taz-Recherche zu rechtem Netzwerk: Hannibals Reisen
Uniter will jetzt auch Autokraten unterstützen. Deutsche Behörden rätseln derweil: Ist der Verein gefährlich?
In dem Tagungsraum, das lässt sich anhand von Fotos nachvollziehen, sitzen rund drei Dutzend Männer und zwei Frauen, manche tragen die Uniform der philippinischen Nationalpolizei, andere sind zivil gekleidet. Einer der Teilnehmer war früher Provinzgouverneur und möchte es jetzt wieder werden. Er macht Fotos von der Veranstaltung und postet sie später auf Facebook, so, als sei es selbstverständlich, dass ein deutscher Verein sich mit Leuten vernetzen will, die im Dienste eines Autokraten stehen.
Der heißt Rodrigo Duterte. Der philippinische Präsident hat seine Polizisten und Soldaten angewiesen, Drogenkriminelle ohne Prozess zu erschießen, und sagt über sich: „Ja, das ist wahr. Ich bin ein Diktator.“ Bei dem Treffen im Hotel posieren die Teilnehmer schließlich für ein Foto mit ausgestreckter rechter Faust – Dutertes Machtgeste. Auch der Uniter-Vertreter macht mit.
Im Verein Uniter e. V. vernetzen sich Elitesoldaten mit Polizisten aus Spezialeinheiten, aktiven und ehemaligen, Unternehmern der Sicherheitsbranche und Zivilisten. Der Referent zeigt ein Abzeichen, das Mitglieder erhalten, die eine Kommandoausbildung des Vereins durchlaufen: ein Wolfskopf mit gefletschten Zähnen. Dazu in Latein: „Semper Fidelis“, für immer treu.
Der Referent zeigt in dem Tagungsraum die Pläne Uniters für die Philippinen: Ziel eines zwei- bis vierjährigen Trainings sei, so ist es in der Präsentation auf Englisch zu lesen, dass die Teilnehmer auf Extremsituationen reagieren können. „An diesen Modulen kann jedermann teilnehmen und Erfahrungen mit Waffen sind nicht notwendig.“ Neben dem Text ein Foto: sieben Zivilisten in Camouflage, manche mit Schutzwesten, die Gewehre im Anschlag, als sicherten sie sich gegen Feinde ab.
Uniter veröffentlicht Mitte Februar selbst einen Bericht über das Treffen auf seiner Webseite. Teilgenommen hätten „hochrangige Mitglieder der Polizei, von Heer, Luftwaffe und der Navy, aber auch Mitarbeiter staatlicher Dienste und freier Sicherheitsfirmen, der Berufsfeuerwehr sowie einige Diplomaten und Anwälte“. Statt das Land zu benennen, schreibt der Verein nur von „Südostasien“. Geht es nach Uniter, diente das Treffen dem Zweck, neue Mitglieder für das internationale Netzwerk zu gewinnen.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Was nicht im Verborgenen stattfindet, kann ja kein Problem sein. Oder?
Im November 2018 berichtete die taz erstmals über ein Schattennetzwerk aus Soldaten, Polizisten und Behördenmitarbeitern, die sich auf einen sogenannten Tag X vorbereiteten. Die Mitglieder organisierten sich in Chatgruppen, die es heute nicht mehr gibt, und bei persönlichen Treffen, auch mit Hilfe des Vereins Uniter. Viele der Mitglieder waren sogenannte Prepper – das Wort kommt vom englischen „prepare“ –, sie bereiteten sich auf Katastrophen vor. In diesen Gruppen fanden auch Rechtsextremisten Platz. Darunter zwei Männer in Norddeutschland, denen der Generalbundesanwalt vorwirft, sie hätten geplant, Politiker und Aktivisten aus dem linken Spektrum zu töten. Auch Franco A. war in einem der Chats aktiv, der Bundeswehrsoldat, der als syrischer Flüchtling getarnt Attentate vorbereitet haben soll. In beiden Fällen geht es um rechtsextremen Terror. Der Text war das Ergebnis einer Recherche, die über ein Jahr andauerte.
