: Ein Platz für die Liebe
Die rot-grünen Reformvorhaben für das Gesundheitswesen und die Kinderbetreuung sind ein guter Anfang – die mutige Neugestaltung des Ehegattensplittings muss folgen
Im Getöse um die nicht stattgefundene Abschaffung des Ehegattensplittings bei der Einkommensteuer und der beabsichtigten Einführung einer „Spekulationssteuer“ geht nahezu unter, dass – neben den Hartz-Reformen am Arbeitsmarkt – im rot-grünen Koalitionsvertrag zwei Projekte enthalten sind, die das Potenzial für große gesellschaftspolitische Veränderungen haben: der Ausbau der Kinderbetreuung und mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen. Details sind naturgemäß noch unklar.
Bei den geplanten Gesundheitsreformen zum Beispiel besteht noch großer Diskussionsbedarf: Die Kassenärztlichen Vereinigungen sollen ihre Monopolmacht verlieren, die darin besteht, dass sie – faktisch – die Vertragspartner der Krankenkassen sind und nicht direkt Ärzte und Krankenhäuser. Details sind noch nicht festgelegt – auf die kommt es aber an! Außerdem muss das Problem gelöst werden, dass die Beitragsbasis für die Krankenversicherung immer schmaler wird. Zwar ist es wichtig, dass Gesundheitsministerin Ulla Schmidt von ihrem Vorhaben ablässt, den Markt für private Krankenversicherungen auszutrocknen, indem die Versicherungspflichtgrenze hochgesetzt wird – also die Höhe des Einkommens, unterhalb derer man nicht in eine private Krankenversicherung wechseln darf. Diese Reformabsicht ruft zu Recht bei den Versicherungsunternehmen, denen ihre Geschäftsgrundlage entzogen würde, Widerstand hervor.
Das Problem muss aber gelöst werden. Im Grunde wäre eine sinnvolle Reform ganz einfach zu haben: die Versicherungspflicht wird vom Arbeitsverhältnis losgelöst und jeder wird per Gesetz versicherungspflichtig. Alle Krankenversicherungen – ob gesetzliche oder private – müssten jeden, der sich bei ihnen versichern will, akzeptieren. Auch in den Risikostrukturausgleich würden alle Versicherungen einbezogen. Dann könnte zwischen gesetzlichen und privaten Krankenkassen endlich ein zielgerichteter Wettbewerb um hohe Qualität zu niedrigen Kosten einsetzen.
Während im Gesundheitswesen inzwischen stärker auf Wettbewerb gesetzt wird, steht dieser Lernprozess im Bereich der Kinderbetreuung bei Bund, Ländern und Gemeinden noch aus. Die „institutionelle“ Kinderbetreuung soll in den nächsten Jahren gezielt ausgebaut werden, nämlich dort, wo die größten Defizite zu verzeichnen sind: bei den ganz Kleinen und bei den Grundschulkindern. Die finanziellen Größenordnungen sind nun bekannt, aber wie das Angebot tatsächlich bereitgestellt werden wird, ist unklar. Um einen Anfang zu mehr Wettbewerb zu machen, sollte der Staat den Eltern „Betreuungsgutscheine“ für Krippenplätze ausgeben. Sie könnten bei einem Anbieter ihrer Wahl eingelöst werden, der von einer unabhängigen Instanz auf Qualität geprüft und „lizenziert“ wurde. Das würde vielfältigere Angebote etwa bezüglich Öffnungszeiten und pädagogischen Konzepten hervorbringen, als kommunale Kindergärten oder halbstaatliche Anbieter wie Kirche und Wohlfahrtsverbände dies bisher leisten können. Auf diesem „Markt“ könnten sich natürlich auch selbst verwaltete Eigeninitiativen tummeln.
Dieses Konzept rückt aber mindestens so gründlich vom Althergebrachten ab wie eine Reform des Ehegattensplittings, die jetzt doch nicht in Angriff genommen wird. Trotzdem muss die Diskussion über das Splitting weitergeführt werden, denn hier geht es nicht nur darum, wer wie viel Steuern zahlt. Es geht um die Rahmenbedingungen für Erwerbs- und Hausarbeit und damit für ganze Lebensentwürfe. Es handelt sich also um eines der wichtigsten Reformvorhaben der nächsten Jahre.
