taz-Recherche zu rechtsextremen Preppern: Zuflucht rechts außen
Sie halfen der Bundeswehr in der Coronakrise. Und fantasierten vom „Rassenkrieg“.
D ie erste Nachricht ist eine praktische. Jörg K. tippt sie am 7. September um 6.21 Uhr früh. Er will haltbare Nahrung kaufen – solche, die auch Soldaten nutzen, mit vielen Kalorien, mindestens zwanzig Jahre haltbar. Er fragt, ob er für andere mitbestellen soll. Es ist das Jahr 2015, gerade sind Tausende Geflüchtete in Zügen aus Ungarn in Deutschland angekommen. Eine Woche zuvor hat Bundeskanzlerin Angela Merkel gesagt: „Wir schaffen das.“
Jörg K. will vorbereitet sein, wenn alles zusammenbricht. Er schreibt seine Nachricht in einer Chatgruppe auf Facebook, in der sich eine Handvoll Freunde austauschen. Von nun an besprechen sie dort, wie sie sich Vorräte anlegen und im Notfall gemeinsam kämpfen wollen. Der Ton wechselt dabei zwischen alarmiert und spaßhaft. Die Gruppe spricht darüber, wie sie sich Waffen und Munition besorgen, wo sie schießen üben können – und wohin sie sich zurückziehen, wenn der „Rassenkrieg“ ausbricht. So nennen sie das, was sie durch die Flüchtlingszuwanderung kommen sehen.
Die Planung läuft monatelang.
Die Gruppe will am Tag X Zuflucht suchen in einem Dorf unweit von Leipzig, dem Wohnort von Jörg K. Er ist Sozialpädagoge und ehrenamtlicher Friedensrichter, eine Art Streitschlichter in seiner Gemeinde. Im Chat schreibt er mit Blick auf die ankommenden Flüchtlinge: „Realistisch betrachtet sind wir schon tot, es geht nur noch um die reibungslose Schlüssel- und Hausübergabe …“ Es sei aber sein Ziel, es den Geflüchteten „so schwer wie möglich zu machen“.
Empfohlener externer Inhalt
Michael S. kennt Jörg K. schon seit Jahren. Sie gehen zusammen demonstrieren, Bier trinken, hin und wieder mal schießen. Das alles geht aus den Chats hervor. Michael S. schreibt: „Gottlob hat Mitteldeutschland bei so manchem Kanaken keinen so tollen Ruf und zudem nicht die gewachsene Kanakeninfrastruktur wie im Westen … Volk will eben am liebsten zu Volk …“ Zwar seien „die Deutschen verschlafft“, aber man sei „denen an Zahlen noch überlegen“.
An anderer Stelle schreibt Jörg K. über die Gesellschaft, die er aufbauen will: „Kampfspiele führen wir auch ein … nur wer überlebt, ist es wert, gefüttert zu werden.“ Michael S. antwortet: „Hmm, der Rassenkrieg scheint doch ganz lustig zu werden.“
Jörg. K. lädt auch seine Frau Jana K. in die Gruppe ein. Über Personen aus ihrem Umfeld, die sich für Geflüchtete engagieren, schreibt sie: „Dieses rote Pack. Ich könnte nur kotzen …“
Ein Steuerberater, Danilo R., meldet sich zu Wort: „Bin kurz vorm Durchdrehen;)“ Und: „Ich brauch ne Wumme.“ Kurz beraten sie in der Gruppe, ob er sich in einem Schützenverein anmelden soll, um eine Waffe zu bekommen. „Glaube nicht …“, schreibt Danilo R. selbst, „ne illegale ist besser.“
Diese Aussagen sind Originalzitate der Gruppenunterhaltung. Wir haben nur Rechtschreibung und Zeichensetzung sanft korrigiert, um die Lesbarkeit zu verbessern. Der gesamte Chatverlauf ist der taz gemeinsam mit rund einem Dutzend anderen privaten Facebook-Unterhaltungen zugespielt worden, ausgedruckt wären das rund 2.000 Seiten. Sie zeigen, wie eine rechtsextreme Gefahr entsteht.