Im Zentrum dieses Netzes: Ein Soldat, der sich „Hannibal“ nennt, André S., 33 Jahre alt, er ist der Kopf von Uniter und Administrator der Prepper-Chats. 2017, als wir mit der Recherche beginnen, ist er noch Mitglied des Kommandos Spezialkräfte, der Einheit der Bundeswehr, die für besondere Einsätze ausgebildet ist – deutsche Geiseln im Ausland befreien, Taliban-Kämpfer in Afghanistan aufspüren, so etwas. Im Frühjahr 2018 wird er zu den Fallschirmjägern versetzt, offiziell ist er bis heute Bundeswehrsoldat. Gegen ihn läuft ein Disziplinarverfahren. Es ist ihm verboten, Uniform zu tragen. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt gegen ihn, weil er gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz verstoßen haben soll.
Im vergangenen Dezember haben wir ausführlich das Innere des Vereins beschrieben. Uniter e. V. setzt sich für Veteranen ein, will Spezialkräfte in ihrem zweiten Berufsleben unterstützen. Mit Hilfe von Schilderungen zahlreicher Augenzeugen, Fotos, den Einschätzungen von Sachverständigen, Ermittlungsunterlagen und internen Vereinsdokumenten konnten wir belegen: Bei Uniter wird auch daran gearbeitet, Zivilisten kampftüchtig zu machen, ja, sogar eine eigene Kampfeinheit aufzubauen – Uniter nennt diese Einheit „Defense Corps“.
Im Sommer 2018 veranstaltete Uniter ein Training im baden-württembergischen Mosbach. Hannibal leitete dort Zivilisten an, sich mit Waffen in Gefechtssituationen zu bewegen. Personen aus der Sicherheitsbranche, die damals Kenntnis von der Ausbildung erlangen, legen sich fest: Solche Trainings kommen einer paramilitärischen Ausbildung gleich.
Unsere Recherchen ergeben, dass Uniter mit Schusswaffen trainiert, ganz legal, auf Schießständen für Sportschützen, in Ulm beispielsweise oder in Berlin. Der Verein teilt uns damals über seinen Anwalt mit, dass Selbstverteidigungstrainings nicht mit echten Waffen absolviert würden. Das deutsche Waffenrecht ist streng: Sogenanntes kampfmäßiges Schießen ist Zivilisten verboten.
Kommt der Tag X, ließe sich so eine Übungswaffe leicht gegen eine echte austauschen.
Nun zeigt sich: Geschult werden soll auch anderswo. Hannibals Verein geht auf Reisen. Warum wollen deutsche Sicherheitsbehörden angeblich nichts davon wissen, was Hannibals Netzwerk weltweit treibt, was sie in den Philippinen vorhaben, was das mit deutschen Polizisten in Libyen zu tun hat, was mit Guinea? Deshalb blicken wir noch einmal in den Verein hinein, der in Deutschland eine eigene paramilitärische Kommandoausbildung durchführt. Ein Verein, der mit seinem Wolfsabzeichen in den von Duterte regierten Philippinen wirbt. Es geht um ein Netzwerk, das Kontakte zu mutmaßlich Rechtsextremen unterhielt und beste Verbindungen in deutsche Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden pflegt. Entsteht aus einem gemeinnützigen Verein ein deutsches Blackwater, eine international agierende Söldnertruppe? Und warum lassen die deutschen Sicherheitsbehörden zu, dass dieses Netzwerk stetig wächst?
Nur wenige Wochen bevor Uniter auf den Philippinen um eine Kooperation mit den Sicherheitsleuten eines Autokraten wirbt, rätseln Politiker im Deutschen Bundestag: Ist ein Verein wie Uniter tatsächlich ein Problem? Es ist der 30. Januar, der Verteidigungsausschuss hat die Nachrichtendienste in eine nichtöffentliche Sitzung eingeladen. Die Abgeordneten haben Fragen zu Uniter. Obwohl der Innenausschuss bereits ausführlich dazu getagt hat, obwohl rund ein Dutzend Kleine Anfragen gestellt wurden und Angela Merkel in einer Regierungsbefragung antworten musste, ist die Informationslage im Parlament noch immer: dünn.
