taz-Serie Nachtzugkritik: Frische Trauben am Bahnsteig

Wer den Zug von Istanbul nach Bukarest nimmt, sollte viel Geduld und Zuversicht mitbringen. Dann aber kann die Fahrt zu einem tollen Erlebnis werden.

Blick aus dem Bosporus-Express von Istanbul nach Bukarest

Blick aus dem Bosporus-Express von Istanbul nach Bukarest Foto: Simon Descamps/hemis/laif

BUKAREST taz | Von Istanbul hat man nur eine Möglichkeit, mit dem Zug in den Westen zu kommen: den Bosporus-Express, der sich auf der Hälfte der Strecke Richtung Sofia und Bukarest teilt. „Express“ ist bei diesem Zug allerdings übertrieben: Über 20 Stunden sind für die Strecke von knapp 750 Kilometern nach Bukarest eingeplant. Zum Vergleich: Für die Strecke Hamburg-München mit ähnlicher Entfernung braucht der ICE zwischen 6 und 8 Stunden. Allerdings gehören zur Strecke auch zwei Grenzübergänge, die nicht ganz zum Schengenraum gehören.

Dafür kommt man mit dieser Verbindung für umgerechnet 50 Euro inklusive Bettreservierung im Vierer-Liegewagenabteil nach Bukarest. Andere Optionen gibt es nicht: Der Zug teilt sich in Bulgarien und nur der eine Wagen mit Vierer-Liegeabteilen fährt weiter Richtung Rumänien.

Online ist diese Verbindung nicht leicht zu finden: Internationale Bahnseiten zeigen den Zug kaum an und sowohl die rumänische als auch die türkische Buchungsseite streiken regelmäßig. Vor Ort ist es dafür sehr viel einfacher: Obwohl nur ein Wagen täglich in den Sommermonaten diese Strecke fährt, scheint der Zug nie ausgebucht. Im September kann man auch am selben Tag noch einfach ein Ticket am Schalter an der Istanbuler Station Sirkeci im Zentrum bekommen.

Die Fahrtbedingungen schweißen zusammen

Der Zug fährt allerdings nicht in Sirkeci ab, sondern in Halkalı am westlichen Rand Istanbuls – Endstation der Marmaray-Bahn. Dort trifft man bereits die ersten Mitreisenden, die alle nach dem Zug suchen, denn an Anzeigetafeln mangelt es. Eigentlich aber nur durch eine Gepäckkontrolle und steht schon am Zug.

Dass nur ein Wagen nach Bukarest fährt, heißt auch: Nur eine Sitz- und eine Hocktoilette und ein Waschraum für alle. Der Waschraum ist allerdings mit Putzutensilien vollgestellt; nicht sonderlich luxuriös das ganze, aber es erfüllt den Zweck. Zur Sicherheit sollte man sich extra Klopapier und Desinfektionsmittel mitnehmen. Und den Klogang möglichst früh planen, denn sie riechen immer unangenehmer, je weiter die Zeit im Zug voranschreitet.

Die unschlagbar günstige Zugfahrt zieht nicht nur Backpacker an, sondern auch Passagiere aus Rumänien und Bulgarien, die die Strecke öfter zu fahren scheinen. Eine Familie aus drei Generationen verteilt sich auf mehrere Abteile und hat sogar an Töpfchen für die Kinder gedacht.

Die lange Fahrt und eine gemeinsame Nacht schweißen zusammen: Hier kommt man mit Mitreisenden viel eher ins Gespräch als im Großraumwagen eines ICE nach München. Da kann man die Zeit gut mit einem Austausch über Reiseerlebnisse verbringen und mit Glück findet man Leute, die sich auf der Strecke auskennen.

Die Vierbettabteile bieten gerade genug Platz für Koffer und Personen, wenn sie voll besetzt sind. Die Sitze könnten gemütlicher sein und sind nicht für Menschen mit langem Rücken gemacht. Dafür werden die Betten später auf die Sitze geklappt und haben sogar richtige Matratzen. Frische Bettwäsche bringt der Schaffner vorbei. Das Rollo vorm Fenster und der Vorhang vor der Tür schirmen die Lichter von draußen eher weniger ab, da ist einem mit einer Schlafmaske gut geholfen. Voll ist der Zug aber anscheinend nie und ein gnädiger Schaffner lässt einen auch mal trotz Reservierung in ein leeres Abteil wechseln. Türkischkenntnisse helfen dabei.

