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Bekenntnis zu Knieschüssen

RZ-Prozess: Angeklagter Schindler widerspricht dem Kronzeugen Tarek Mousli

„Tarek Mousli fuhr das Motorrad, ich saß hinter ihm, und als Herr Korbmacher auf dem Weg zu seiner Garage war, schoss ich auf seine Unterschenkel. Danach fuhren wir in ruhigem Tempo weg“, so Rudolf Schindler (59) gestern in seiner von seinem Anwalt Hans Euler vorgetragenen Einlassung zur Anklage. Der Satz war eine Sensation. Denn damit wurden die Aussagen des Kronzeugen im Prozess gegen die Revolutionären Zellen (RZ) in Frage gestellt.

Seit Ende Mai 2001 wird vor dem Berliner Kammergericht gegen Schindler und vier weitere Angeklagte, darunter seine Ehefrau Sabine Eckle (55), wegen Mitgliedschaft bei den RZ verhandelt. Konkret werden ihnen neben der Beteiligung an Sprengstoffanschlägen die Knieschüsse 1986 auf den Leiter der Berliner Ausländerpolizei und 1987 auf den vorsitzenden Asylrichter Günter Korbmacher vorgeworfen. Die Anklage beruht fast ausschließlich auf den Aussagen des ehemaligen RZ-Mitglieds Tarek Mousli. Dieser hatte sich, selbst schwer belastet, Ende 1999 der Bundesanwaltschaft als Kronzeuge angeboten.

Die von Mousli als Mittäter Beschuldigten hatten sich bisher zu den Vorwürfen nicht geäußert, doch gestern brach Schindler, einer der fünf, sein Schweigen. Seine 25-seitige Erklärung zur Sache begründete Schindler damit, „dass ich nur so aufzeigen kann, wo und in welchem Umfang die Aussagen von Mousli falsch sind“. Er äußerte sich allerdings nur zu sich und seiner Ehefrau. Seine Schilderungen der Knieschüsse und eines Sprengstoffanschlags unterscheiden sich wesentlich von den Darstellungen Mouslis.

Insbesondere habe Mousli immer wieder angebliche eigene, kleine Tatbeteiligungen am Rande zugegeben, um „dafür seine eigentliche große Tatbeteiligung anderen anzulasten“, so Schindler. Mousli sei beim Anschlag auf Korbmacher der Fahrer des Motorrads gewesen. In seiner Aussage behauptete Mousli, um mögliche Spuren von ihm am Motorrad erklären zu können, er sei dieses nur „Probe gefahren“. Am Tattag wollte er nur den Polizeifunk abgehört haben. Den von Mousli behaupteten gemeinsamen Spaziergang aller Berliner RZ-Mitglieder im Herbst 1989 am Wannsee, hat es laut Schindler nie gegeben.

Dieses Treffen am Wannsee braucht allerdings Mousli, um erklären zu können, woher er die anderen angeblichen Mitglieder der RZ kennt. Doch selbst laut Bundesanwaltschaft arbeitete die RZ extrem arbeitsteilig und abgeschottet, so dass Mouslis Schilderung sehr unwahrscheinlich klingt.

Die Bundesanwaltschaft begrüßte in einer kurzen Stellungnahme „die Bereitschaft des Angeklagten, sich seiner Vergangenheit zu stellen“. Inhaltlich wollte Oberbundesanwalt Michael Bruns allerdings noch nicht Stellung nehmen. Wie bereits im Vorfeld mit dem Gericht abgesprochen, setzte das Gericht nach der Einlasssung die Haftbefehle gegen Schindler und Eckle außer Vollzug.

CHRISTOPH VILLINGER

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