Weder der Chef des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) noch die Vertreter des Bundesamts für Verfassungsschutz können den Abgeordneten beschreiben, was das „Defense Corps“ ist. Warum ein Bundeswehrsoldat in seiner Freizeit Zivilisten in Militärtaktik unterrichtet, können sie nicht einordnen. Die Abgeordneten hören auch nichts von den Philippinen. Die Dienste, auf die sich die Abgeordneten verlassen müssen, erklären dazu: nichts.
Dabei sitzt eine Vertreterin des Bundesnachrichtendienstes im holzvertäfelten Saal. Sie wurde eingeladen, um zu schildern, was der deutsche Auslandsgeheimdienst über den Verein weiß, der international vernetzt ist und dessen Mitglieder für deutsche Sicherheitsfirmen im Irak oder in Russland arbeiten. Die BND-Vertreterin ist eine Frau mit kurz rasierten Haaren, Referatsleiterin in der Abteilung Eigensicherung. Ihr Bericht fällt knapp aus: Der BND habe keine Erkenntnisse zum Themenkomplex Uniter.
Nach der Sitzung wollen wir die BND-Frau sprechen, eine Beamtin des Kanzleramts eilt sofort dazu. Wir fragen: Wieso interessiert sich der BND nicht für einen Verein bestens ausgebildeter deutscher Soldaten, Polizisten und Sicherheitskräfte, die mit ausländischen Sicherheitsbehörden in Kontakt stehen?
Die Frage bleibt unbeantwortet.
So geht es nicht nur uns und den Bundestagsabgeordneten.
In Nordrhein-Westfalen wollen die Grünen wissen, was die Landesregierung über das Netzwerk weiß. Dort lebt seit einigen Monaten der Kopf des Netzwerks, Hannibal, er ist dort in mehrere Firmen involviert. Auch der Verein Uniter hat inzwischen eine Postadresse in Dormagen in der Nähe von Köln. Die Landesregierung antwortet: Es lägen „keine Erkenntnisse vor“.
In Bayern, wo das Netzwerk nach Aussagen von Zeugen mindestens ein Safe-House unterhalten hat – einen geheimen Rückzugsort im Falle des Tages X –, teilt die Landesregierung mit, sie wisse nichts davon. Zum Verein Uniter, der dort regelmäßig Veranstaltungen organisiert, lägen „gegenwärtig zudem keine hinreichend gewichtigen tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Bewertung der Aktivitäten des Vereins“ vor.
Der Dienst, von dem man am meisten Informationen erwarten könnte, ist der Landesverfassungsschutz in Baden-Württemberg. Dort ist Uniter besonders aktiv. Das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr, aus dem heraus sich Uniter ursprünglich gegründet hatte, ist in Calw stationiert, der Verein hat seinen Sitz in Stuttgart. Die Prepper-Chatgruppe hatten in dieser Region die meisten Mitglieder, auch Franco A. war hier aktiv. Und in diesem Bundesland fanden die Übungen statt, bei denen Zivilisten in kugelsicheren Westen und Kampfanzug mit Waffen trainierten. Fragt man den Landesverfassungsschutz, teilt er mit: Uniter sei kein Beobachtungsgegenstand. In einer Antwort des Landesinnenministeriums auf eine Anfrage der Grünen heißt es: Die Sicherheitsbehörden verfügten über keinen eigenen Erkenntnisse.
Eine Antwort, die Fragen aufwirft. Denn zugleich teilt die Landesregierung zu Veranstaltungen von Uniter mit: „Die Beantwortung der Frage kann nicht offen erfolgen, da aus dem Bekanntwerden der Antwort Rückschlüsse auf die Arbeitsweise, die Arbeitsfähigkeit und die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben des LfV gezogen werden könnten.“ Haben die Sicherheitsbehörden also doch eigene Erkenntnisse?
