Die Zukunft im Fadenkreuz

Israel führt Krieg mit dem Ziel, die Intifada zu zerschlagen. Ob und wie es danach weitergehen soll, weiß niemand. Nicht einmal der Kriegsherr

aus Kairo KARIM EL-GAWHARY

Israel führt Krieg im Westjordanland, mit dem erklärten Ziel, Palästinenserchef Jassir Arafat zu isolieren und die Infrastruktur der Intifada zu zerstören. Bei der bisher größten Militäraktion in den 34 Jahren israelischer Besatzung greift die Armee unter dem Titel „Operation Verteidigungswall“ zur klassischen Methode der Aufstandsbekämpfung.

Die meisten palästinensischen Städte sind jetzt nicht nur besetzt, sondern auch mit einer Ausgangssperre belegt. Israelische Soldaten durchkämmen Städte und Flüchtlingslager von Haus zu Haus. Alle Männer im Alter von 17 bis 45 Jahren werden vor den Häusern versammelt, um ihre Identität zu prüfen.

Wer verdächtig ist, wird unverzüglich in eines der Verhaftungszentren transportiert. Einige sind praktischerweise gleich in der nächsten israelischen Siedlung gelegen. Was aber will Israel dabei am Ende politisch erreichen?

Über diese entscheidende Frage sind die Meinungen in Israel geteilt. Israels äußerste Rechte und deren Galionsfigur Benjamin Netanjahu, die sich nie mit den Osloer-Friedensverhandlungen und deren Ergebnissen anfreunden konnten, fordern jetzt die langfristige Wiederbesetzung der einstigen selbstverwalteten Palästinensergebiete und eine Auflösung der Selbstverwaltungbehörde. Jassir Arafat solle ins Exil geschickt werden. Es sei besser, wie in den guten alten Zeiten klare Verhältnisse zu schaffen und wieder direkt die Kontrolle über die Palästinenser zu übernehmen.

Die Arbeitspartei und Außenminister Schimon Peres hoffen dagegen, durch den Krieg neue Realitäten zu schaffen, mit denen am Ende Jassir Arafat einer „Lösung“ unter israelischen Bedingungen zustimmen wird.

Ministerpräsident Ariel Scharon ist hin und her gerissen. Die palästinensische Selbstverwaltungsbehörde und Arafat hat er als Koalition des Terrors bezeichnet. Nun ist sein erklärtes Ziel, den „Terror“, also die Selbstverwaltung, zu entwurzeln. Er würde dann gerne mit einer anderen palästinensischen Führung ein Abkommen aushandeln, in dem am Ende ein palästinensischer Staat stehen soll, der allerdings gerade einmal die Hälfte des Westjordanlandes ausmachen soll.

Wie lange wird ihn die USA mit seinem Krieg gewähren lassen? Und wird Washington ihm erlauben, Arafat weiterhin zu isolieren? US-Präsident George Bush hat Scharons Krieg zwar als legitime israelische Selbstverteidigung bezeichnet, gleichzeitig aber auch betont, dass er Arafat weiterhin als palästinensischen Führer ansieht. Wie ernst er es tatsächlich meint und ob er bereit ist, diesbezüglich auch Druck auf Scharon auszuüben, werden jetzt die Europäer austesten, die nun ihre Gesandten zu einem Treffen mit Arafat ausgeschickt haben.

Die zweite große Herausforderung für Scharon ist dagegen keine unbekannte Größe. Schon jetzt ist klar, dass er auch mit seinem Krieg nicht für die lange versprochene israelische Sicherheit sorgen wird. Denn das israelische Konzept der Aufstandsbekämpfung mit Haus-zu-Haus-Durchsuchungen und Massenverhaftungen, wurde von den Palästinensern mit dem klassischen Gegenmittel beantwortet.

Ihre militärische Infrastruktur ist inzwischen in Zellen von vier bis fünf Mann dezentralisiert. Diese Leute haben in den letzten Tagen einen Freibrief erhalten, dort zuzuschlagen, wo es ihnen beliebt. Inzwischen, so heißt es, sollen sich mindestens zehn solcher Kader bereits innerhalb Israels befinden. Auch ist die neue Generation der Selbstmordattentäter unmöglich aufzuhalten – beispielsweise die 18 Jahre alte, westlich aussehende und hebräisch sprechende Ajat Ackras, die sich letzte Woche in einem Westjerusalemer Supermarkt in die Luft gejagt hatte.

Werden die Ausgangssperren in den palästinensischen Städten einmal zwangsläufig wieder aufgehoben, ist auch der Nachschub an Selbstmordattentätern kein Problem. Nach Israel hineinzufahren ist für sie ein Leichtes. Dafür sorgt ironischerweise die parallele Infrastruktur für die Siedler, die im letzten Jahrzehnt unermüdlich von israelischer Seite auf arabischem Boden im Westjordanland gebaut worden war. Denn wer von palästinensischer Seite einen Anschlag plant, der nimmt natürlich nicht ein Auto mit arabischem Kennzeichen, mit dem er nur zum nächsten israelischen Kontrollpunkt käme. Er besorgt sich ein geklautes israelisches Auto und fährt unbehelligt auf der parallelen Siedlerstraße nach Israel hinein, dem Ziel seines Selbstmordanschlages entgegen.

Fazit des Ganzen: Der ehemalige General Ariel Scharon wird weder das israelische Sicherheitsproblem in den Griff bekommen, noch hat er irgendeinen realistischen Plan, was nach seinem Krieg zu geschehen hat. Der internationale Druck auf ihn, und auf seinen amerikanischen Rückendecker George Bush wird immer größer. Mit jedem Kriegstag wird der passive Arafat stärker, der aktive Scharon schwächer. Nur ein Ende der israelischen Besatzung kann für Israel Sicherheit und Frieden schaffen.

Am Ende wird sich wieder einmal eine simple Weisheit bewahrheiten: Der Ausweg ist aus dem israelisch-palästinensischen Konflikt nicht ein militärischer, sondern ein politischer.

Nur ein Ende der israelischen Besatzung kann für Israel Sicherheit und Frieden schaffen. Denn eines wird, wenn schon nicht Scharon, so doch hoffentlich einer seiner Nachfolger einsehen müssen: Eine „friedliche Besatzung“ ist ein Gegensatz, der sich niemals auflösen wird.