Die Klarnamen aller Beteiligten sind uns bekannt, teilweise haben wir mit ihnen gesprochen. Wir haben mit Menschen geredet, die sie persönlich kennen, haben auch die relevanten genannten Orte besucht, um die Schilderungen in den Chats zu überprüfen. Die Beteiligten sind Leute, über die Lokalzeitungen berichteten, weil sie sich für die Gemeinschaft engagieren. Manche stehen als Reservisten der Bundeswehr bereit. Kurzum: Sie sind ein Teil der Zivilgesellschaft, von der unser Land lebt.
Als wir tiefer recherchieren, dringen wir in ein ganz anderes Milieu vor. Ausgangspunkt unserer Recherche ist die Leipziger Burschenschaft Germania, in der alle Männer der Gruppe Mitglied sind. Diese völkische Verbindung hält sie zusammen, geeint in einer rechtsextremen Gesinnung. Wir treffen auf Pegida, die rechtsextreme Identitäre Bewegung, bis wir schließlich vor Büros der AfD stehen. Was wir nicht finden: Ermittlungsbehörden oder Nachrichtendienste, denen die Gruppe um Jörg K. und Michael S. bereits aufgefallen wäre.
Die Mitglieder der Gruppe sind engagierte Leute mit einem zweiten Gesicht. Wir wollen wissen: Waren die Freunde damals wegen einiger Geflüchteter vielleicht nur so verängstigt, dass sie es verbal übertrieben? Wie denken sie heute, angesichts einer neuerlichen Krise?
Die geleakten Chats geben seltenen Einblick in eine verborgene Gedankenwelt. Sie erzählen davon, wie dünn manchmal die Trennlinien zwischen berechtigter Sorge, übertriebener Vorsorge und Rechtsextremismus verlaufen können.
Das Zahnarztpaar
Als Gunnar G. im April 2020 zum ersten Mal zu einer Sitzung des „Stabes Außergewöhnliche Ereignisse“, eine Art Coronakrisenstab, in einem Landkreis in Sachsen-Anhalt fährt, ist er gut vorbereitet. Als Reservist hat er bereits 213 Wehrübungstage absolviert, das ist sehr viel im Vergleich zu anderen. Die Bundeswehr hat ihn auch ausgezeichnet mit dem Ehrenkreuz in Silber und der Einsatzmedaille „Fluthilfe 2013“. Das alles steht in seinem zweiseitigen Lebenslauf, den er ausgedruckt für die anderen Mitglieder des Krisenstabes mitbringt.
Gunnar G., Mitte vierzig, ist Zahnarzt. Seine Aufgabe im Coronakrisenstab: gemeinsam mit dem Landrat, mit Verwaltungsmitarbeitern, dem Gesundheitsamt und anderen Experten beraten, wie die Coronapandemie im Landkreis eingedämmt werden kann. Er soll entscheiden, welche Art von Amtshilfe die Bundeswehr leisten kann. Er ist jetzt Oberfeldarzt G.
Gunnar G. ist zwar Mitglied der Gruppe, aber nicht in deren Chat. Er hat kein Facebook-Profil – dafür aber seine Frau Astrid G. Sie erwähnt ihn in der Gruppe häufig, beispielsweise als sie vorschlägt, über ihre Zahnarztpraxis Antibiotika und Schmerzmittel für alle zu besorgen. „Die sind verschreibungspflichtig“, schreibt Astrid G. im Chat, „da habt ihr jetzt alle Eiterzähne.“ Und: „Gunnar darf alles.“
Gunnar G. besitzt Waffen, so steht es im geleakten Chat, und auch, dass er sich Schusswesten und Schlagstöcke bestellt. Seine Frau schreibt: „Ich will auch mit Stöcken kloppen.“
Immer wieder diskutiert die Gruppe, wen sie noch dazuholen. Einer schreibt, Gunnar habe Robby A. vorgeschlagen und: „Ist, glaube ich, der einzige von uns, der Skrupel schon überwunden hat, wenn es drauf ankommt jemanden wegzumachen:-).“ Ein anderer schreibt: „Wenn ihr Robby mitteilt, dass er mit seiner Madame willkommen ist, sollte er schon auch was an Lebensmitteln mitbringen, nur mal zwei Somalier aus der Ferne umgenietet zu haben, ist jetzt nicht so die Riesenkompetenz …;-).“
Wir bitten Gunnar G. um ein Gespräch. Wir sagen, dass wir über sein Engagement im Krisenstab sprechen wollen. Er wiegelt ab und sagt, er wolle nicht in der Öffentlichkeit stehen. Der Stadtteil Leipzig-Connewitz mit seinen Autonomen sei nur ein paar Autominuten entfernt, und die lehnten die Bundeswehr ja zuweilen ab. Als wir das Jahr 2015, die Gruppe und die Vorsorgepläne erwähnen, beendet er das Gespräch abrupt.