Recherchen der taz ergeben: Das Landesamt für Verfassungsschutz hat mindestens einen Hinweisgeber. Anscheinend gibt es doch ausreichend Anhaltspunkte für den Nachrichtendienst, sich über den Verein fortlaufend zu informieren. Nicht viele Vereine werden so begleitet.
Aber wir finden eine noch bemerkenswertere Personalie heraus: Ein Mitarbeiter des Landesverfassungsschutzes war bis Anfang 2017 Vorstandsmitglied von Uniter e. V. Er hat ihn sogar mitgegründet.
Ringo
Der 13. Februar 2019, kurz nach 20 Uhr. Es ist bereits unser zweiter Versuch, Ringo M. in seiner Wohnung in einem Vorort von Stuttgart anzutreffen. Zwischen weißen Reihenhäusern liegt das fünfstöckige Wohnhaus, in dem M. lebt. Niemand öffnet.
M. war dabei, als der Verein im Mai 2016 in einer Stuttgarter Freimaurerloge gegründet wurde. Er übernahm den Vorsitz.
Um ihn zu sprechen, hatten wir schon bei seinem Arbeitgeber angerufen, einer Polizeidirektion in Stuttgart. Dort sagte man uns, er sei dort nicht mehr tätig. Von der Polizeigewerkschaft hörten wir, er sei zwar noch Mitglied, aber nicht mehr Polizist. Wochenlang tragen wir Indizien zusammen, sprechen mit Quellen aus dem Umfeld von Uniter und von Ringo M. Aus Sicherheitskreisen erfahren wir Details zu dem Verfassungsschutzmitarbeiter im Vorstand von Uniter. Nachdem wir diese Verbindung öffentlich machen, bestätigt uns das Landesinnenministerium schließlich: Ringo M. arbeitet für den Landesverfassungsschutz. Bereits seit 2015, also Monate, bevor er Uniter in Stuttgart mitgründet.
Auf einen Brief im Dezember reagierte M. nicht. Als wir am 13. Februar an seiner Tür klingeln, schon.
Ein schwarzer Porsche Cayenne fährt vor, vier muskulöse Männer kommen auf uns zu. Einer stellt sich als Anwalt vor, zwei andere gar nicht, sie postieren sich vor dem Eingang des Wohnhauses. Der vierte Mann ist Ringo M. Er trägt Badelatschen und Socken.
M. spricht schnell, hektisch. Sein Begleiter, der sich als Anwalt ausgibt, drängt ihn zu gehen, nicht weiter zu reden. M. sagt, es sei für seinen Arbeitgeber ein Problem, mit irgendetwas mit Uniter in Zusammenhang gebracht zu werden. Deshalb habe er den Vorstandsposten aufgegeben.
Wir finden ein Schriftstück, das das belegt. In einem Brief an den Vorstand von Uniter vom 16. Januar 2017 schreibt M., er trete vom Vorstand zurück.
Den Verein hatte es bereits einmal gegeben, 2012 hatte Hannibal ihn in Halle gegründet, seiner Geburtsstadt. In den Folgejahren vernetzt Hannibal bundesweit Gruppen, die er dazu aufruft, sich für ein Krisenszenario an einem „Tag X“ vorzubereiten, Safe-Houses zu vereinbaren, Depots anzulegen. Mindestens zweimal ist auch Franco A. anwesend, als Hannibal zu Treffen in Baden-Württemberg einlädt. Franco A. ist der wegen rechtsextremen Terrors angeklagte Soldat. Es sind die Monate, in der die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland steigt und sich die Debatten um Integration verschärfen. Im Mai 2016 gründet André S. Uniter erneut. Ringo M. und André S. treten einem Ritterorden bei, sie treffen sich also auch außerhalb von Uniter.
Fragt man Ringo M., warum er sich an einer Vereinsneugründung beteiligt hat, sagt er: Das sollte ein humanistischer Verein werden, nichts mit Preppern. Und: Die Mitglieder aus dem alten Verein seien ihm zu militaristisch gewesen.
Fragt man Gründungsmitglieder aus dem alten Uniter-Verein, sagen die: Sie wollten mit Hannibals Prepper-Themen nichts mehr zu tun haben, den Verein deshalb auflösen. Mit den militaristischen Übungen von heute seien sie nicht einverstanden.
