taz-Sommerserie: „Sommer vorm Balkon“: Amazonien in Marzahn
Durch Auenlandschaften und begleitet von Rehen durch Marzahn wandern? Das ist möglich auf dem Radwanderweg entlang der Wuhle.
Weiße Seerosen blühen in der Wuhle nahe ihrer Mündung. Eine Schwanenfamilie führt ihre Jungen zum Schwimmen aus. Buchen, Erlen und Holunderbüsche ragen weit in das Flüsslein, das mehr steht als fließt. Für die Sportler des 1. FC Union und der Köpenicker Sportanlagen ist der Radweg Teil ihrer Joggingstrecken. Nach einem Kilometer führt er an der Rückseite des Einkaufszentrums Forum Köpenick vorbei. Wer für die Radwanderung über Köpenick, Hellersdorf und Marzahn noch etwas benötigt, sollte hier einkaufen: So urban wie hier ist es lange nicht mehr.
Immer wieder wird die selbst in Mündungsnähe schmale Wuhle unter Straßen hindurchgeleitet. Wer hinter dem S-Bahnhof Köpenick ihren Verlauf wieder aufnimmt, merkt jetzt nichts mehr vom Großstadttrubel. Ein paar Rentnerinnen gehen spazieren. Auf dem Spielplatz toben keine Kinder. Nach Überqueren der Hoppendorfer Straße ist der Wuhleradweg nicht mehr durchgängig betoniert, aber durchaus gut befahrbar. Und es wird noch stiller zwischen den Ausläufern des nach der Wuhle genannten Wäldchens Wuhlheide und wenigen Einfamilienhäusern und Gärten.
Einen knappen Kilometer weiter erinnern Stelen an ein Zwangsarbeitslager an dieser Stelle. Ab 1939 wurden hier zuerst Wolhyniendeutsche, die im Zuge des Hitler-Stalin-Pakts aus dem Gebiet der heutigen Ukraine nach Berlin zwangsumgesiedelt wurden, später französische Kriegsgefangene und sowjetische ZwangsarbeiterInnen, die in Bahnwerken arbeiten mussten, unter menschenunwürdigen Bedingungen interniert.
Abwasser in der Wuhle
Man tut gut daran, an den Stelen nicht dem Wuhlewanderweg zu folgen, der jetzt am linken Ufer verläuft, sondern die nächsten Kilometer rechts der Wuhle zu fahren. Dann nämlich kommt man am Wuhlesee vorbei, dem einzigen See im ganzen Flussverlauf, in dem Baden möglich ist. Der 520 Meter lange und gut 100 Meter breite See ist kein offizielles und wegen des schlammigen Untergrunds auch kein schönes Badegewässer. Er wurde künstlich angelegt, damit die nur ganz langsam dahinplätschernde Wuhle hier Schlamm ablagern kann.
Bis 2003 wurden Abwässer eines Klärwerkes in die Wuhle geleitet. Seit der Stilllegung des Klärwerks fließt ein Kubikmeter Wasser pro Sekunde weniger durch den kleinen Fluss. Er wurde zwischen 2005 und 2008 auf die geringere Wassermenge ausgerichtet und renaturiert.
Hinter dem See wird es dunkel. Schmale, hohe Birken und Ahornbäume stehen jetzt dicht an dicht am Ufer und ragen weit in die Wuhle hinein. Abgefallene Äste vermodern im Flüsschen. Sie erzeugen eine verwunschene Atmosphäre von Amazonien in Berlin. Die Idylle inmitten von Berlin ist vorbei, wenn der Weg in Biesdorf wieder eine Straße überquert. Hier sollte man die Uferseite wieder wechseln und links dem offiziellen Radwanderweg folgen: Am rechten Ufer würde man irgendwann im Morast der Auenlandschaft versinken. Die Wuhle hat den Bezirk Marzahn-Hellersdorf erreicht.
Stadtbezirk Wuhletal?
Wäre es nach dem Willen der bezirklichen CDU gegangen, hätte der Bezirk sich nach der Fusion von Marzahn und Hellersdorf 2001 nicht den sperrigen Doppelnamen gegeben. Er hieße heute „Wuhletal“. Die Abstimmung war knapp, eine einzige Stimme gab den Ausschlag für den Namen Marzahn-Hellersdorf.
„Marzahn und Hellersdorf sind nur zwei Ortsteile unter vielen im Bezirk“, begründet der stellvertretende CDU-Bezirkschef Christian Gräff den Namenswunsch gegenüber der taz, den die CDU immer mal wieder in die Debatte warf, zuletzt 2016. „Viele Bürger aus Ortsteilen wie Biesdorf, Kaulsdorf oder Ahrensfelde können sich damit nicht identifizieren.“ Das Wuhletal hingegen durchziehe alle Ortsteile des Bezirks, sagt Gräff. Der Name böte darum mehr Identifikation.