Sonst ist der Zahnarzt offenbar nicht so wortkarg. Einmal schreibt Jörg K. in der Gruppe an Astrid G. gerichtet: „Könntest Du bitte mal dem Gunnar nen Maulkorb verpassen? Ich dachte schon, ich quatsche viel. Aber das geht nun wirklich nicht, wenn er meinen Schwiegervater zu blubbert, was wir hier machen.“
Wir fragen uns, wie das sein kann: Ein Bundeswehrreservist sorgt privat für eine Krise vor, er bewegt sich in Kreisen, in denen von „Rassenkriegen“ geredet wird, und ist bei offiziellen Planungsrunden eines Krisenstabs dabei? Und niemand bekommt etwas von seiner politischen Einstellung mit?
Zu Beginn der Coronakrise hatte das Verteidigungsministerium Reservisten aufgerufen, sich zu melden, insbesondere solche mit medizinischem Wissen. Die Bundeswehr soll Amtshilfe leisten, Einsatz im Innern also, aber ohne hoheitliche Befugnisse.
Die Bilder, die man dann davon sieht: Männer in Uniform, die Feldbetten aufstellen, Männer, die Masken sortieren. Oder auf der Webseite des Landkreises Gunnar G., der mit den lokal Verantwortlichen über die Details der Krisenvorsorge spricht. Das heißt immer auch: Darüber, wo der Staat verwundbar ist.
Ein Mitglied des Coronastabs wunderte sich über den überaus motivierten Reservisten G., der zu den nachmittäglichen Sitzungen in Flecktarnuniform und Stiefeln erschien: „Ich hatte das Gefühl, der hat sich da reingedrängelt. Der war so heiß, in dem Gremium zu sitzen.“
Wir bitten das Landeskommando Sachsen-Anhalt der Bundeswehr um ein Gespräch darüber, wie bei der Einberufung von Reservisten überprüft wird, wer sich aus welchen Motiven meldet. Als wir andeuten, dass wir uns mit einer bestimmten Gruppe beschäftigen, sagt der Pressesprecher am Telefon, er kenne die meisten Reservisten, er könne sich nicht vorstellen, dass es ein Problem mit denen gebe. Er ruft nie zurück.
Dafür meldet sich der Militärische Abschirmdienst, der Geheimdienst der Bundeswehr. An ihn hatten wir zwar noch keine Frage gerichtet, erfahren aber in einem Gespräch, aus dem wir nicht zitieren dürfen, dass neue Reservisten zwar überprüft würden, aber nicht jene, die schon länger regelmäßig eingezogen wurden. Es bleibt eine Zuständigkeitslücke: Der MAD ist für Reservisten nur in jenen Stunden und Tagen zuständig, in denen sie aktiv sind.
Die restliche Zeit sei der Verfassungsschutz zuständig. In einer gemeinsamen Arbeitsgruppe tauschen sich die Geheimdienste über die bekannten Fälle aus. Was, wenn Gunnar G. und seine Freunde diese Lücke nutzen, um sich gemeinsam für den Tag X auszubilden?
Wir finden jedenfalls keine Hinweise, dass der MAD oder der Verfassungsschutz etwas über das Treiben von Gunnar G. und seinen Freunden herausgefunden haben.
