudem den Zusammenhang zwischen militärischer Ideologie und der Abwertung von Frauen herausgearbeitet (siehe Seite 8). Dabei spielt die Produktion von geschlechtsspezifischen Stereotypen eine tragende Rolle. Emotionalität ist weiblich, Rationalität ist männlich. Gefühl verliert, Härte siegt. Nur so ist militärische Hierarchie möglich.
Die Schröder-Roth-Parabel macht dies deutlich. Wie Mary Robinson, die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, forderte die Parteichefin der Grünen, Claudia Roth, eine Feuerpause, damit die afghanische Bevölkerung humanitär versorgt werden kann. Von Schröder wurde sie daraufhin als „Heulsuse“ verunglimpft. Als keine Militärexpertin könne sie den Ernst der Lage nicht richtig beurteilen. Während Schröder von den Medien zum Staatsmann erkoren wurde, als er seine Betroffenheit beim Besuch von Ground Zero zeigte, wird sie verhöhnt, weil sie vom Flüchtlingselend angerührt ist. Roth bietet auf mehrfache Weise ein Beispiel dafür, dass unter Kriegsbedingungen Geschlechterbilder verstärkt werden.
Die Friedensforscherin Astrid Albrecht Heide geht in ihren Arbeiten zum Verhältnis von Militär und Geschlecht noch weiter. Sie zeigt, dass Militär als „direkter Ausdruck patriarchaler Gewaltverhältnisse“ gefasst werden muss. Damit verbunden ist eine „Ramboisierung des Alltags“, wie Maria Mies, eine der Pionierinnen der feministischen Bewegung, sagt. Die Situation in Afghanistan ist dafür ein Beispiel. Erst die Kriege der letzten zwei Jahrzehnte im Land – Stellvertreterkriege der Großmächte übrigens – bereiteten den Boden für die Durchsetzung einer rigiden Geschlechterordnung, die Frauen das Recht auf Bildung, Gesundheit und Selbstversorgung abspricht. Obwohl der „Krieg gegen Terror“ zumindest bewirkte, dass das Leid der Afghaninnen hier zu Lande in den Blick von Medien und Politik gerückt ist, wird nur blindes Vertrauen in die Kriegslogik in einem nun unverschleierten Gesicht einer Frau die Bestätigung dafür entdecken, dass Krieg die Frauen befreie.
Die geschlechtsspezifischen Dimensionen von Krieg sind damit jedoch noch nicht ausgeschöpft. Auch der Körper der Frau ist ein Gegenstand. Denn selbst wenn Vergewaltigung von Frauen im Krieg nun am Den Haager Strafgerichtshof als Verbrechen gewertet wird – was die Taliban und die Nordallianz, wie die UNO berichtet, wenig beeindruckt –, wird Sex zum Zwecke der Soldatenbefriedung auf mehrfache Weise auch in Afghanistan eine Rolle spielen. Vergewaltigung ist nur eine Facette, Prostitution eine andere.
Die jahrelange Präsenz westlicher Militärs in Indochina zeigt beispielhaft, wie in der Region Prostitution und Frauenhandel als lokale Ökonomien etabliert wurden. Die Erträge, die damit erzielt werden, sind beträchtlich, vergleichbar denen im Drogenhandel. Frauen ziehen daraus den geringsten Profit. Auch in Afghanistan wird sich ein solcher Markt herausbilden können. Krieg ist Geschäft. Eins davon ist das mit Frauen.
Wer die Geschlechterverhältnisse bezogen auf die Situation seit dem 11. September in seine Reflexion über den Krieg einbezieht, weist demnach auf Widersprüche in der Argumentation der Regierungen hin, die den Krieg als die Lösung gewählt haben. Diese aber sollen unaufgedeckt bleiben, da sie dem Image und Selbstbild der westlichen Länder schaden und ihren politischen Sendungsauftrag bloßstellen würden.
