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Klimaklage in der Schweiz zugelassenGegen die Betonfraktion

Jonas Waack

Kommentar von

Jonas Waack

Vier Inselbewohner aus Indonesien verlieren ihr Zuhause durch die Klimakrise. Ihre Klage gegen einen Schweizer Betonkonzern wurde nun zugelassen.

Die Klä­ge­r*in­nen Ibu Asmania, links, und Arif Asmania, Mitte, vor dem Gerichtsgebäude in Zug, 3. September 2025 Foto: Urs Flueeler/keystone/picture alliance

V ier In­do­ne­sie­r*in­nen dürfen in der Schweiz um ihre Heimat kämpfen. Denn das Kantonsgericht in Zug hat ihre Klage gegen den Schweizer Betonkonzern Holcim zugelassen. Die Klä­ge­r*in­nen leben auf der Insel Pari, die vom Klimawandel bedroht ist: Sie berichten von Überschwemmungen, die ihre Häuser und Algenfarmen zerstören, und von versalzenden Brunnen.

Verantwortlich für die zunehmende Unbewohnbarkeit der Insel ist der Meeresspiegelanstieg infolge der Erderhitzung. Und verantwortlich dafür ist zu zwei Tausendsteln Holcim.

Denn der Konzern ist einer der größten Zementproduzenten der Welt und hat Berechnungen des Projekts Carbon Majors zufolge zwischen 1990 und 2023 3,2 Millionen Tonnen CO₂ ausgestoßen, 0,18 Prozent aller CO₂-Emissionen aus dem Verbrennen von Kohle, Öl und Gas sowie aus der Zementproduktion.

In­do­ne­sie­r*in­nen verklagen mithilfe internationaler NGOs einen Schweizer Konzern, der weltweit für Schulen und Luxusbauten, für Tunnel und den Züricher Zoo Beton herstellt. Der Prozess – so viel vorweg – wird den weltweiten Klimaschutz nicht revolutionieren. Aber er zeigt: Die Klimakrise dringt zunehmend und unaufhaltsam in jeden Aspekt unseres Lebens ein, und damit auch in die Bilanzen gigantischer Konzerne. Ihre vergangenen und gegenwärtigen Klimasünden holen sie ein.

Klä­ge­r*in­nen sehen sich in ihrer Persönlichkeit verletzt

Die vier In­sel­be­woh­ne­r*in­nen verlangen von Holcim, seinen CO₂-Ausstoß zu reduzieren sowie Schadensersatz zu zahlen und die In­sel­be­woh­ne­r*in­nen bei der Anpassung an den Meeresspiegelanstieg zu unterstützen. Sie argumentieren, dass sie von Holcim in ihrer Persönlichkeit verletzt werden. Denn im Schweizer Zivilgesetzbuch steht: „Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, kann zu seinem Schutz gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt, das Gericht anrufen.“

Die Schweizer Rechtsprechung habe daraus unter anderem das Recht auf Privat- und Familienleben abgeleitet sowie persönliche Freiheit und körperliche Unversehrtheit, wirtschaftliches Fortkommen und das Recht auf Leben, erklärt Theresa Mockel, die für das European Center for Constitutional and Human Rights die Klage unterstützt.

Holcim selbst leugnet seinen Anteil an der Erderhitzung nicht, aber wer für die Folgen aufkommen müsse, sei eine politische und keine juristische Frage. Außerdem investiere Holcim doch schon viel in klimafreundliche Betonalternativen. Überhaupt: Es gebe doch noch andere Zementhersteller, was ist eigentlich mit deren Verantwortung?

Das Gericht lässt sich darauf nicht ein: „Jeder einzelne Beitrag ist unerlässlich, um dem Klimawandel entgegenzuwirken“, schreibt es. Und der Prozess ersetze demokratisch legitimierte Klimaschutzpolitik nicht, sondern ergänze sie.

Klimaklagen werden die Klimakrise nicht lösen

Holcim und die anderen riesigen Klimaverschmutzer wissen seit Jahrzehnten, dass sie die Erde erhitzen und damit das Leben auf dem Planeten teurer, gefährlicher und tödlicher machen. Holcim führt seine eigenen Investitionen in CO2-freie Baustoffe an. Aber wie die anderen Konzerne hätten auch die Schweizer spätestens in den 1980ern anfangen können, ihr Geschäftsmodell von CO₂-Emissionen zu befreien, nicht erst heute.

Die Heimat der Menschen auf Pari wird wahrscheinlich unbewohnbar werden. Dass die dafür mitverantwortlichen Unternehmen Angst haben müssen, verklagt zu werden, ist gut: Irgendjemand wird für die Folgen des Klimawandels bezahlen müssen. Gerecht wäre es, wenn es die Verschmutzer tun.

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Ehrgeizigeren Klimaschutz wird das aber wahrscheinlich nicht erzwingen. Ein ähnlicher Prozess in Deutschland zwischen einem Peruaner und dem Energiekonzern RWE dauerte acht Jahre: Die Rich­te­r*in­nen und Gut­ach­te­r*in­nen flogen nach Peru, um sich den Gletschersee anzuschauen, der das Haus des Klägers bedrohte. Gutachten mussten angefordert, kritisiert und überarbeitet werden. Ähnlichen Aufwand erwarten Be­ob­ach­te­r*in­nen auch beim Holcim-Prozess.

Aufseiten der Klä­ge­r*in­nen arbeiten An­wäl­t*in­nen und Rechts­ex­per­t*in­nen von NGOs, die sich nicht gleichzeitig um genauso plausible Klimaklagen nigerianischer Vieh­hal­te­r*in­nen gegen Kohlekonzerne oder vietnamesischer Reis­bäue­r*in­nen gegen Autobauer kümmern können.

Klimaklagen gegen Unternehmen werden deswegen die Klimakrise nicht lösen. Aber sie zeigen, wie weitreichend die Folgen der Erderhitzung sind. Und für die vier In­do­ne­sie­r*in­nen können sie dabei helfen, so etwas wie Klimagerechtigkeit zu erreichen.

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Jonas Waack
Klima-Redakteur
Jahrgang 1999, zuständig für Klima-Themen im Ressort Wirtschaft und Umwelt. Stadtkind aus Mecklenburg, möchte auch sonst Widersprüche vereinbaren. Bittet um Warnung per Mail, falls er zu sehr wie ein Hippie klingt.
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