Eine Person aus dem Coronakrisenstab erinnert sich, wie Gunnar G. vorschlug, einen Arzt aus Leipzig als Experten einzuladen, mehrfach. Er kam dann auch. Was Gunnar G. verschwieg: Der Arzt und er kennen sich schon lange. Auch er war 2015 über die Prepper-Aktivitäten der Gruppe informiert, er soll darum gebeten haben, mit ihnen schießen gehen zu dürfen. Das geht aus den Chats hervor.
Die Männer sind Alte Herren der Burschenschaft Germania Leipzig, einer schlagenden Verbindung im Dachverband Deutsche Burschenschaft, den vor einigen Jahren viele Mitglieder wegen seines Rechtskurses verlassen haben. Die Germania Leipzig hat eindeutig Verbindungen zu rechtsextremen Kreisen. Ihre Farben: Schwarz, Weiß, Rot.
Der Arzt aus Leipzig und Gunnar G. sowie Michael S., Jörg K. und Danilo R. aus der Chatgruppe sind alle bei der Burschenschaft Mitglied. Die Verbindung ist für sie ein lebenslanges Netzwerk, das sich in alle möglichen Richtungen verzweigt. Mit einigen aus diesen Reihen tauschen sie sich ab 2015 auch in einer weiteren Chatgruppe namens „Endkampf“ über die Vorbereitung auf eine drohende Krise aus. Aber die wichtigsten Dinge besprechen sie dann doch lieber im kleineren Kreis.
Der AfD-Mitarbeiter
Michael S. ist jemand, der mehrere Tausend Schuss Munition zu Hause hat, ein Sportschütze und Jäger. Auch das steht in den Chats. Im Jahr 2015 kauft er sich demnach eine Machete, bestellt Schlagstöcke. In einer Nachricht an Jörg K. schreibt er: „Ich hab extra eine Waffe mit der am weitesten verbreiteten Mun[ition] ausgewählt, die gibt’s dann auch am ehesten in Krisenzeiten.“
Michael S. ist aber auch derjenige mit guten Kontakten ins rechtsextreme Milieu. Er war von Anfang an bei Legida dabei, dem Leipziger Ableger von Pegida, laut dem Verfassungsschutz Sachsen radikaler als das Original aus Dresden. Außerdem ist S. bei der Identitären Bewegung aktiv, die heute vom Verfassungsschutz beobachtet wird, sie hat auch schon mal zusammen mit der Leipziger Burschenschaft einen Stammtisch veranstaltet. Auch im Landtag von Sachsen-Anhalt erinnert man sich an S. Er ist der mit Schmiss.
Bis Herbst 2019 war Michael S. in Magdeburg Referent der AfD-Landtagsfraktion. Einem Chemnitzer Neonazi schreibt er über seine Arbeit in der Fraktion: „Super Job, gute Leute. Die Referenten. Die Abgeordneten dumm und faul.“ Die Stimmung bezeichnet er auch mal als „ausgelassen hitleristisch“.
S. macht sich daran, nach und nach auch andere Burschenschaftler aus seinem Netzwerk für die Fraktionsarbeit zu rekrutieren; als die AfD 2017 in den Bundestag einzieht, schafft es einer seiner Kontakte ins Bewerbungsverfahren für das Büro von Alice Weidel. Er ist heute ihr Sprecher. Einmal berichtet Michael S. von seinem Ziel: die liberaleren Verbände mit Burschenschaftlern zu unterwandern.
Auch ihn kontaktieren wir. Er antwortet nicht.
Im Landtag beschreiben Abgeordnete anderer Fraktionen die Arbeit der AfD so: Die Referenten seien sehr strategisch, eine Seilschaft. Wir hören: „Die AfD hat in unserem Landtag eine enorme Gestaltungsmacht. Die CDU lässt sich von ihr vor sich hertreiben.“ Nichts sei ihnen zu billig, nichts zu dumm, wenn nur die Außenwirkung stimmt. Michael S. aber sei strukturiert, intelligent. Zu ihm passe eines: das Streben nach Macht.