Diesen Widerspruch vermag Ringo M. in dem kurzen Gespräch an jenem Februarabend nicht aufzulösen. Weil seine Begleiter ihn drängen zu gehen, bleibt auch eine weitere Frage offen: War ihm Franco A., der Treffen seines Vereins besucht hatte, damals wirklich nicht aufgefallen?
Franco A.s rechtsextreme Gesinnung war deutschen Sicherheitsbehörden entgangen, obwohl er eine Abschlussarbeit mit eindeutigem Inhalt vorgelegt hatte, obwohl er gute Kontakte in die rechtsextreme Szene pflegte, sich Waffen beschaffte. Franco A. flog Anfang Februar 2017 auf, weil eine Putzfrau am Wiener Flughafen eine Waffe gefunden hatte. Sie meldete den Fund österreichischen Ermittlern.
Ringo M. erklärt uns auch nicht, warum er einen Verein gründete und nur ein halbes Jahr später wieder ausstieg – unmittelbar bevor Franco A. festgenommen wurde. Er bestreitet auch, für den Verfassungsschutz zu arbeiten. Hat er daran mitgewirkt, dass der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg Uniter für harmlos hält? Hätte das Landesamt Franco A. schon damals erkennen können?
Ein Sprecher von CDU-Landesinnenminister Thomas Strobl teilt uns mit: Ringo M.s Vereinstätigkeit sei privat gewesen. Er habe in seiner Zuständigkeit „keinerlei Berührungspunkte zum Verein Uniter e. V.“ Der Sprecher fügt aber eine bemerkenswerte Formulierung hinzu: „soweit ersichtlich“.
Böblingen
Recherchiert man zu Ringo M. und dem Verein Uniter, führt die Spur zurück in das Jahr 2005. Damals wird er Mitglied einer neuen Einheit der Bereitschaftspolizei in Böblingen, die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit BFE 523. Ihr Aufgabengebiet: Demonstrationen, Razzien, organisierte Kriminalität; die harten Einsätze.
Chef der Einheit ist damals ein Mann, der heute Inhaber einer Sicherheitsfirma ist, die mit Uniter Geschäfte macht. Und ein früherer Ausbilder sitzt heute für die AfD im Bundestag.
In den folgenden Jahren befragen Ermittler immer wieder die Mitglieder dieser knapp 50-köpfigen Einheit; weil es Anlass dazu gibt.
Ja, sagt ein Polizist, es habe Kollegen gegeben, die die Musik rechtsradikaler Bands hörten, das seien überwiegend Kollegen aus dem Osten gewesen. Ja, sagt der damalige Chef, einer seiner Mitarbeiter sei früher beim Ku-Klux-Klan gewesen. Jenem Ku-Klux-Klan mit Mitgliedern von Schwäbisch Hall bis Rostock, in dem auch ein rechtsextremer V-Mann des Verfassungsschutzes Mitglied war, der sich unter dem Decknamen „Corelli“ im Umfeld des NSU-Trios bewegt hatte.
Die Ermittler stellen über Jahre hinweg all diese Fragen, weil noch eine Person Mitglied der Böblinger BFE 523 war: Michèle Kiesewetter. Das zehnte Todesopfer des NSU. Am 25. April 2007 wurde die Polizistin während ihres Dienstes in Heilbronn erschossen. Bis heute ist nicht geklärt, warum ausgerechnet sie von den Rechtsterroristen getötet wurde. 2014 wird die Polizei im Land umstrukturiert und die Einheit BFE 523 aufgelöst.
An dieser Stelle ist es wichtig zu betonen: Wo auch immer wir fragen, suchen und recherchieren, wir finden keine Verbindung zwischen Hannibals Schattennetzwerk und den NSU-Tätern. Der thüringische Untersuchungsausschuss zum NSU hat Ringo M. im April zu einer Sitzung vorgeladen.
