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Verkehrswende in ParisBlick in die Zukunft

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Dank der Verkehrswende ist in Paris das Realität, was in Deutschland noch eine Zukunftsvision ist: bessere Luft, weniger Lärm und mehr Sicherheit.

In Paris Realität: Autos sind aus vielen Ecken der Innenstadt verbannt, das Radwegenetz wurde ausgebaut Foto: Christophe Geyres/ABACA/imago

Z um Sonnenuntergang einen Cocktail am Flussufer, da, wo einst Autos entlangbretterten? Sehr gern! Später im Ausgehviertel im Straßencafé abhängen? Klar! Und von einem Ort zum anderen schlendern, dabei Straßen überqueren, auf denen kein Auto fährt? Oder, wenn es ein wenig weiter sein soll, ein Leihrad nehmen? Unbedingt!

Was klingt wie eine Geschichte aus dem Fundus „Wünsch dir was“, ist in Paris Realität. Seit die französische Hauptstadt vor nicht ganz 20 Jahren eine Verkehrswende eingeleitet hatte, ist tatsächlich eingetreten, was manche für unmöglich hielten: Autos sind aus vielen Ecken der Innenstadt verbannt, das Radwegenetz wurde ausgebaut. Massenweise Leihräder stehen zur Verfügung, Uferstraßen wurden zu Flaniermeilen mit Bars, Cafés, Bouleplätzen. Paris bekommt – vor allem dank der sozialistischen Bürgermeisterin Anne Hidalgo – das hin, was man eine ökologische Verkehrswende nennt: autofreies Flussufer, verkehrsberuhigte Innenstadt, Tempo 30, dreifach erhöhte Parkgebühren für SUVs, viele Radwege.

Zählte das Radwegenetz 2007 lediglich 200 Kilometer, sind es heute schon über 1.000 Kilometer. In der zu allen Jahreszeiten gut besuchten Innenstadt stehen an allen möglichen Ecken Ständer mit Leihrädern.

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Zunächst sorgte Hidalgos rasanter Verkehrsumbau für heftige Kontroversen, ihre Stadt ohne den berühmt-berüchtigten Autoverkehr schien den Pa­ri­se­r:in­nen undenkbar – trotz Staus und wachsenden Frusts. Doch in einer Umfrage plädierten 60 Prozent der Be­woh­ne­r:in­nen für ein Tempolimit – sie hatten verstanden, dass eine Geschwindigkeit von nur 30 km/h für bessere Luft und weniger Lärm sorgt und die Straßen sicherer macht. Laut der Deutschen Umwelthilfe sinkt die Zahl tödlicher Unfälle bei Tempo 30 um 75 Prozent.

Jetzt sollen 500 weitere Straßen für Autos gesperrt und sogar begrünt werden. 500! Dafür sprach sich bei einer Umfrage im Frühjahr eine Mehrheit der Abstimmenden aus. Die Sache hat nur einen Haken: Die Wahlbeteiligung betrug gerade mal 4 Prozent. Den meisten Pa­ri­se­r:in­nen schienen mehr Grün und noch weniger Autos in der Innenstadt egal zu sein. Oder sie wollten ein Zeichen setzen: Jetzt reicht es mal mit dem Ökogehabe unserer Bürgermeisterin.

Viele Be­ob­ach­te­r:in­nen meinten, die miese Wahlbeteiligung sei eine Schlappe für Hidalgo und ihre Verkehrspolitik, die zulasten der Au­to­fah­re­r:in­nen und vor allem zugunsten der Tou­ris­t:in­nen geht. Ja, so kann man das sehen. Denn Auto fahren die Pa­ri­se­r:in­nen immer noch gern, für nicht wenige aus dem Großraum Paris ist es wichtig, sich unabhängig in der Stadt bewegen zu können. Man kann es aber auch anders sehen: Irgendjemand muss ja mal mit der Verkehrswende anfangen. Saubere Luft, wenig Lärm, Sicherheit auf den Straßen wollen im Grunde alle. Auch im Stau steht niemand gern, Zeitoptimierung ist das Gebot einer beschleunigten Zeit. So unrealistisch für manche Hidalgos Vorstoß anfangs auch ausgesehen haben mag – es gab schlicht keine Alternative dazu, die Stadt schrammte – wie alle Großstädte auf der Welt – am Verkehrskollaps entlang.