Regelmäßig fragt die Linksfraktion im Bundestag, ob der Verfassungsschutz extremistische Bestrebungen in Burschenschaften erkennt. Das Bundesamt bestätigt „vereinzelte“ Kontakte in die rechtsextreme Szene, verweist jedoch auf die Zuständigkeit der Länder. In Sachsen, wo die Germania Leipzig ansässig ist, teilt uns der zuständige Verfassungsschutz mit, dass es derzeit im Land keine Anhaltspunkte für eine Gefährdung durch eine Burschenschaft gebe. Der Chef des sächsischen Verfassungsschutzes ist selbst Mitglied einer Burschenschaft.
In Sachsen-Anhalt hatte die Linkspartei kürzlich nachgefragt, was die Landesregierung über extremistische Bestrebungen von Burschenschaften weiß. Die Antwort Anfang April: Derzeit seien der Landesregierung keine extremistischen Bestrebungen in Sachsen-Anhalt bekannt. Da waren Michael S. und seine Burschenschaftsfreunde bereits jahrelang bei der AfD-Fraktion beschäftigt gewesen. Gemeinsam hatten sie sogar die Neugründung der Burschenschaft Germania Magdeburg in der Landeshauptstadt vorangetrieben.
Am 20. Juli 2015 schreibt Hannes R., ein weiterer, späterer Fraktionsmitarbeiter mit Germania-Leipzig-Mitgliedschaft, in einer Nachricht an Michael S. von einem persönlichen Treffen mit Götz Kubitschek, dem Ideengeber der Neuen Rechten. Er beschreibt ihn als „handzahm im persönlichen Gespräch“. Wenn er ihm zuhöre, fühle es sich an „wie tausend Winde, die von unserer Ankunft singen“.
Hannes R. berichtet im Jahr 2015 auch von Kubitscheks Plänen, einen intellektuellen Salon in der Region zu etablieren, strategisch organisiert, „waffenstudentisch getragen“. Seither hat Kubitschek tatsächlich diesen Ort auf seiner Burg in Schnellroda geschaffen, die inzwischen Anziehungspunkt für die extreme Rechte ist. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat Kubitscheks „Institut für Staatspolitik“ mittlerweile als rechtsextremen Verdachtsfall eingestuft.
Im Spätsommer 2015 schreibt Hannes R. an Michael S.: „Götz baut übrigens bereits an paramilitärischen Verbänden.“
Der Wahrheitsgehalt dieser Aussagen ist nicht überprüfbar. Wir sprechen mit Abgeordneten in Bund und Ländern, die Mitglied in den Geheimdienstgremien ihrer Parlamente sind, und fragen Verfassungsschutzbehörden, wir kontaktieren Menschen, die intensiv zu Kubitschek recherchieren; aber wir finden niemanden, der je von paramilitärischen Gruppen in Schnellroda gehört hat. Auch Götz Kubitschek dementiert auf Anfrage, sich mit dem Aufbau paramilitärischer Verbände befasst zu haben.
Einer sagt uns: Vielleicht ist damit die Identitäre Bewegung gemeint, die ja durchaus gewaltsam agiere. Kubitschek gilt als wichtiger Unterstützer, seine Kinder waren teils bei Aktionen dabei. Wir wissen nicht, wie nah Michael S. und Hannes R. Kubitschek sind.
Was aber auffällt: Die Burschenschaftler um Michael S. sehnen sich offenbar danach, im Kampf die Republik zu übernehmen. In einem Gruppenchat, in dem ein gutes Dutzend Mitglieder der Germania Leipzig dabei sind, träumen sie zwischen Saufgeschichten, plumpen Sexfantasien und plattem Rassismus davon, wie ein Freikorps aus den 1920er Jahren zu kämpfen. Das Vorbild ihrer Umsturzromantik: das Zeitfreiwilligenregiment Leipzig, das 1920 gegen die Kommunisten kämpfte.
Fast hundert Jahre später, 2015, in der Gründungsphase der Leipziger Identitären Bewegung, heißt es in dem Burschenschaftschat: „Unser Gedanke ist, die Ortsgruppe Leipzig zu übernehmen und daraus ein neues Zeitfreiwilligenregiment aufzubauen.“ Es soll „militanter“ sein, als die bislang stärkste deutsche Gruppe der IB in Halle. Sogar ein Erkennungszeichen haben sie für diese Gelegenheit festgelegt: eine weiße Armbinde.