Libyen
Ende letzten Jahres bekommen wir einen Tipp: Uniters Pläne, ausländische Sicherheitskräfte zu schulen, sind nicht so größenwahnsinnig, wie sie für einen gemeinnützigen Verein zunächst klingen. Es gibt Leute, die bei Uniter mitmischen, die solche Schulungen bereits gemacht haben. Vor ein paar Jahren – in Libyen. Einer dieser Männer heißt Thomas B. Es gibt zahlreiche Dokumente, die ihn beschreiben, Akten der NSU-Ermittlungen etwa und Gerichtsurteile. Als Präzisionsschütze ausgebildet, war er mal Polizeihauptkommissar, Einheitsführer bei der Böblinger Bereitschaftspolizei-Einheit 523. Der Chef von Michèle Kiesewetter also. Und von Uniter-Mitgründer Ringo M.
Zwischen 2005 und 2007, vielleicht auch noch später, reisten Polizisten und Soldaten aus Deutschland in die libysche Hauptstadt Tripolis, manche blieben Wochen, manche Monate. Insgesamt waren mindestens 30 aktive oder ehemalige deutsche Beamte hier. Genau lässt sich das nicht rekonstruieren. Belegt ist: Die norddeutsche Firma BDB Protection hatte den Männern damals den Auftrag erteilt, Sicherheitskräfte für den Diktator Muammar al-Gaddafi auszubilden. Schießen, Häuserkampf, Busbefreiung.
Es kommt durchaus vor, dass deutsche Sicherheitskräfte im Ausland Schulungen anbieten, auch in politisch fragwürdigen Ländern, aktuell etwa in Mali. Dann entsendet die Bundesregierung Polizeibeamte. Nur war das damals, so beteuerte es jedenfalls die Bundesregierung, nicht der Fall. Als die Vorgänge schließlich bekannt wurden, berichteten alle überregionalen deutschen Zeitungen darüber. Sie nennen es: die Libyen-Affäre.
B. ist gerade mal ein paar Monate Einheitsführer in Böblingen, als er im Oktober 2005 das erste Mal nach Libyen reist und dann immer wieder. Mit ihm arbeiten mindestens zwei weitere Polizisten aus Baden-Württemberg als Ausbilder: Ein Mitarbeiter aus seiner Einheit und ein befreundeter Polizist vom SEK. Mehrere Quellen aus dem privaten und beruflichen Umfeld bezeugen: B. war die treibende Kraft des Trios. Sie bezeugen auch, dass B. mit Hannibal, dem Kopf des Schattennetzwerks, Kontakt pflegt. Bis heute.
Thomas B. hat heute eine kleine Firma, mit Sitz in der Stuttgarter Innenstadt. Der Freund vom SEK, der ebenfalls in Libyen war, ist sein Geschäftspartner. Sie beraten Firmen, die Mitarbeiter in unsichere Staaten schicken wollen. Spezialgebiet: Libyen.
Wir finden heraus, dass Thomas B. über seine Firma kleinere Geschäfte für Uniter erledigte. Mal vermittelt er Hannibal Kontakt zu einem Versicherungsvertreter, mal heuert er Uniter-Mitglieder als Sicherheitsleute an. Ob er oder sein Geschäftspartner jemals im Verein oder in den Prepperchats Mitglied waren, lässt sich nicht verifizieren. Also rufen wir Thomas B. an und bitten um ein Gespräch. Er schlägt ein Treffen nur eine Stunde später vor. Unter einer Bedingung: dass wir nicht zitieren, was er uns sagt.
Es hätte auch nur wenig zu zitieren gegeben. Denn das Meiste von dem, worüber wir in einer McDonald’s-Filiale an der Autobahn nahe Stuttgart sprechen, lässt sich später nicht verifizieren. Vieles aber widerlegen.
Thomas B. hat nicht zugegeben, als Ausbilder in Libyen gewesen zu sein. Zahlreiche Gerichte beschäftigten sich über Jahre und viele Instanzen hinweg mit der Libyen-Affäre. Wegen einer Nebensächlichkeit wurde er zu einer Geldstrafe verurteilt: Ermittler hatten einen „Reizstoffwurfkörper“ bei ihm zu Hause gefunden. Anfang 2013 wurde er in den Ruhestand versetzt. Thomas B. habe, so heißt es im Disziplinarurteil, „durch das von ihm begangene schwere Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren“.