Erste Kontrolle in der Nacht

Eine ruhige Nacht hat man allerdings auch allein im Abteil nicht: Für 01:28 Uhr ist die erste Grenzkontrolle angesetzt. Wer jetzt denkt, bis dahin wach zu bleiben sei die beste Lösung, liegt aber falsch: Dies ist nur die erste Grenzkontrolle, und wir sind nicht im Schengenraum, das heißt: Bis 5:56 Uhr wird man immer wieder von Pass-, Zoll- und Ticketkontrollen geweckt. Die längste Zeit für Schlaf in der Nacht, liegt um die Zeit also schon hinter einem. Und mit Pünktlichkeit sollte hier sowieso niemand rechnen: 01:28 ist zwar laut Plan Ankunft am Grenzbahnhof, tatsächlich geht die Passkontrolle aber erst um 02:00 Uhr los.

Nachtzüge sind eine umweltfreundliche Alternative zu vielen Flügen. Die taz stellt deshalb in loser Folge Verbindungen mit Schlaf- oder Liegewagen vor. Denn viele Ange­bote sind kaum bekannt. Wir schreiben aber auch, was besser werden muss, damit sie für mehr Menschen attraktiver werden.

Alle vorherigen Folgen finden Sie auf www.taz.de/nachtzugkritik.

An der türkischen Grenze müssen alle Passagiere aussteigen und verschlafen ihre Pässe den Beamten im Büro vorzeigen. Wer schnell aussteigt, wird auch schnell kontrolliert und kann den Rest der Wartezeit wieder im Zug verbringen. Oder deckt sich am Grenzimbiss noch mit Sandwiches, Bier und Kaffee für die Fahrt ein. Ein Bordbistro oder Trinkwasser gibt es im Zug nämlich nicht.

Die bulgarischen Grenz­be­am­t*in­nen lassen die Passagiere dagegen nicht aussteigen, sondern sammeln um 04:24 Uhr morgens lieber ihre Pässe ein. Das heißt, man kann liegen bleiben, muss aber auch darauf warten, dass man den eigenen Pass wieder zurückbekommt. Bis 05:41 dauert das.

Verspätungen gehören einfach dazu

Die lange Zugfahrt heißt aber, dass die Weiterreisenden den Schlafmangel von der Nacht noch am Tag nachholen können. Erst am Vormittag kommt wirklich wieder Leben unter den Passagieren auf. Der Zug aber zuckelt weiter in sehr gemütlichem Tempo durch die Landschaft. Immer wieder bleibt er an einem verlassenen Bahnhof stehen, wird umrangiert oder von Bahnpersonal überprüft.

Im bulgarischen Gorna Orjachowiza dauert das am frühen Nachmittag eine ganze Weile. Gut, wer sich da auskennt oder etwas traut: Über die Gleise kann man einfach mal eben gegenüber zum Imbiss laufen und lernt dann auch noch den Bahnhofsvorsteher kennen, der ausländische Touristen gerne mit frischen Weintrauben aus seinem Garten versorgt. Eine Ansage, wie lange der Zug wo stehen bleibt gibt es genauso wenig wie Informationen zur Verspätung. So rollt der Zug plötzlich langsam davon, während ein paar Passagiere noch auf dem Bahnsteig stehen. Der Schaffner winkt lächelnd, der Bahnhofsvorsteher steht weiter gelassen neben den Passagieren am Bahnsteig. Denn schon kommt der Zug zurück – er hatte nur das Gleis gewechselt. Gemütlich führt der Bahnhofsvorsteher über die Gleise zurück zum Zug, bevor dieser tatsächlich weiterfährt.

Den Rest der Fahrt verstreicht mit Beobachtungen der Landschaft und Leute an den Bahnhöfen, mit dem Austausch von Reisegeschichten mit Mitreisenden, spielen, lesen und essen, aber mit wenig Zeit am Handy, weil der Zug keinen Strom zum Laden hat. Als der Zug nach fast 22 Stunden mit etwa anderthalb Stunden Verspätung um etwa 18:30 Uhr in die Gara de Nord von Bukarest einrollt, stehen die meisten Passagiere schon ungeduldig vor der Tür, während andere noch ihr Kartenspiel beenden. Am besten achtet man hier gar nicht auf Verspätungen – sie gehören sowieso dazu.

Ja, 20 Stunden Zugfahrt sind lang. Aber mit etwas Glück und den richtigen Mitreisenden vergeht die Zeit trotzdem fast wie im Fluge, nur besser: Man erlebt noch etwas von Land und Leuten und kann sich langsam wieder auf einen neuen Ort einstellen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.