Ist damit zu erklären, warum Feministinnen der westlichen Länder, die sich kritisch zum Krieg und zur Politik der USA geäußert haben, gar mit Strafverfolgung rechnen müssen, wie die kanadische Professorin Sunera Thobani, oder lächerlich gemacht werden, wie beispielsweise die US-amerikanische Schriftstellerin Barbara Kingsolver? „Sämtliche Schimpfwörter, die im Lexikon stehen, wurden mir nachgeschrien“, sagt sie. „Verräterin, Sünderin, Blauäugige, Liberale, Peacenik, Jammerlappen.“ Aber: „Alternativen zum Krieg vorzuschlagen ist mitnichten naiv.“
Ist so auch zu verstehen, dass Abtreibungskliniken in den USA – wie im Boston Globe vom 17. Oktober zu lesen war – bereits seit 1998 mit Briefen attackiert werden, die angeblich Anthrax enthalten, ohne dass die Terrorbekämpfer und die Medien davon aufgeschreckt wurden? Die Briefe tragen die Handschrift christlicher Fundamentalisten. Erklärt dies auch, warum die Konferenz über die Zukunft in Afghanistan auf dem Petersberg bei Bonn allergrößte Aufmerksamkeit der Medien erhielt, wohingegen die zeitgleich stattfindende Frauenkonferenz zu Afghanistan in Brüssel den deutschen Medien lediglich eine Agenturmeldung wert war? „Ohne Frauen keine Zukunft in Afghanistan“, sagte Mary Robinson bei der Eröffnung. Ist so zu begreifen, warum Vertreterinnen der von Pakistan aus agierenden afghanischen Frauenorganisationen Rawa und Afghan Women Council – jahrelang die wichtigsten Akteurinnen im Widerstand gegen das Taliban-Regime – bei den Gesprächen um die neue Regierungsbildung in Afghanistan nur nach massivem Druck einbezogen wurden? Sie waren es, die in Afghanistan im Untergrund Schulen und Gesundheitsversorgung für Frauen und Mädchen organisiert haben, die Gewalt gegen Frauen dokumentiert und humanitäre Hilfsprogramme durchgeführt haben.
Welchen Einfluss Frauen generell in der zukünftigen politischen Entwicklung des Landes haben werden, wird kritisch zu beobachten sein, zumal bei den Gesprächen der Afghanistankonferenz auf dem Petersberg nicht bestimmt wurde, ob Scharia oder weltliches Recht die Grundlagen der Judikative sein wird.
In der afghanischen Regierung 1964, unter der Frauen in Afghanistan offiziell gleichgestellt waren, waren sie auch in hohen Positionen vertreten. Zwanzig Jahre Krieg haben diese Zeiten des Landes vergessen gemacht. Warum aber wird auch heute an der fundamentalistischen, misogynen Nordallianz und damit den zur Nordallianz übergelaufenen Taliban als Vertreter einer neuen Regierung festgehalten? Die Vermutung liegt nahe, dass diese Gruppen auch weiterhin als bessere Statthalter der Interessen der westlichen Welt und Pakistans gelten. Warum? „Um den internationalen Konsortien den Zugang zu den Bodenschätzen, darunter riesige, bisher kaum erschlossene Erdgas- und Erdölreserven, auf afghanischem Gebiet zu sichern“, meint die in Berlin lebende Soziologin und Exilafghanin Mariam Notten.