Wer jetzt einwirft, dass bei reduziertem Autoverkehr auch der ÖPNV funktionieren muss, hat recht. Aber die Pariser Metro fährt nicht nur weit bis in die Außenbezirke raus, sie ist zudem schnell und zuverlässig. Anders als Busse und Bahnen in deutschen Städten, insbesondere in Berlin, wo der ÖPNV immer wieder wegen nie enden wollender Baustellen unterbrochen, mit Schinenersatzverkehr beglückt oder ganz lahmgelegt wird.

Haltungen können sich ändern

Unabhängig davon zeigt das Beispiel Paris, dass sich Haltungen durch Erfahrung ändern können, dass aus Ablehnung Zustimmung werden kann. So belegen Studien aus verschiedenen Bereichen, darunter zu gesundheits-, migrations-, verkehrspolitischen Fragen, dass Gesetze eine direkte oder indirekte Wirkung auf Einstellungen und Verhaltensweisen von Menschen haben können und Menschen dadurch ihr Bewusstsein für bestimmte Themen schärfen oder auch ihr Sozialverhalten anpassen können. So stellt heute niemand mehr den Autogurt infrage. 1976, als die Anschnallpflicht in Deutschland eingeführt wurde, wehrten sich viele Autofahrer unter anderem mit dem Argument dagegen, ein Gurt schränke ihre Freiheit ein. Vergewaltigung in der Ehe ist seit 1997 strafbar, heute ist die Gesellschaft bei sexualisierter und Partnerschaftsgewalt sensibler. Ebenso bei Gewalt gegen Kinder, die hierzulande 2001 für Eltern und 1973 in der Schule gesetzlich verboten wurde.

In Paris sind Autos vielerorts verbannt, das Radwegenetz gut ausgebaut und Uferstraßen inzwischen Flaniermeilen

Warum sollte das mit weniger Auto- und mehr Radverkehr nicht auch so sein? In Paris – und in anderen Metropolen auch? Das kriegt selbst die Millionenstadt New York hin. Dort gilt seit über zehn Jahren nicht nur ein Tempolimit von 26 Meilen, also etwa 40 Kilometer pro Stunde, sondern seit gut einem Jahr auf Jaywalkings, bei dem Fuß­gän­ge­r:in­nen jederzeit straffrei über die Straße gehen können, auch ohne Ampeln und Zebrastreifen. Die New Yor­ke­r:in­nen leben diese Verkehrsberuhigung mit einer großen Selbstverständlichkeit. Oder Helsinki: In der finnischen Hauptstadt ist seit einem Jahr niemand mehr durch einen Verkehrsunfall gestorben. Der Grund: Tempo 30, Zebrastreifen, Radwege. Auch im italienischen Bologna und im französischen Lyon gelten in der Innenstadt Tempolimit und Verkehrsberuhigung durch Fußgängerzonen.

Die schwarz-rote Koalition in Deutschland hingegen setzt auf mehr Autoverkehr: Straßen und Autobahnen werden aus- und neugebaut, Tempolimit und die Sicherheit von Fuß­gän­ge­r:in­nen spielen keine Rolle, Autofahren wird subventioniert. Die Deutsche Bahn ist eine Katastrophe und neue Radwege sind vielerorts nicht mehr als ein Traum. Das widerspricht dem Grundsatz „mehr Mobilität, weniger Verkehr“.

Anne Hidalgo wird zur Kommunalwahl im März 2026 übrigens nicht mehr antreten – ihr Verkehrskonzept wird bleiben.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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10 Kommentare

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  • War letztes Jahr 1 Woche mit dem Rad in Paris, auf der Durchfahrt von Tarifa nach Hamburg.



    Schön schön der viele Radverkehr jetzt, die meisten davon mit einem breiten Ginsen im Gesicht. Ist mir persönlich lieber als wütend angehupt und angestunken zu werden.



    Man muss Hidalgo lieben für diese Veränderung.

    Paris, die lowest hanging fruit ever, zeigt vor Allem eins, nämlich wie schwer die Verkehrswende zu bewerkstelligen ist.

    Seit Jahrzehnten beträgt der Modal Split MIV in Paris je nach Quelle 4% - 7 %. Zum Vergleich Berlin & Hamburg je 26 - 30 %.

    Das eigentliche Wunder ist, dass die vielen großen breiten und stinkenden Autofahrbahnen so lange für eine so verschwindend kleine Minderheit durchgesetzt werden konnten. Wobei ein Großteil dieser kleinen Minderheit von auswärts kommt und auf Durchfahrt ist, d.h. die sind in Paris noch nicht einmal wahlberechtigt.

