piwik no script img

taz-Autor:innen und die WahlDas kleinste Übel – von Herzen

Wen wählen die tazler:innen? Für unseren Autor ist klar: Die Union muss aus der Bundesregierung raus. Um das zu erreichen, wählt er sogar Olaf Scholz.

Für sie nicht gestimmt, für ihn schon: Franziska Giffey und Olaf Scholz Foto: Thomas Koehler/imago

Was das Abgeordnetenhaus in Berlin anbetrifft: Keine Frage, diese rot-rot-grüne Koalition soll bleiben. Okay, die grüne Verkehrspolitik war Murks, die SPD mit Giffey braucht meine Stimme nicht, aber der Logik der kleineren Übel zufolge kam für mich heute Morgen im Rathaus Neukölln, wo man schon wählen gehen kann, nur die Linkspartei infrage, die einzige echte Hauptstadtpartei für mich, auch all ihrer (gescheiterten) Ideen zum Mietendeckel wegen.

Und weil Klaus Lederer ein Supertyp ist, politisch kostbarer und intellektuell zurechnungsfähiger ist als alle Linksparteileute des früheren Westens, von Sahra Wagenknecht vielleicht einmal prominent abgesehen. Also: Weil die Linkspartei unter Wert geschlagen werden könnte, musste ich für sie stimmen.

Und für die Bundestagswahl? Linke gehen gar nicht; sozialpolitisch mögen sie konsequentistischer drauf sein als linke Sozialdemokraten, aber: Putin, Relativierung von Menschenrechten bei sehr vielen von denen, die atmosphärische Wehleidigkeit bei vielen – von wegen: War doch nicht alles schlecht, was in der DDR … Weiß ich doch. Das Bildungssystem, es war antigymnasialer, aber dann doch nicht zu gebrauchen, wegen Linientreuverhaltenszwängen. Außerdem: Eine Partei, die das System wechseln will, die Antikapitalismus träumt – das ist nicht meine Tasse Tee.

Die Grünen hätte ich ausnahmsweise wegen Robert Habeck gewählt, aber dieses Elitäre der Partei, die eine überehrgeizige Frau wie Annalena Baerbock möglich gemacht hat, das schreckt denn doch ab. Außerdem: dieses Apokalyptische! „Mehr als 1,5 Grad darf es nicht wärmer werden, jetzt und nie nicht, sonst …“ Ach, nein, Mah­ne­r*in­nen und War­ne­r*in­nen der Profisorte sind mir irgendwie antipolitisch. Wie wollen die denn von Herzen, ganz im Sinne der klugen Haltung, nie etwas anderes als das kleinste Übel zu wählen, Kompromissen zustimmen?

taz-Serie Meine Wahl

Wen wählen eigentlich die Leute, die für die taz arbeiten? In unserer Serie berichten Au­to­r:in­nen und Redakteure über ihre ganz persönlichen Überlegungen zur Bundestagswahl am 26. September.

Bleibt nur die eine Partei, die mich familiär schon prägte, die von antikapitalistischen Blurbs nur bis zum Godesberger Programm viel zu halten glaubte – und nun, Gott sei’s gepriesen, nur noch das, was die Sache ist: unser Land, staatlich wie gesellschaftlich, von Tag zu Tag alles im Sinne der Ar­bei­te­r*in­nen besser machen will, sozial-, also klassenpolitisch sozusagen. Die weiß, dass es ihren Leuten, den aus proletarischer Position Wählenden, nie um Revolution ging, sondern um, ganz im Sinne des Sisyphus, ein stetes Bisschen vom Besseren.

Olaf Scholz und Kevin Kühnert und Saskia Esken stehen für eine Politik der hart errungenen kleinen Siege in der Großen Koalition. Sie werden klugerweise mit den Grünen wollen (und auch mit der FDP, aber das ist ein anderes Thema) und das schaffen, was ich ersehne wie nix: diesen parteigewordenen Mehltau namens CDU/CSU in die Opposition schicken.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • „Olaf Scholz und Kevin Kühnert und Saskia Esken stehen für eine Politik der hart errungenen kleinen Siege in der Großen Koalition.“

    Dabei handelte es sich allerdings doch immer nur um - letztlich untaugliche Versuche - den ganzen Mist, den Rot-Grün unter Gehard Schröder daselbst gemacht hat, wieder rauszuräumen. Die SPD war doch nie Teil einer Lösung, sondern immer Teil des Problems.

  • "Kevin Kühnert und Saskia Esken stehen für eine Politik der hart errungenen kleinen Siege in der Großen Koalition"

    Nein, dafür steht Andrea Nahles. Sie hat das gegen Kevin Kühnert durchgesetzt. Seit Esken und Walter-Borjans in der SPD "führen", gibt es in der Großen Koalition kaum noch Arbeitnehmerpolitik, die wirklich neue Punkte fordert.

  • 1. Ein großes Übel als ein kleines zu bezeichnen ist nicht angemessen. Das jahrzehntelange Elend, dass die "Agenda" der SPD (Hartz IV?) ausgelöst hat, und das bevorstehende Mismanagement des Haushalts (siehe Hamburg/Scholz), als auch die vielen Scholz anhaftenden Skandale und Fehltritte, zeigen dessen Unfähigkeit doch deutlich an.