Michael S. ist auch Bundeswehrreservist, Hauptmann der Reserve. Er organisiert Treffen mit anderen Reservisten seiner Burschenschaft und fährt mit Gunnar G. zu Wehrübungen. Er wirbt bei seinen Burschenschaftskontakten dafür, sich als Reservist zu melden. Mindestens seit 2012 ist er Funktionär des Reservistenverbandes Sachsen, des ehrenamtlichen Arms der Reservistenorganisation. Als wir beim Verband nach ihm fragen, kennt man ihn. Seine rechte Gesinnung soll nicht aufgefallen sein.
Auch Michael S. steht während der Coronakrise auf einer Bereitschaftsliste, für das gleiche Kreisverbindungskommando wie Gunnar G. Das geht aus interner Bundeswehrkommunikation hervor, die der taz vorliegt.
Einmal schreibt Jörg K. in der Chatgruppe, dass er sich vielleicht auch als Reservist reaktivieren lasse. Michael S. antwortet ihm: „Na klar, und wenn es nur darum geht nen Ausweis zu bekommen und ne Uniform, damit kann man dann in der Übergangszeit als Vertreter der Staatsmacht auftreten und Enteignungen durchführen.“
Jörg K. schreibt in den Chats, er sei dann wirklich wieder Reservist geworden.
Die engagierte Familie
Eine halbe Stunde und schier endlose Getreidefelder von Leipzig entfernt, kurz vor einer Putenfarm von der schmalen Landstraße abgebogen, liegt das Dorf, das die Chatgruppe zu ihrem Zufluchtsort erkoren hat. Gut 100 Menschen wohnen hier, die meisten zugezogen, sie haben den Ort vorm Sterben gerettet. Auch die Familie von Jörg K. lebt hier. Er ist Ende vierzig und Vorsitzender des Bürgervereins. Im Jahr 2017 formulierte er in der Lokalzeitung seinen größten Wunsch für den Ort: eine Beleuchtung auf dem Weg zum Volleyballfeld, „das wäre dann das Absolute“.
Über andere Wünsche spricht er nicht so öffentlich. In einer Nachricht an Michael S. schreibt er über eine Waffe, die er sich anschaffen will: „Was Robustes mit leichtem Handling und wo man nicht bei jedem Schuss nachladen muss …“
Michael S. schlägt ihm eine Waffe mit Zielfernrohr vor. Jörg K. schreibt: „Für uns Blindgänger erhöht das Chancen bei nem versuchten Kopfschuss die Kniescheibe zu treffen:-)“.
Es bleibt in der Gruppe nicht bei der Theorie. Sie trainieren das Schießen, etwa in Leipzig. „Wir sind heute 15 Uhr im Schießkeller sollte noch jemand Lust haben“, schreibt Jörg K. Und Michael S. regt einmal an, dass auch „die Damen“ mitkommen.
Aber Michael S. kennt noch einen besseren Ort: eine moderne Schießhalle mit sechs 100-Meter-Bahnen, in der jahrelang auch die Bundeswehr trainierte. Ende Dezember 2015 schreibt S. im Chat, er habe es dort gestern „richtig krachen lassen“. Und das war mutmaßlich illegal: Wir erfahren von der Waffenbehörde, dass die Schießanlage zu diesem Zeitpunkt offiziell keine Betriebserlaubnis mehr hatte. Niemand hätte dort schießen dürfen.
Sucht man im Internet nach Jörg K., findet man keinen Hinweis darauf, dass er gerne schießen geht und von Kopfschüssen fantasiert. Stattdessen: Jörg K., der Sozialpädagoge, der mit seiner Frau Jana K. Pflegekinder aufzieht. Jörg K., der stellvertretende Friedensrichter seiner Gemeinde, der in offiziellem Auftrag bei kleineren Streitigkeiten schlichten soll.