Nach der jetzigen Gesetzeslage können verheiratete Paare ihr Einkommen gemeinsam versteuern. Der Splitting-Vorteil wird umso größer, je mehr einer der Partner verdient. Daran stoßen sich viele – und an der Tatsache, dass das Splitting die Ehe begünstigt, unabhängig davon, ob in ihr Kinder erzogen werden. Letzteres will allerdings das Grundgesetz so; außerdem, argumentieren Befürworter, stellt das Splitting sicher, dass der Staat Partnern nicht in die Aufteilung ihrer Arbeitszeit hineinredet.
Doch hier setzt auch die Kritik an: Durch die Möglichkeit des Splittings ist es egal, wie ein Ehepaar sein Gesamteinkommen erwirtschaftet: Ob also ein Partner mit hohem Einkommenspotenzial viel, der andere womöglich gar nicht arbeitet. Insgesamt minimiert ein Paar so die insgesamt geleistete Zeit für Erwerbsarbeit. Dies hat aber auch zur Konsequenz, dass derjenige, der seine Arbeitszeit reduziert (im Grenzfall bis auf null) damit auf Dauer sein Einkommenspotenzial schmälert. Wenn eine Ehe ewig hält, mag das kein großes Problem sein – doch wenn Ehen auseinander gehen, wird es schwierig. Selbst wenn ein Geschiedener von Teilzeit wieder auf Vollzeit geht, wird er weniger verdienen, als wenn er permanent Vollzeit gearbeitet hätte. Auf diese Weise werden Ehen zusammengehalten, die ansonsten längst geschieden wären. Würde man das Splitting abschaffen, wäre hingegen wieder Platz für die Liebe geschaffen. Nur aus ökonomischen Gründen blieben Ehen nicht zusammen.
Mit anderen Worten: Wer gegen das Splitting ist, der hat die langfristige Chancengleichheit von Ehegatten im Auge. Die Chancengleichheit ist gegen das Argument abzuwägen, das Splitting sorge dafür, dass Ehegatten ihre Arbeitszeit frei aufteilen können. Ein richtige oder falsche Entscheidung gibt es hier nicht, sondern es bedarf einer grundlegenden gesellschaftspolitischen Debatte, was gewollt ist. Obwohl das Abschaffen des Ehegattensplittings sowohl im Wahlprogramm der SPD als auch der Grünen stand, ist diese Debatte bislang offenbar nicht ausreichend geführt worden. In den Koalitionsverhandlungen haben sich beide Parteien schließlich in buchhalterischen Argumenten verhakt. Aber selbst diese sind nicht kurzfristig zu klären, denn man kann das Splitting nicht einfach radikal abschaffen.
Es muss ein neues System gefunden werden, das dem Grundgesetz genüge tut und zum Beispiel auch die Lohnsteuerklassen verändert. Dafür liegt ein Modell, das sogar grundgesetzkonform ist, längst schon vor. Beim „Realsplitting“ kann der besser verdienende Partner einen nach oben limitierten Einkommensbetrag auf den anderen übertragen, der einen niedrigeren Steuersatz hat. Wenn also einer der Partner überhaupt nichts verdient, müsste das Paar auf diese Summe dann keine Steuern zahlen. Aber die grundlegende gesellschaftspolitische Dikussion des Splittings und seine Details brauchen Zeit. Deswegen ist es gut, dass die Koalition keine „Kappung“ des Splittings übers Knie gebrochen hat.
Die weit verbreitete Unzufriedenheit mit dem rot-grünen Koalitionsvertrag zeigt, dass die Reformbereitschaft der Bevölkerung wesentlich größer sein dürfte als die der Verbände. Diese Reformbereitschaft der Wähler sollte die Koalition aufgreifen und zügig einen konstruktiven Dialog über Details beginnen.
GERT G. WAGNER
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