FÜR DIE FERNSEHZUSCHAUER:: Welche Folgen hat die Kirch-Pleite?Auf Pro 7 und Sat.1 muss niemand verzichten
Das Image des Medienpolitikers Stoiber ist angekratzt, ein paar tausend Jobs sind in Gefahr. Einen schwarzen Bildschirm muss aber niemand befürchten
Für Freunde von Randsportarten wie „Sacktragen“ oder „Baumstammdurchsägen“ könnten bald schwere Zeiten anbrechen. Derlei Leckerbissen laufen bislang auf Kirchs Sportkanal DSF, der im Falle der Insolvenz von der Schließung bedroht ist.
Aber es gibt dort nicht nur Absurditäten. Auch Handball, die Zweite Fußballbundesliga oder Tennis sind – als Abfallprodukte aus Kirchs Sportrechte-Topf – fast nur bei DSF zu sehen. Das könnte in Zukunft anders werden. Die Rechte an derzeit eher unattraktiven Sportarten zählen nicht gerade zu den Filetstücken in der Insolvenzmasse. Sie dürften weder Murdoch noch Berlusconi sonderlich interessieren.
Dagegen werden die Fernsehzuschauer auch in Zukunft auf Kabel 1, Pro 7 und Sat.1 nicht verzichten müssen. Die ProSiebenSat.1 Media AG ist wirtschaftlich recht gesund, Kabel 1 und Pro 7 machen sogar Gewinn. Wenn sich Rupert Murdoch und Silvio Berlusconi diese gut laufenden Sender des Free-TV aus der Insolvenzmasse sichern, werden sie die erfolgreichen Programmstrukturen kaum umbauen. Die Befürchtung, dass es auf Pro 7 statt attraktiver Spielfilme aus dem Kirch-Fundus schon bald hauptsächlich Spielshows mit halb nackten Assistentinnen nach italienischem Vorbild geben wird, ist also unbegründet.
Ebenso die Angst vor zu viel inhaltlicher Einflussnahme durch die Investoren. Wer die Sat.1-Nachrichten kennt, der weiß: Viel belangloser oder tendenziöser als unter Kirch dürfte es auch mit Murdoch oder Berlusconi kaum werden. HEIDI
FÜR DIE MITARBEITER:
Tausende von Arbeitsplätzen stehen auf dem Spiel
Etwa 9.500 Mitarbeiter sind bei der KirchGruppe beschäftigt. Das ist eine Menge – und es werden wohl schon bald sehr viel weniger sein. Steffen Schmidt von der Mediengewerkschaft Connexx.av rechnet mit etwa 3.000 bis 4.000 Entlassungen binnen kürzester Zeit.
Auch wenn Kirch nicht Insolvenz anmeldet und Investoren per Verhandlungslösung das Ruder übernehmen, geht die Gewerkschaft mittelfristig von ähnlichen Zahlen aus. „Mittlerweile wünschen sich manche Mitarbeiter schon fast die Insolvenz, damit die Hängepartie endlich ein Ende hat“, sagt Schmidt. An ein Überleben der Kirch’schen Lokalsender TV-Berlin, TV-München und Hamburg 1 glaubt keiner mehr. Bei TV-München arbeiten etwa 240 Menschen. Hamburg 1 kommt mit 40 Mitarbeitern aus und macht trotzdem Verlust. Bei den Ballungsraumsendern wurden die ersten Kündigungen schon ausgesprochen. Schlecht sieht es auch bei DSF, N 24 und Neun Live aus. Alle drei haben erkleckliche Verluste angehäuft und sind von der Schließung bedroht. Allein bei DSF stehen etwa 600 Arbeitsplätze auf dem Spiel, ebenso wie bei der Tochter Plaza Media.
Beim Bezahlsender Premiere hat Chef Georg Kofler jüngst 30 Prozent der 2.400 Stellen gestrichen. Am Standort München mussten mangels Betriebsrat schon die Ersten gehen. Um eine Lösung nicht nur für die Premiere-Mitarbeiter zu finden, fordert Connexx.av einen runden Tisch, an dem sich auch die bayerische Landesregierung beteiligen soll. Die hält sich allerdings vornehm zurück. HEIDI
FÜR MURDOCH, BERLUSCONI UND DIE BANKEN:
Der Tycoon profitiert in jedem Fall
It’s showtime for Rupert Murdoch: Beim Poker um die Zukunft der Kirch-Gruppe kann der internationale Medienunternehmer die Strippen mittlerweile fast beliebig ziehen. Weil sich die – überwiegend deutschen – Gläubigerbanken des hoch verschuldeten Filmhändlers nicht auf Murdochs Forderungen einlassen, droht nun das Insolvenzverfahren. Der aggressive Verhandlungsstil des globalen TV-Tycoons tat ein Übriges.