Nur eine Frage konnten die Ermittler nie klären: Als Spezialkräfte von SEK oder GSG9 verfügten die deutschen Ausbilder in Libyen über Spezialwissen, über Fähigkeiten, mit denen sie den deutschen Staat, die deutschen Staatsbürger schützen sollten. Und das haben sie als Privatleute an einen Diktator und seine Polizisten verkauft. Verkauften sie auch Geheimnisse? „Das war von hier aus unmöglich zu ermitteln“, sagt heute einer der damaligen Ermittler.
Trotzdem ist Thomas B.s Ausbildungsmission ein Präzedenzfall. Für Uniter, weil sie zeigt, dass solche Aufträge umsetzbar sind, dass deutsche Spezialkräfte und ihr Wissen im Ausland gefragt sind.
Für die Ermittler und die Richter ist Libyen damals ein Präzedenzfall, um sich festzulegen: Das geht gar nicht. Konkret urteilt der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg 2017: „Die Unterstützung eines solchen Staates durch deutsche Beamte kann den Eindruck erwecken, dass der Beamte, sein Dienstherr oder auch die Bundesrepublik Deutschland als solche mit einem totalitären Regime sympathisiert.“
Bundestag
Im Deutschen Bundestag versuchen manche Abgeordnete seit Monaten, aufzuklären. Und es gibt andere, die auffallend engen Kontakt zu den Akteuren haben. Für einen AfD-Abgeordneten, der im Verteidigungsausschuss sitzt etwa, arbeitet ein Bekannter von Franco A., er heißt Maximilian T. Gegen ihn hatte die Bundesanwaltschaft zunächst auch ermittelt.
Im Innenausschuss sitzt der AfD-Abgeordnete Martin Hess. Was nur wenige wissen: Auch Hess war früher in der Böblinger BFE 523, auch er war ein direkter Kollege von Michèle Kiesewetter, auch von Thomas B., dem Polizisten mit den guten Kontakten nach Libyen. Und von Verfassungsschützer Ringo M., dem Mitgründer von Uniter e. V. Er antwortet nicht, als wir ihn mehrfach um ein Gespräch über Uniter bitten.
In einer Sitzung des Innenausschusses im Dezember 2018 stellt Martin Hess Überlegungen zu Hannibal und seinem Netzwerk an, die im Protokoll nachzulesen sind: Könnte man die Vorbereitungen auf Worst-Case-Szenarien nicht als theoretische Überlegungen von Fachleuten bewerten, fragt er dort, „also im Sinne einer Übungsannahme“? Ähnlich hatte auch Hannibal argumentiert, als ihn das Bundeskriminalamt befragte zum Tag X, zu den Safe-Häusern und Munitionslagern, über die in den Chats und bei Treffen gesprochen worden war: Alles nur ein Gedankenspiel, alles harmlos.
Auszüge aus dem Protokoll eben jener Innenausschusssitzung zeigen, wie schwer es für die Ermittler und sogar für die Nachrichtendienste ist, Gebilde wie Uniter und das Schattennetzwerk zu untersuchen und zu bewerten. Ja, überhaupt zu definieren.
Christoph Schäfer, Leiter der Gruppe für gewaltorientierten Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus im Bundesamt für Verfassungsschutz, teilt mit: Bereits seit 2016 habe man sich den Chatgruppen in Norddeutschland „mit vollem“ nachrichtendienstlichen Mitteleinsatz gewidmet und rechtsextreme Bezüge gefunden. Franco A. und sein Umfeld: rechtsextrem. Aber ein konspiratives Netzwerk mit dem Zweck, die freiheitlich-demokratische Ordnung zu gefährden?