In den Chats klingt er ganz anders. In einer Nachricht an Michael S. schreibt er: „Prinzipiell wäre ich ja auch für ein einfaches Rechtssystem. Es gibt als Strafen nur die Todesstrafe und vogelfrei … würde auch ne Menge Geld sparen …“
Einmal fragt er Michael S., ob er bei sich selbst Munition deponieren dürfe, ohne die offiziellen Genehmigungen für Waffen. S. antwortet: „Nüscht darfste lagern.“ Und weiter: „Aber es weiß ja keiner, dass du was hast.“ Später schiebt er hinterher: „Das is im Frieden das Problem, wenn alles kippt, isses aber eh egal.“
Michael S. vermittelt auch den Kontakt zu einem Reservisten in Nordsachsen, der dort Schießbeauftragter ist. Er soll Jörg K. helfen, Schießnachweise für die Waffenbehörde zu fälschen. „Bzgl. der ‚Spende‘ sind 50,- mehr als großzügig“, schreibt Michael S.
Es ist schwer vorstellbar, dass nie auffiel, wie weit rechts außen Jörg K. politisch zu verorten ist. Im Jahr 2002 protestierte er gegen die Wehrmachtsausstellung in Leipzig, 2005 wollte er für die rechtspopulistische Deutsche Soziale Union in den Bundestag einziehen.
Ab 2014 fuhr er mit seinem Bus und seinen Burschenschaftsbrüdern regelmäßig zu Pegida. Und als sich dann überall Ableger der islamfeindlichen Demos formierten, ging er im Nachbarort demonstrieren. Mit einer Fahne der Identitären, wie er im Chat schreibt. Seine Frau Jana K. saß in der Zeit für die CDU im Gemeinderat.
Und Behörden vertrauten ihnen Pflegekinder an.
Ein Anruf bei Jörg K. Ein Montagabend, er nennt mit lauter Stimme seinen Namen, im Hintergrund hört man Kinder. Spricht man ihn auf die Aktivitäten seiner Gruppe an, die Krisenvorbereitung, tut er so, als müsse es sich um eine Verwechslung handeln. S. und G. kenne er privat, sagt er, aber: „Es gibt keine Gruppe.“ Und was war mit den Waffen und den Schießtrainings? „Sagt mir nichts.“ Und: „Weiß nicht, was Sie da meinen, was da mit der Flüchtlingskrise gewesen sein soll.“
Für einen kurzen Moment redet er dann doch. Sie seien ja Selbstversorger, seine Frau und er, sagt er. Und: „Ich bin Veganer.“ Auch im Chat macht Jörg K. seine Ernährungsweise immer wieder zum Thema. Konkrete Fragen lässt er am Telefon aber nicht zu, ein persönliches Gespräch lehnt er ab.
Dabei hätten wir gerne gewusst, ob sich an seiner Einstellung und seinen Aktivitäten womöglich etwas geändert hat. Wir hätten von Jörg K. gern gewusst, was er damit meinte, als er schrieb: „Also hilft bei uns um die Ecke nur die Hütte anzünden.“ Ist mit „Hütte“ eine Flüchtlingsunterkunft gemeint? Und: Woher weiß er, dass seine Armbrust „durch Menschen durch auf 15 Meter Entfernung“ geht?
Die Chats der Zufluchtsgruppe enden abrupt am 20. April 2016, andere Unterhaltungen reichen bis ins Jahr 2018 hinein. Wir wissen aber nicht, ob die Gruppe keinen „Rassenkrieg“ mehr herannahen sah oder ob sie ihre Unterhaltungen woanders weiterführten. Mehrfach schreiben Leute, dass man nun auf Threema umsteige, weil dieser Messenger sicherer sei. Sie fürchten, Geheimdienste könnten mitlesen.
Es bleibt deshalb unklar, wie die Gruppe im wirklich geschützten Raum miteinander sprach. Wir wissen auch nicht, ob sich Einzelne heute von Rassismus und Umsturzfantasien distanzieren. Die Gelegenheit dazu haben sie uns gegenüber nicht ergriffen.
