: Fortschreitender Realitätsverlust
Bernd Rabehl instrumentalisiert seinen Essay über Rudi Dutschke, um den eigenen Nationalismus zu rechtfertigen
Es hätte ein interessantes Buch zur Zeitgeschichte werden können: Bernd Rabehls Essay über Rudi Dutschke. Beide waren kurz vor dem Mauerbau 1961 aus der DDR geflohen. Beide studierten danach in Westberlin und verwandelten den Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) in einen aktionistischen Kampfverband und in das Sprachrohr der außerparlamentarischen Opposition (APO). Beide predigten einen undogmatischen Marxismus. Nachdem bereits verschiedene Lebensschilderungen Dutschkes (u. a. von Ulrich Chaussy, Gretchen Dutschke, Jürgen Miermeister) vorliegen, hätte gerade ein Bericht des Weggefährten Rabehl eine wichtige Ergänzung sein können.
Doch der hatte offenkundig anderes im Sinn. Er hat sich ähnlich wie Horst Mahler zu einem nationalistischen Kritiker der bundesrepublikanischen Demokratie gewandelt. Seinen Essay nutzt er vor allem dazu, den Mythos Dutschke einer neuen Fangemeinde vorzustellen, die er mit einem Auftritt vor der rechtsradikalen Burschenschaft Danubia im Winter 1998 gewonnen hat. Dort hatte er eine „Überfremdung“ der Bundesrepublik konstatiert und eine Erpressung der Eliten und der Intellektuellen in Deutschland durch die „Schuldfrage der Verbrechen im Zweiten Weltkrieg“. Nationale Interessen und Positionen Deutschlands würden zugunsten einer Unterstützung der USA und Israels tabuisiert. Das Wort „Auschwitz-Keule“ verwendete Rabehl nicht, gemeint war es schon. Seit diesem Auftritt schreibt er auch in verschiedenen rechtslastigen Zeitschriften, darunter Wir selbst und die Junge Freiheit.
Seinen neuen Dutschke-Essay verlegt nun die Edition Antaios. Der Verlag steht ähnlich wie die Junge Freiheit dem Institut für Staatspolitik nahe, das sich als „Reemtsma-Institut von rechts“ versteht. Da passt neben Publikationen von Ernst Jünger und anderen zur „Konservativen Revolution“ der von Rabehl vorgestellte „Nationalrevolutionär“ Dutschke gut ins Konzept.
Rabehl betont: Dutschke habe sowohl vor dem Attentat am 11. April 1968 als auch nach seiner Genesung vor allem gegen die imperiale Besetzung beider deutscher Nachkriegsstaaten Front gemacht, sein Denken und Handeln habe sich auf eine revolutionäre Vereinigung Deutschlands gerichtet. Pauschal kritisiert Rabehl, dass in den bisher erschienenen Arbeiten zu Dutschke vor allem dessen nationale Ambitionen bewusst unterschlagen würden.
Doch das stimmt nicht. Wolfgang Kraushaar, Gretchen Dutschke und Jürgen Miermeister haben bereits sehr differenziert beschrieben, wie der nationale und christliche Dutschke das Konzept des antikolonialen nationalen Befreiungskampfes (Fanon) aus der Dritten Welt auf die beiden deutschen Nachkriegsstaaten übertragen hat. Seine Beiträge zur nationalen Frage waren deswegen heftig umstritten.
Rabehl behauptet trotzdem, der nationale Dutschke würde tabuisiert. Er betrachtet die verschiedenen Dutschke-Biografen offenbar als Teil der – in seinem Danubia-Vortrag imaginierten – amerikanisch-israelischen Weltverschwörung. Viele werden in Rabehls neuem Essay folgerichtig entweder als unkundige Dummköpfe, amerikanisierte Analphabeten oder als Agenten dunkler Mächte verhöhnt.
Gefangen im Wahn globaler Verschwörungen, zeichnet Rabehl darüber hinaus ein Bild von Dutschke als Opfer westlicher und östlicher Geheimdienste. Das hat er bereits vor zwei Jahren in der Broschüre „Feindblick“ getan. Dafür recherchierte er in Dutschkes Verfassungsschutz- und Stasi-Akten, ob das Ministerium für Staatssicherheit Josef Bachmann, den Attentäter vom April 1968, angestiftet habe – eine Spekulation, die auf Dutschke selbst zurückging. Rabehl fand dafür zwar keinen Beleg. Da jedoch USA und Sowjetunion, nach Rabehls Vorstellung, ihre Politik in den beiden deutschen Nachkriegsstaaten bruchlos umsetzten, insinuiert Rabehl in seinem Dutschke-Essay zumindest sprachlich einen Auftragsmord des ostdeutschen Staatssicherheitsdienstes: „Ein Mann aus dem Spektrum des Rechtsradikalismus musste gefunden werden, um diese Tat zu verüben.“
Sowohl „Feindblick“ als auch der biografische Essay sagen kaum Neues über Dutschke, dafür aber umso mehr über den fortschreitenden Realitätsverlust Bernd Rabehls. Die heftige Kritik, der er sich seit seinem Vortrag vor der rechtsradikalen Burschenschaft Danubia ausgesetzt sieht, deutet er in seinem Dutschke-Essay konsequent als üble Kampagne, an der sich „Spitzel und Zuträger von MfS und HVA“ sowie „Profiteure und Parasiten aus dem Kulturbetrieb“ beteiligten. „Die Regie“, so ist Rabehl überzeugt, „verwies nicht auf Antifa-Sekten, sondern auf ausländische Geheimdienste.“ Wie Dutschke, so imaginiert sich nun Rabehl selbst zu einem Opfer geheimdienstlicher Verschwörungsstrategien.
Rabehl ist ein deutlicher Beleg für die bereits sehr früh von Norbert Elias, Henryk M. Broder, Andrei S. Markovits und vielen anderen konstatierte dunkle Seite der deutschen 68er. Teilweise wollten sie die Verbrechen ihrer nationalsozialistischen Vorfahren aufklären, vielen schien ihre öffentliche Thematisierung jedoch auch als ein Hindernis auf dem Weg zu neuer nationaler Identität. Über die Gleichsetzung von USA („USA-SA-SS“) und Israel („zionistische Faschisten“) mit dem Nationalsozialismus suchten sie sich selbst von Schuld freizusprechen. So unfreiwillig lehrreich ist Rabehl auch ein wirklicher Gewinn für das Otto Suhr Institut der Freien Universität Berlin, an dem er lehrt. Wo sonst kann man derlei Unsinn noch live studieren?
MARTIN JANDER
Bernd Rabehl: „Rudi Dutschke. Revolutionär im geteilten Deutschland“, 132 Seiten, Edition Antaios, Dresden 2002, 12 € Bernd Rabehl: „Feindblick. Der SDS im Fadenkreuz des ‚Kalten Krieges‘ “, 155 Seiten, Berlin 2000, Verlag Philosophischer Salon
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