    Dass er gesellschaftspolitisch ohnehin dem autoritären Denken anhängt (Verunglimpfung der Proteste in Hamburg; von seinem Vater geprügeltes Kind-Choleriker) und die vom Autor hier eingemahnten Human Rights ebenso missachten wird wie es die Koalition seit jeher zu tun pflegt, solange sie nicht von einem Gericht ermahnt werden, ist das nicht völlig eindeutig?

    2. Gerade die SPD damit aufzupolieren, dass andere Parteien starke Defizite hätten, ist naiver Idealismus. Hinter linkspolitischer Fassade verbirgt sich, wie bei den Grünen und der CDU auch, dort ein anderer Anstrich, Feindseligkeit und Verachtung gegenüber jenen, die nicht zum Bürgertum aufschließen können.

    3. Grüne, FDP, SPD, CDU sind Parteien, die geloben, dass alles besser werde.



    Doch vom Wachstumstraum wollen sie nicht aufwachen: De-growth, Verkürzung der Arbeitszeiten, De-Militarisierung, Maßnahmen gegen den Rüstungshandel, lange überfällige Finanzierung sozialer Maßnahmen...zu wirklichen Reformen ist keine der Parteien zu gebrauchen, oder?

    4. Kann man der SPD wirklich eine Kontinuität (seit dem Godesberger Programm) zuschreiben? War der große Schnitt nicht bereits mit Schmidt getan (auch dort autoritäres Handeln und ordoliberale Wirtschaftsnähe), begann dort nicht bereits die Abwendung von Godesberg ?

  • Wenn es um den Mehltau geht, steht die SPD der CDU nicht viel nach. Sollte es darum gehen, die CDU mal in die Opposition zu schicken, ist die Linke die einzige Partei, die gefeiht davor ist, der CDU doch wieder in die Regierung zu verhelfen.

  • Au, wat ne Perspektive:



    Oil of Olaf-Wiŕecard,Cumex,G20,



    Reicht eigentlich 🤮🤢🥶

    • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      Danke.

  • Ich muss sagen, dass die Personalreserven bei der SPD am besten aussehen. Darunter mehrheitlich starke Frauen. Giffey ein Problem? Verstehe ich nicht. Baerbock finde ich deutlich stärker als Habeck, aber noch kein Leistungsausweis. Was bei der CDU los ist? Politisches Nach-Merkel-Vakuum. Diadochenkämpfe. Bei einer guten Besetzung würde doch niemand über so jemanden wie Merz auch nur reden. Was z.B mit Spahn los ist, einfach unverständlich. Er will wohl nicht.

    • @David Gehle:

      Ich finde es immer seltsam wenn von Frau baerbock, Scholz geschwärmt wird oder laschet verdammt wird.

      Wir wählen doch das Partei Programm und nich die Person

  • Wer zur Miete wohnt und vielleicht in seinem Leben nochmal umziehen will, kann nicht so entscheiden wie Jan Feddersen.

    Was Scholz mit seinem Mietgesetz zustande gebracht hat und was die SPD im Wahlkampf ankündigt, lässt keine Änderung der bisherigen Mietpreisexplosion erkennen.

    Deshalb sage ich als Mieter: keine Zweitstimme für die SPD!

  • Hmm... aus der Not SPD wählen, weil's sich nach Heimat anfühlt? Das hat 'ne Menge von Selbstbetrug (erinnert mich an rheinisch-katholische Denkmechanismen, die laufen ähnlich ab), auch wenn ich dem argumentativen Teil viel abgewinnen kann.

    Ich habe mal den Fehler gemacht, ein Jahr lang Mitglied in jener Partei zu sein. Ich habe viel gelernt in der Zeit, vor allem, dass es ein Fehler war, dass die SPD von heute mit der Schmidt'schen, gar mit Antikapitalismus (kicher) nichts zu tun hat. Dass die SPD heute eine Partei von gestern ist, in der die 40-Stunden-Woche als Regelarbeitszeit gilt, in der Leute vielleicht links anfangen, aber mit jedem Schritt nach oben auch einen nach rechts machen. Isso. Verlass dich nicht auf Kevin, verlass dich lieber darauf, dass er sich einreihen wird.

    Und das war nur ein Jahr, das ich dafür gebraucht habe. Die Legislatur dauert vier.

    • @Birne Helene:

      Glückwunsch, ich habe dafür ganze sieben Jahre gebraucht.



      Ausgetreten bin ich 1993 wegen des Asylkompromisses zwischen SPD und Union … zugegeben, das war damals eine rein gesinnungsethische Entscheidung, aber angesichts der SPD-Geschichte zwischen 1933 und 1945 habe ich diese massive Einschränkung des Asylrechts nicht mittragen können und wollen.



      m.bpb.de/politik/h...promiss-24-05-2013



      Wenn ich damals gewusst hätte, was flüchtlings- und asylpolitisch noch alles passieren würde.



      „Herzenssozialdemokrat“ bin ich aber immer geblieben … trotz Schröder und neoliberaler Agendapolitik.

  • RS
    Ria Sauter

    Herr Feddersen, mit dieser Entscheidung sind sie nicht allein.



    Ihre Beweggründe und die vieler anderer Wähler:innen begründen den Erfolg des Olaf S.



    Angesichts der zurückliegenden Jahre mit den Christlichen und angesichts der beidrn anderen Alternativen bleibt nur Olaf.



    Letzteres bringt die Verzweiflung des Wahlvolkes zum Vorschein.