Nach allem, was wir wissen, sind die Mitglieder der Gruppe wegen all dem juristisch bislang nicht belangt worden. Einige der fraglichen Delikte – Verstoß gegen das Waffengesetz, Rezeptbetrug oder gefälschte Schießnachweise – dürften bald verjähren. Und es bleibt erst mal unklar, ob das, was die Gruppe machte, Vorbereitungen für rechtsextremen Terror war.
Es gibt jedenfalls aktuelle Beispiele, bei denen aus Chats echte Terrorpläne wurden: Bei der Gruppe S. etwa, gegen die der Generalbundesanwalt ermittelt und von der seit Februar ein Dutzend Mitglieder in Haft sitzt. Es kann auch keiner sagen, was passieren müsste, dass aus den Ideen von Michael S., Jörg K. und den anderen Taten werden.
Ideen für eine ganz eigene Gesellschaft gab es wohl sehr konkrete. Am 14. September 2015 beginnen Michael S. und Jörg K. in einer eigenen Unterhaltung zu planen, wie sie das Dorf in Sachsen unterwerfen und seine Bewohner zwangsrekrutieren wollen.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Michael S.: „Auf dem Land sehe ich die günstigsten Voraussetzungen, die Krise zu überstehen, ihr seid ausreichend weit ab vom Schuss, habt Zugang zu Wasser und die Möglichkeit auf offenem Feuer zu kochen. Zudem biste in die Dorfgemeinschaft eingebunden! Keine dumme Polizei oder BW in der Nähe, die in der Krise mehr Unruhe machen als Schutz dienen, das können wir selber!“
Jörg K.: „Wenn wir merken, dass [Name des Dorfes] auch sinnlos ist, ist die Chance dort auf nen Zwischenstopp nicht schlecht, vor allem Ostgrenze in der Nähe und etwas ruhiger … Ob man da in nem bewaffneten Gesamtkonvoi fährt oder getrennt, muss man schauen.“
Michael S.: „Und warum sollte [Name des Dorfes] nicht zu halten sein?“
Michael S.: „ZUFAHRTEN WEGBAGGERN UND EIN PAAR PLÜNDERER UMNIETEN!“ […]
Michael S.: „Und die Häuser sehen für Plünderer nicht verlockend aus, v.a. nicht, wenn ein paar Gewehrläufe rausgucken!“ […]
Michael S.: „Jeder Mann zw. 18 und 56 muss dienen, ggf. zw. 16-60, je nachdem wieviele das sind, die jungen nur als Meldegänger.“
Michael S.: „Natürlich sind die Kranken und Schwachen raus“ […].
Michael S.: „10 Gebote aufstellen“ […]
Michael S.: „Strafen für Mundraub, Vergewaltigung u.ä. überlegen, zumindest Ausweisung“
Jörg K.: „Japp, die bekommen ein Konzept … sososo wird’s gemacht, wer nicht mitmacht, hat zwei Tage Zeit das Dorf zu verlassen. Punkt.“
Dann schlägt Jörg K. eine Aufgabenverteilung vor.
Gunnar G. Hygiene. „Er bekommt noch zwei Physiotherapeutinnen aus dem Dorf zugeteilt und eine Krankenschwester.“
Astrid G. Lebensmittelverwaltung.
Jana K. „Frauenführerin im Dorf, alles was sonst anfällt, Kinderbetreuung bis Regelblutung“.
Michael S. und Robby A. „Militärischer Arm, alles was offensiv und Soldat ist“.
Danilo R. Bau der Defensivanlagen. „Barrikaden, Einzelsicherungsanlagen, Telefonverbindungen.“
Über sich selbst sagt er: „Ich ein bisschen Obermotz, da ich alle kenne und am besten weiß, wo wer aufgehoben ist …“
Kommt der Tag X, hat das Dorf in Nordsachsen einen neuen Führer.
Mitarbeit: Natalie Meinert
Christina Schmidt, taz-Reporterin und Sebastian Erb, Redakteur der taz am wochenende, recherchierten mehrere Wochen für diesen Text. Sie wurden dabei vom Recherchekollektiv LSA Rechtsaußen unterstützt.
Eleonore Roedel ist freie Grafikerin in Berlin. Sie fand die seltsame Welt der Prepper visuell inspirierend.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen