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Nullrunde für die Grünen

Stundenlang quälten sich die Verhandlungsführer herum. Doch bei den meisten Punkten hatten die SPD-Ministerien ihre Pflöcke schon tief eingerammt

Ein Grüner zum Ergebnis: „Wir haben ökonomisch argumentiert und die SPD nur politisch-taktisch“

aus Berlin JEANNETTE GODDAR,HANNES KOCH und JENS KÖNIG

Jürgen Trittin hat Wichtiges zu tun. Im indischen Delhi geht die Konferenz zum globalen Umweltschutz zu Ende, der grüne Minister verhandelt bis zuletzt, dann steigt er ins Flugzeug – der lange Rückflug nach Berlin beginnt.

Auch Trittins Kollegen von der SPD, Hans Eichel (Finanzen) und Wolfgang Clement (Arbeit und Wirtschaft), haben Wichtiges vor. Und sie finden es ganz schön, dass Trittin noch unterwegs ist. Am vergangenen Freitag verhandelten Eichel und Clement schon mal über all das, was auch die Grünen betrifft: die Ökosteuer, die Ausnahmen für die Konzerne, die Abgaben auf Erdgas, die die Privathaushalte zahlen sollen.

Wie Trittin geht es den Grünen zurzeit relativ häufig: Sie kommen morgens ins Büro und erfahren mal so nebenbei, was sich die Minister von der SPD wieder ausgedacht haben. Denn in deren Ressorts spielt gerade die Musik. Bei Haushalt und Finanzen ist Eichel federführend, beim Hartz-Konzept Wolfgang Clement und bei der Reform der Sozialversicherung Ulla Schmidt, ebenfalls SPD. Über die neuesten Zahlen zum Desaster der öffentlichen Finanzen verfügen diese Häuser zuerst – auch ein Druckmittel in der politischen Auseinandersetzung.

Der kleinere Koalitionspartner ist quasi automatisch in der Defensive. Die Ökopartei reagiert nur noch. Das ist einer der Gründe, warum sich die Grünen in den Nachverhandlungen zur Koalitionsvereinbarung am Montagabend eine mittlere Niederlage abgeholt haben. Die Nacht zum Dienstag wurde länger und länger. Über vier Stunden quälten sich die Verhandlungsdelegationen herum. Doch bei den meisten Punkten hatten die SPD-Ministerien ihre Pflöcke schon vorab tief eingerammt. Am Ende stand ein für die Grünen magerer Kompromiss. Die Laune ist dementsprechend. Von einem „sauren Apfel“ sprach gestern die grüne Fraktionsvize Thea Dückert. Eine andere Abgeordnete konstatierte „großen Unmut“ in der Fraktion.

Als beinahe desaströs wird vor allem das Ergebnis bei der Ökosteuer eingestuft. Denn die privaten Haushalte müssen im kommenden Jahr eine dreimal höhere zusätzliche Belastung tragen als die Wirtschaft. Mit rund 1,1 Milliarden Euro schröpft die Regierung unter anderem die Betreiber von Gasetagenheizungen. Die Steuer pro Megawattstunde Erdgas steigt um zwei Drittel auf 5,50 Euro. Gerade die Grünen wollten das unbedingt verhindern, doch die SPD-Riege in der Koalitionsrunde am Montagabend ließ sich nur einen minimalen Abschlag von 30 Cent abhandeln. Diese Steuererhöhung verteuert das umweltfreundliche Erdgas – „nicht gerade ein Beitrag zur Steigerung der Glaubwürdigkeit der Ökosteuer“, sagt der grüne Umweltsprecher Reinhard Loske. Positiv kann sich die Ökopartei dagegen anrechnen, dass 150 Millionen Euro jährlich aus der Ökosteuer in ein Programm zur Altbausanierung fließen.

Auch bei der Rente ist die SPD-Ministerfront mehr oder weniger durchmarschiert. Nicht nur steigen die Rentenbeiträge im nächsten Jahr auf 19,5 Prozent und nicht auf 19,3 Prozent, wie noch in der Koalitionsvereinbarung vorgesehen. Auch die Beitragsbemessungsgrenze für Gutverdiener, die die Grünen im Gegenzug zu einer Beitragserhöhung gerne bei 4.500 Euro belassen hätten, wird auf 5.100 Euro erhöht. Mit ihrem Wunsch nach einer Verschiebung der kommenden Rentenerhöhung konnten sich die grünen Verfechter von Generationengerechtigkeit also nicht durchsetzen. Das Ergebnis à la SPD: Die arbeitende Bevölkerung zahlt mehr, die Rentner kommen davon.

„Die haben nur an die Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen im Februar gedacht“, interpretiert ein Spitzen-Grüner das Verhalten der Sozialdemokraten. Die SPD fürchte bei einer Verschiebung der Rentenerhöhung um Wählerstimmen. Aus dem Munde von Fraktionschef Franz Müntefering (SPD) klingt das anders: An der Erhöhung des Beitrags gehe kein Weg vorbei, wenn man für eine eventuelle Wirtschaftsflaute in 2003 ein Polster schaffen wolle.

In der Gesundheitspolitik werden die Krankenkassenbeiträge per Gesetz eingefroren, auch wenn die Grünen das für einen „dirigistischen Akt“ halten. Entgegen ihrer Forderung wird es auch eine Nullrunde für die Krankenhäuser geben. Wenn die Grünen nun behaupten, man habe doch umfangreiche Ausnahmeregelungen durchsetzen können, stimmt das nicht. Nach massiver Kritik am „Vorschaltgesetz“ seitens der Medizinlobby hatte Ulla Schmidt bereits am vergangenen Freitag die ganze Palette der Ausnahmeregelungen präsentiert.

Nun richten sich die Hoffnungen der Grünen auf eine noch zu besetzende Kommission nach Hartz-Vorbild. Zwar hatte in der vergangenen Woche auch Bundeskanzler Gerhard Schröder angekündigt, die Reform des Renten- und Gesundheitssystems mithilfe von Expertengremien anzugehen. Die Kompetenzen dieser Kommission, so die grüne Fraktionschefin Krista Sager, sollen nun aber ausgeweitet werden (s. Interview). So konnte die neue, etwas gebeutelte Fraktionsvorsitzende Sager ihrer Fraktion gestern denn doch ein kleines Schmankerl bieten: Die Grünen haben ein Vorschlagsrecht für einige Mitglieder der Kommission.

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