In Biesdorf tangiert der Radwanderweg die erste Erhöhung: die Biesdorfer Höhe. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs wurde sie als Müllkippe genutzt, ab den 1950er Jahren lud die DDR hier Schutt ab, der beim Bau der Stalinallee und bei der Sprengung des Berliner Stadtschlosses anfiel. Dadurch wuchs der Berg auf 82 Meter an und wurde zu einem Aussichtspunkt umgestaltet, der allerdings in den letzten Jahren nicht in Schuss gehalten wurde. Der Aufstieg lohnt nicht, denn wo es vor zehn Jahren noch Sichtachsen bis zum Fernsehturm gab, ist heute alles zugewachsen.
Berlin ist großartig – auch und gerade im Sommer. Als Berlin-Redaktion wissen wir das natürlich. Und weil Zuhausebleiben in Coronazeiten ohnehin angesagt ist, machen wir da doch gern mal mit. Denn abseits der ausgetrampelten Touristenpfade und abseits der Pfade, die man selbst im Alltag geht, gibt es in dieser Stadt immer noch genug zu entdecken, sodass selbst Ureinwohner beeindruckt sind. Hoffen wir zumindest.
In loser Folge begeben wir uns in den nächsten Wochen auf Erkundungen, Stippvisiten und Spaziergänge. Nachlesen, was bereits erschienen ist, kann man unter taz.de/Sommer-vorm-Balkon. Nächste Folge: Eine Wanderung quer durch Berlin (akl)
Statt auf den Berg zu steigen, kann man sich auf eine der Bänke an seinem Fuß setzen und den Blick über die Auenlandschaft genießen, in der die Wuhle sich verliert. Wer zu Fuß oder mit Kindern unterwegs ist, kann am nahen S- und U-Bahnhof Wuhletal nach etwa der Hälfte des 16 Kilometer langen Radwegs den Ausflug beenden und ihn vielleicht an einem anderen Tag fortsetzen. Hinter der Bahnstation enden die Einfamilienhaussiedlungen, hier beginnt das Plattenbaugebiet von Marzahn-Hellersdorf.
Kein Geheimtipp
Der Wuhletalweg ist hier kein Geheimtipp mehr, sondern Ausflugsort für die Bewohner der Hochhäuser. Russlanddeutsche Familien schieben an den Wochenenden den Kinderwagen, Ehepaare führen den Hund aus, der sich auch über ein Bad in einem der vielen kleinen Seen freut, die das Feuchtbiotop hier bietet.
Kommt man aber an Wochentagen, kann man auch zwischen der Hochhauskulisse so etwas wie Naturidylle erleben. „Mittwoch vormittag habe ich sogar mal ein Reh im Schilf verschwinden sehen“, sagt Frank Petersen. „Wo sieht man sonst so etwas in Berlin?“ Petersen ist Pressesprecher des Bezirks Marzahn-Hellersdorf. Das Wuhletal gehört zum Stolz des Bezirks. „Die naturräumliche Bedeutung des Wuhletals ist aufgrund der artenreichen Tierwelt, der Auenwälder, Wiesen und Teiche in direkter Nachbarschaft zu Wohngebieten enorm.“ Das ist so ein Satz, mit dem der Bezirk wirbt.
2015 begann mit den Vorbereitungen auf die Internationale Gartenbauausstellung eine Aufwertung rund um den Kienberg. Am neu geschaffenen Wuhleteich, in den man die Beine baumeln lassen kann, lädt das Umweltbildungszentrum der Grün Berlin GmbH Kindergruppen und Familien zu Umweltseminaren ein, zu denen man sich allerdings anmelden muss. Man kann im Gemeinschaftsgarten gärtnern. Man kann Tiere, Pflanzen und Einzeller kennenlernen, die im Schilf leben. Oder man beobachtet die Pferde, Rinder und Schafe, die hier angesiedelt wurden, damit sie mit dem Abfressen der jungen Gehölze der Verbuschung entgegenwirken und helfen, die Auenlandschaft zu erhalten.
Auch ein Besuch in den Gärten der Welt bietet sich an. Und natürlich eine Fahrt mit der Seilbahn. Sie wurde eigens zur IGA in Betrieb genommen, damit die Besucher nicht das ökologisch sensible Wuhletal zertrampeln.
Auf ihrem weiteren Weg bleibt die Wuhle vom Fahrradweg aus oft unsichtbar. Nur eine Vertiefung in der Schilflandschaft ergibt eine Ahnung, wo sie fließt. In Ahrensfelde haben Kinder eine etwa einen Kilometer lange Teilstrecke des Radwegs mit bemalten Feldsteinen gesäumt. Am S-Bahnhof Ahrensfelde kann man die Radtour beenden und bequem mit der S-Bahn nach Hause fahren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“