Dem News-Corp.-Chef kann das egal sein. Denn er wird auch von der offenbar kaum abzuwendenen Insolvenz profitieren: Das Kirch-Konglomerat aus mehreren hundert verschachtelten Unternehmen würde dann voraussichtlich in seine Einzelteile zerschlagen. Über Filetstücke wie die profitable ProSiebenSat.1 AG, der Programmhandel oder der Fußballrechte-Bereich wäre ohne den bei Paketlösungen üblichen Ballast separat zu verhandeln. Verlierer wären auch hier die Banken, die schon heute zumindest einen Teil ihrer Kredite abschreiben können.
Konkurrenz droht Murdoch kaum: Bertelsmann kann wegen der Konzentrationsvorschriften im Fernsehbereich kaum noch zukaufen. Das Mittelfeld der deutschen Medienkonzerne wie Springer, Holtzbrinck, Bauer oder Burda ist im Vergleich zur News Corp. zu schwach. Und der italienische Ministerpräsident und Medienunternehmer Silvio Berlusconi sitzt ohnehin mit im Murdoch-Boot: Er kann sich aus politischen Gründen nicht direkt als Kirch-Nachfolger präsentieren – dürfte Murdoch aber einen Teil des nötigen Geldes vorschießen. STG
FÜR DEN FIRMENGRÜNDER SELBST:
Leo Kirchs Rente ist erst mal sicher
„Es tut sich Großes momentan“, hatte Leo Kirch Ende Februar dem Spiegel anvertraut. Und sich gar keine Mühe gemacht, die eigene Situation schönzureden: „Was heißt schon Lebenswerk? Ich habe mich in meinem Geschäft 48 Jahre lang nicht ohne unternehmerischen Erfolg bewegt. Das allein zählt.“
Jetzt zählen andere. Der Medienhändler aus München, der finanzmarktkonforme Quartalsberichte nie recht mochte und hohe Summen lieber im Kopf überschlug, hat seine Rechnung wohl schon gemacht. Und pflegt im Gerangel von Banken, Gläubigern und feindfreundlichen Partnern seine Kardinaltugend: Er bleibt unsichtbar.
Sorgen um die Altersversorgung bringen den 75-Jährigen kaum um den Schlaf: Zwar hat ihn das US-Finanzblatt Forbes in seiner Milliardärsliste wegen der Schuldenlast des Konzerns empfindlich zurückgestuft. Doch bei einer Milliarde US-Dollar Privatvermögen kann man nicht direkt von Verarmung sprechen.
Für ihn als Kaufmann par excellence gehört Scheitern aber zum Geschäft. Der Selmademan wusste stets um sein Risiko. Vielleicht blieb ihm deswegen auch jede Protzerei fremd. So bescheiden, wie Kirchs Kleinvilla in München-Bogenhausen daherkommt, pflegt kaum ein Medienmogul zu residieren. Was nun kommen soll, stimmt den Branchensenior geradezu heiter: „Ich kann Rupert nicht böse sein, wenn er mich fressen will“, sagte Kirch über seinen internationalen Partner Murdoch. „So ist er nun einmal. (…) Die Knochen wird auch Murdoch mir schon lassen.“ STG
FÜR STOIBER, SCHRÖDER & CO.:
Die Medienpolitik hat versagt
Die CSU verbreitet nur eine Botschaft: „Keine Spekulationen!“ Denn die würden die Verhandlungen über das Kirch’sche Schuldendebakel nur behindern. Und so wirft der CSU-Fraktionschef im bayerischen Landtag, Alois Glück, der SPD und den Grünen vor, sie veranstalteten ein „Wettrennen um die politische Ausschlachtung dieses Themas“.
Kein Wunder: CSU und Staatsregierung sind tief in Kirchs Krise verstrickt. Auf Geheiß von Ministerpräsident Edmund Stoiber wurden Milliardenkredite der halbstaatlichen Bayerischen Landesbank bereitgestellt. Die bestand offenbar nicht auf ausreichende Sicherheiten. Im ungünstigsten Fall dürften Bayerns Steuerzahler die Rechnung mit bezahlen.
Die möglichen Rückschläge auf den Medienansiedler und Kanzlerkandidaten Stoiber lenken vom Grunddilemma ab: Die Medienpolitik hat parteiübergreifend versagt. Eine Krise mit Landesbeteiligung wie bei Kirch könnte jederzeit auch im rot-grün regierten Nordrhein-Westfalen stattfinden.
Nicht nur diese beiden Bundesländer betreiben seit mehr als einem Jahrzehnt Medienpolitik ausschließlich als regionale Wirtschaftspolitik: Hauptsache, der eigene Medienstandort bekommt noch einen Sender mehr.
Publizistische Kriterien zählen dabei kaum – nicht mal bei den für die Programmlizenzierung zuständigen und formal unabhängigen Landesmedienanstalten. Und der Kanzler? Der hat sowieso nichts zu melden. Medienpolitik ist Ländersache.
OH/STG
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