Sicher geht es nicht nur um Öl, denn dies lässt die Terroranschläge unberücksichtigt. Die Bekämpfung des Terrors aber ist ebenso wenig alleiniger Grund des Krieges. Dafür wären andere Maßnahmen sinnvoller. Um Terror und Krieg zu verstehen, muss die globale Weltordnung, in der der Zugang zu Ressourcen und Lebensmöglichkeiten ungleich verteilt ist, in den Mittelpunkt der Kritik rücken. Denn dies schüre den Hass, sagt auch die marokkanische Feministin und Schriftstellerin Fatema Mernissi. In einem Interview, das am 4. November in der ARD gesendet wurde, berichtet sie von einem Herrn Keller, Vertreter des transnationalen US-amerikanischen Erdölkonzerns Unocal, der in Afghanistan agierte. Mr. Keller sei wegen der Pipeline seiner Firma über den damaligen Sieg der Taliban 1996 sehr erfreut gewesen, erzählt sie, und bezogen auf die gegenwärtige Situation führt sie aus: „Der Angriff, die Gewalt gegen New York bedeuten Folgendes: Mr. Keller teilte den Planeten in zwei Hälften. In einen Teil des Planeten, in dem die Frauen geschützt waren, seine Tochter und seine Frau. Geschützt durch Gesetze. Und im anderen Teil des Planten unterstützte Mr. Keller Kriminelle, die Frauen angriffen und ihre Rechte zerstörten. Für ihn war diese Grenze etwas ganz Natürliches. Jetzt haben uns die Terroristen in einem Blutbad aufgezeigt, dass diese Barriere, die die Welt in zwei Zonen aufteilt – in eine, in der die Gewalt erlaubt, und in eine, in der sie verboten ist –, nicht haltbar ist. Das, glaube ich, ist die größte Lektion.“
Die indische Schriftstellerin Arundhati Roy argumentierte in ihrem Kommentar zum 11. September in ähnlicher Weise, als sie auf die Katastrophe in Bhopal verwies, ein so genanntes Unglück in einer amerikanischen Chemiefabrik in Indien, bei dem 16.000 Menschen starben, ohne dass das Konsequenzen für die verantwortlichen Amerikaner hatte. Der politische Aufschrei der westlichen Welt fehlte ebenso. Warum eigentlich? Weil die Normalität im Westen die Ausnahme ist, in vielen anderen Ländern aber ein Ausnahmezustand?
Die Frage von Außenminister Fischer im Bundestag, wie man den Terrorismus und die Taliban denn stoppen solle außer mit Krieg, mit der er suggerierte, dass es zum Krieg keine Alternative gäbe, lässt sich also doch beantworten. Und zwar so: Durch Offenlegen der geopolitischen, strategischen und ökonomischen Interessen, durch Dialog, durch eine radikale Veränderung und Öffnung der Perspektive, durch die Einbeziehung der Standpunkte von deren, die für das Überleben sorgen, auch unter widrigsten Bedingungen, und durch entsprechendes politisches Handeln. In diesem Zusammenhang werden Frauenstandpunkte wichtig, weil Frauen aufgrund geschlechtsspezifischer Arbeitsteilungen und Zuständigkeiten noch immer mehrheitlich jene Positionen innehaben, die sie am härtesten mit den negativen Konsequenzen der Wirtschafts- und Kriegspolitik konfrontieren.
Damit Krieg als Lösung plausibel erscheint, müssen diese Standpunkte ausgeblendet bleiben. Nur so bleibt auch die Überzeugung richtig, dass der Status quo der westlichen Länder einfach fortgeschrieben werden kann. Feministische Ökonominnen sprechen daher von einem „strategischen Schweigen“. Dieses Schweigen ist zu brechen.
Der italienische Expräsident Cossiga, keine unbescholtene Figur, hat – laut Berliner Tagesspiegel vom 4. November – verlauten lassen, dass Polygamie im Kampf gegen den Terrorismus nützlich sei. Muslimen sollte die „rechtliche Autorität“ über mehrere Ehefrauen gewährt werden, wenn es um „notwendige Zugeständnisse“ an die Gegenseite ginge. Deutlicher kann nicht gesagt werden, dass Frauen die Verhandlungsmasse sind, die von westlichen Politkern ohne Reue in die Arena geworfen werden, und dass Frauen dazu zu schweigen haben.
Auch an der Heimatfront. So benannt aber dürfte es schwieriger werden, Frauen zu Komplizinnen der Kriegspolitik zu machen.
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