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syrien, der „islamische staat“ und die kurdenIm eigenen Interesse

Deutschland muss IS-Kämpfer mit deutschem Pass aufnehmen und aburteilen. Gemeinsam mit Europa muss es sich auch für die Kurden in Syrien engagieren

Jürgen Gottschlich

gehört zur Gründergeneration der taz. Er arbeitete bis 1994 in der Redaktion, zuletzt als stellvertretender Chefredakteur. Seit 1998 ist er Korrespondent der taz in der Türkei.

Die scheinbare Entwarnung kam durch die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vor einer Woche. Der sagte ein gewisser Abdelkarim Omar, die Deutschen bräuchten sich keine Sorgen um gefangene IS-Kämpfer zu machen. Die Kurden würden diese Leute, anders als Donald Trump zuvor gedroht hatte, auch dann nicht freilassen, wenn die Europäer ihre Staatsbürger nicht zurücknehmen. „Die Gefangenen sind in kurdischen Händen und wir werden mit den IS-Mitgliedern gemäß internationaler Verträge und Konventionen umgehen und wir werden sie nicht freilassen.“

Kann man die Frage nach dem Verbleib der in Syrien gefangenen deutschen IS-Kämpfer jetzt also wieder ad acta legen? Doch wer ist eigentlich Abdelkarim Omar, dass er Trump einfach widersprechen kann? Die FAS stellt ihn vor als Co-Chef des Büros für auswärtige Beziehungen der „Demokratischen Kräfte Syriens“ (SDF) vor. Die SDF besteht aus der syrisch-kurdischen YPG Miliz und einigen angeschlossenen arabischen, armenischen und jezidischen Splittergruppen, die aber nicht wirklich verdecken können, dass es sich vor allem um eine kurdische Truppe handelt. Abdelkarim Omar ist deshalb so etwas wie der Außenminister des noch nicht existierenden kurdischen Teilstaates Rojava in Syrien, der um seine Anerkennung kämpft.

Die gefangenen IS-Kämpfer sind für die Kurden natürlich eine Belastung, aber gleichzeitig auch eine wertvolle Trumpfkarte. Denn was Abdelkarim Omar der Bundesregierung und den anderen europäischen Regierungen sagen will, ist: Über die Zukunft der europäischen IS-Kämpfer und über die Zukunft Syriens insgesamt müsst ihr mit uns reden, nicht mit dem zum Abzug aus Syrien entschlossenen Trump.

Diese Aufforderung ist keine Entwarnung, sondern birgt einige Probleme. Zum einen gibt es europäische IS-Kämpfer ja nicht nur in den von den Kurden kontrollierten Gebieten. Es geht ebenso um IS-Kämpfer, die in der letzten in Syrien verbliebenen Rebellenhochburg Idlib abgetaucht sind, aber auch um die ausländischen Dschihadisten, die dort bei der IS-Konkurrenz, der Ha at Tahrir al Scham, engagiert sind. Jetzt, wo dem IS sein „Staatsgebiet“ wieder abgenommen wurde und auch die anderen Dschihadisten eingekesselt sind, sitzen Tausende ausländische Kämpfer in Syrien fest und belasten dort eine Neuordnung des Landes.

Die syrischen Kurden haben angeboten, Gastgeber eines UN-Sondergerichts zu werden, vor dem die gefangenen ISler abgeurteilt werden könnten. Die europäischen Regierungen und die UNO sollten mit ihnen darüber sprechen. Die Kurden erhoffen sich davon eine internationale Aufwertung und Anerkennung auch für die Zeit nach den Kämpfen gegen den IS. Damit würden sich aber die europäischen Staaten und allen voran Deutschland dieselben Probleme mit der Türkei aufhalsen, die die USA in den vergangenen Jahren hatten. Denn die kurdische YPG-Miliz ist für die Türkei nichts anderes als eine Unterorganisation der „Terrortruppe“ PKK. Eine Anerkennung oder auch nur diplomatische Aufwertung der YPG durch Deutschland und die EU würde wohl zum endgültigen Bruch der Beziehungen führen. Aber was dann tun mit den europäischen Islamisten?

Noch will sich die Union mit dem Trick, möglichst vielen Betroffenen den deutschen Pass zu entziehen, aus der Verantwortung stehlen. Doch das geht nicht nur aus juristischen und moralischen Gründen nicht, sondern ist auch politisch kontraproduktiv. Statt sich vor der Verantwortung für die eigenen Leute zu drücken, muss Europa im Gegenteil endlich eine größere Verantwortung für Syrien übernehmen, als es das bis jetzt getan hat.

Schließlich muss das politische Ziel Europas in Syrien sein mitzuhelfen, dort wieder Verhältnisse zu schaffen, die Syrern eine Rückkehr ermöglicht oder wenigstens keine weiteren Flüchtlinge produziert. Angesichts der Flüchtlingskrise sollte sich die EU schon um der eigenen Stabilität willen dafür engagieren. Europa und vor allen Dingen Deutschland sollten sich jetzt wenigstens an den Aufräumarbeiten nach dem militärischen Akt beteiligen.

Dazu gehört, den Syrern die eigenen Staatsbürger abzunehmen, die dort mit dem IS das Land verwüstet haben, und sie zu Hause vor Gericht zu stellen, auch wenn die Beweislage oft schwierig werden dürfte. Europa und Deutschland müssen sich auch daran beteiligen, zwischen der de facto kurdischen Autonomiezone und der Türkei eine Pufferzone zu sichern, die einen neuen Krieg zwischen Kurden und der Türkei verhindert. Dazu muss Europa, da hat Trump ebenfalls recht, Truppen schicken, die die verbleibenden 200 US-Soldaten verstärken. Frankreich ist bereits mit 1.000 Mann vor Ort, auch Großbritannien hat Spezialkräfte in Syrien, fehlt nun vor allem Deutschland.

Die gefangenen IS-Kämpfer sind für die Kurden natürlich eine Belastung, gleichzeitig aber auch eine Trumpfkarte

Nicht mit Truppen, aber mit politischer und ökonomischer Unterstützung sollte sich Europa beteiligen, um in der Provinz Idlib eine Lösung zu finden. Im vergangenen Herbst hat der türkische Präsident Erdoğan Russland und das Assad-Regime im letzten Moment davon abhalten können, einen Großangriff auf Idlib zu beginnen, indem er versprochen hat, die militanten Islamisten dort ruhigzustellen. Das ist dem türkischen Geheimdienst bislang nicht gelungen. Nun droht erneut ein Angriff, der Hunderttausende Zivilisten in die Türkei treiben könnte, von denen wiederum Tausende versuchen dürften, die EU zu erreichen. In Idlib gehören Tausende ausländische Kämpfer zu den radikalsten Dschihadisten, die jede Vereinbarung ablehnen und bis zum Tod kämpfen wollen. Was mit diesen Leuten geschehen soll, kann man nicht einfach auf die Türkei abladen.

Auch hier muss die EU, muss sich Deutschland engagieren, schon aus eigenem Interesse. Ignoranz und Untätigkeit würden zu einem Bumerang, der Europa erneut in seinen Grundfesten erschüttern könnte.

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