Die Vertreterin des Generalbundesanwalts, Cornelia Zacharias sagt laut Protokoll: „Also das soll jetzt nicht heißen, dass wir mit der Geschichte Gruppe Süd, Verbindung Franco A., eventuell auch noch Uniter, dass kann sich alles noch ergeben, am Ende sind. Also da bitte ich das Ermittlungsergebnis noch abzuwarten.“
Später sagt Konstantin von Notz, Abgeordneter der Grünen: Ermittlungsverfahren seien ja das eine, um jedoch einschätzen zu können, mit was sie es eigentlich zu tun hätten, wäre es ja schon wichtig, zu erfahren, wie viele Personen in dem Netzwerk von der Polizei kämen, wie viele aus der Bundeswehr, wie viele aus der Justiz. „Das ist doch eine megarelevante Frage. Eine megarelevante Frage!“
Daraufhin antwortet Zacharias: „Ich kann es doch noch gar nicht abschließend bewerten, wenn die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind.“
Für die Bundesanwaltschaft ist ein Netzwerk keine relevante Kategorie, sie sucht nach Straftaten, nach Tätern. Die Ermittler, die Staatsschützer und die Politiker blicken auf einen Verein, der sich in Grauzonen bewegt, vielleicht ja tatsächlich nicht mit echten Waffen für Kriegsszenarien trainiert. Oder nur in einem fernen Land, das deutsche Sicherheitsfragen nicht direkt berührt.
Bislang sind keine Opfer dieses Netzwerkes bekannt. Aber Uniter will wachsen, an Einfluss gewinnen. Kann dann ein Verfassungsschutz eine Vereinigung als gefährlich bewerten, wenn einer seiner Mitarbeiter sie überhaupt erst ins Leben gerufen hat? Wer soll klar sehen, wenn in so vielen der beteiligten Institutionen jemand sitzt, der eine private Beziehung ins Netzwerk hat?
Söldner
Am 8. Februar 2019 erscheint auf der Webseite von Uniter ein Text. Der Verein, heißt es da, wolle ein Qualitätssiegel für die Sicherheitsbranche sein und mit seinem Ethik-Kodex weltweit Maßstäbe setzen. „Insbesondere im Ausland tätige Firmen haben erkannt, dass es von Vorteil ist, das eigene Sicherheitspersonal regelmäßig fortzubilden.“
Am 13. Februar schreibt eine Sicherheitsfirma auf Facebook über einen Besuch in der deutschen Botschaft in Guinea und über ihr „zukünftiges Arbeitsumfeld“. Auch Firmen wie diese können bei Uniter Mitglied sein. Es ist eine Sicherheitsfirma, die zwei ehemalige Fallschirmjäger im Sommer 2018 gegründet haben. Der Geschäftsführer arbeitete zuletzt bei der Bundespolizei und hat dort ein Uniter-Patch auf seiner Uniform getragen. Das Unternehmen sucht derzeit Personal für Einsätze in Afrika und den Mittleren Osten. „Vorzugsweise ehemalige Soldaten und Polizisten aus Kampf- und Sondereinheiten mit Einsatzerfahrung.“
Im Sommer 2019, so ist aus dem Netzwerk zu hören, wollen Uniter-Mitglieder wieder auf die Philippinen reisen. Um sich einem Autokraten anzudienen, dem Menschenrechte egal sind.
Ein ehemaliger SEK-Polizist aus dem Umfeld des Vereins sagt uns: Uniter würde gern eine Art Blackwater bilden. Blackwater, die berüchtigte Söldnerfirma aus den USA. „Aber das gibt der deutsche Markt nicht her, und es ist auch nicht erwünscht.“
Ein Ex-Vereinsmitglied sagt uns: Er wisse nicht, mit welchem Status Uniter-Mitglieder in philippinischen Krisengebieten herumlaufen wollen: „Sind die dann im Zweifel ausländische Kämpfer, also Söldner?“
Am 11. März, einen Tag nachdem wir die Verfassungsschutzverbindung zu Uniter aufgedeckt haben, wird im Vereinsregister in Stuttgart ein neuer Vorstand eingetragen. An der Spitze stehen jetzt zwei Männer, die in der Schweiz leben. Der Verein wird nun von dort aus dirigiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“