: Sozialer Unfrieden
Juden und Palästinenser in Deutschland zeigen ähnliche Reaktionen: Wut auf die jeweils anderen
von PHILIPP GESSLER und YASSIN MUSHARBASH
„Wir sind empört über das Schweigen der meisten deutschen Politiker angesichts der Massaker an der palästinensischen Zivilbevölkerung“, sagt Mohamad Zaher, Vorsitzender der Palästinensischen Gemeinde Berlins.
Seine Organisation hat sich deshalb bereits mehrfach mit öffentlichen Briefen an die Öffentlichkeit gewandt. „Die meisten von uns sitzen permanent vor dem Fernseher und versuchen herauszufinden, wie es ihren Verwandten geht“, sagt er.
„Ich selbst weiß auch nicht, wie es meiner Familie in Bethlehem gerade ergeht“, sagt Mustafa Shahadeh, Pressesprecher der palästinensischen Generaldelegation in Bonn: „Die israelische Regierung darf nicht immer nur mit Samthandschuhen angefasst werden. Wir wünschen uns, dass sich alle gesellschaftlichen Gruppen in Deutschland deutlicher als bisher gegen Unrecht und Besatzung aussprechen.“ Auch die muslimischen Organisationen und Dachverbände in Deutschland kritisieren das israelische Vorgehen deutlich. „Die gegenwärtigen militärischen Maßnahmen der israelischen Armee schätzen wir auch als Vernichtungskrieg ein“, erklärt Nadeem Elyas, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime.
Dass in Deutschland ähnliche Szenen bevorstehen wie in Frankreich, wo Synagogen angegriffen wurden, glaubt indes niemand. „Wir sind gegen Gewalt“, betont Mohamad Zaher von der Palästinensischen Gemeinde in Berlin. „Unsere große Sorge ist aber, dass jetzt Rechtsradikale die aufgeheizte Situation für Anschläge auf jüdische Einrichtungen ausnutzen. Damit wollen wir nichts zu tun haben. Es geht hier nicht um das Judentum, sondern um politische Strukturen eines Besatzerregimes.“
Doch ruhig ist derzeit in den jüdischen Gemeinden der Bundesrepublik kaum jemand. Viele in ihrer Gemeinschaft seien wegen der Kämpfe im Nahen Osten und der Anschläge auf Synagogen in Frankreich und Belgien „hochgradig erregt“, sagt Ingrid Wettberg, die Vorsitzende der liberalen Jüdischen Gemeinde von Hannover. Nicht wenige seien „sehr ängstlich“, dass diese Gewalt „überschwappen könnte“.
Gerade die vielen russischsprachigen Mitglieder, die Freunde oder Verwandte in Israel hätten, seien sehr verängstigt, meint Ingrid Wettberg. Nach ihrem Eindruck versuchen jedoch praktisch alle Jüdinnen und Juden in der Bundesrepublik, so „normal“ wie möglich weiterzuleben. Derzeit schaue man sich genau an, wem man die Tür zu seinen Räumen öffne. In den vergangenen Tagen habe sie von einem Gemeindemitglied gehört, dass es nicht mehr das Kettchen mit dem Davidstern umlegen wolle. „Man muss vorsichtig sein“, sagt Wettberg.
Andreas Nachama, ehemaliger Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und Direktor der Gedenkstätte „Topographie des Terrors“, mahnt dagegen, man dürfe Gewalt nicht „herbeireden“. Insgesamt reagiere die deutsche Öffentlichkeit – auch deren muslimischer Teil – aber noch besonnen. Er konstatiert jedoch bei vielen Jüdinnen und Juden Verzweiflung über das Scheitern des Friedensprozesses.
Ingrid Wettberg erzählt, dass sie vermehrt E-Mails erhalte, in denen die Politik Israels heftig beschimpft werde: „Was tun Sie dagegen?“, habe sie jetzt in ihrer Mailbox lesen müssen. Eine Antwort hat sie sich schon ausgedacht: „Was tun Sie als Christ gegen die Gewalt in Nordirland?“
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