    Ein sehr hoher Anteil an Fussverkehr (volle Gehwege) und sehr gut ausgebaute Öffis (Metro!!, Strassenbahn, Busse), das kennzeichnet Paris und das ist die Grundlage, auf der die (wiedergewählte) Bürgermeisterin für die übergrosse Mehrheit handeln konnte.

    In Deutschland sind diese Voraussetzungen schwer zu finden.

  • Mhh.



    Ich war letztes Jahr im Sommer unfreiwillig in Paris, weil die kürzeste Strecke dank der zentralisierten Autobahnen ( alle Wege führen nach Paris, ob Autobahn oder Zug) vom Pott nach Mitte Frankreich direkt durch die !Stadt! führte. Bahn? Wären 24h!!! Flugzeug? Auch keine Option. Wir sind auf schnellstem Wege durchgefahren.

    Dicker Verkehr auf mehrspurigen Straßen durch Wohngebiet. Aussicht bei der Durchfahrt auf viele der Sehenswürdigkeiten aus dem Auto heraus. Radfahrer ? Habe ich nicht wirklich wahrgenommen. Verkehr wie eh und je. Und der ist hart in Paris. Ich bin da immer wieder dienstlich. Bei den großen Firmen hängen Staubildschirme, um zu sehen, wo auf dem Ring mal wieder nix geht.

    Von Verkehrswende habe ich da nicht viel gesehen…. Vielleicht ist die vereinzelt in HotSpots, aber nicht großflächig.

    Da wäre es sinnvoll, dem Durchreiseverkehr sinnvolle Wege zu geben.

  • "Die schwarz-rote Koalition in Deutschland hingegen setzt auf mehr Autoverkehr: Straßen und Autobahnen werden aus- und neugebaut..."

    Ein Zirkelschluss von Paris auf den Rest der Republik, so einfach wie falsch: Autobahnen sind in den Innenstädten eher selten anzutreffen und Fußgängerzonen gibt es auch in deutschen Innenstädten reichhaltig. Darüber hinaus werden auch in Frankreich Autobahnen und Straßen aus- und neugebaut.

  • Mal wieder nach Paris ... und dann weiter , gerne per Rad. Habe fast alle Regionen Frankreichs mit dem Fahrrad bereist. Paris zuletzt: 2005. Würde gerne die Veränderung dort einmal erleben. Wobei Paris immer ein Erlebnis ist.

  • Selbst in kleinen Städten oder gar Dörfern ist diese konsequente Handlungsweise undenkbar, solange csdU / fdp oder gar AgD irgendwie mitbestimmen können. Die haben -und ich spreche aus bitterer Erfahrung- die Maxime, derartige Initiativen so früh wie möglich auszubremsen. Tempo 30 Zonen, Radwege, Fußgängerzonen oder -ampeln, alles blockieren die zugunsten der Autos. Die sind nun mal rückwärtsgewandt und werden das absehbar noch länger bleiben....

  • Mikael Colville-Andersen, einer der Väter von Kopenhagens Fahrrad-Infrastruktur, im Interview Juli 2022:

    Frage: Wie lange brauchen deutsche Städte, um eine gute Radinfrastruktur zu entwickeln?



    M.C-A: Keine Ahnung, ich kenne die politische Situation nicht. Berlin – mit 13 Prozent Radverkehrsanteil eine der 20 fahrradfreundlichsten Städte weltweit – hat gute Chancen, sein Radnetz weiter auszubauen und Fußgänger, Radfahrer sowie öffentliche Verkehrsmittel an erste Stelle zu setzen. Das könnte in Berlin recht schnell geschehen ...

    www.radfahren.de/s...rsen-im-interview/

  • Ich habe 6 Jahre in Paris intra-muros gewohnt. Es war schon damals (späte 90er) mit Auto eine Katastrophe. Wenn ich mal beruflich mit dem Auto nach Paris musste (heute nicht mehr), war das wegen Verkehr immer der blanke Horror.



    Was Anne Hidalgo (u.a.) da umgesetzt hat, wird vielen PariserInnen zu Gute kommen.



    Auch die, die es heute noch nicht einsehen und die schimpfen.

  • Danke.

    Ja die Auto- "geilheit" in Deutschland ist ein echtes Problem.

    Wohl auch wegen dem vielem Geld das die fossile Lobbyorganisation VDA in die Politik pumpt. Besonders Richtung CDU/CSU:

    lobbypedia.de/wiki...automobilindustrie

    Verbrennungsmotoren mit fossilem Kraftstoff gehören nicht in eine Stadt.

    Dies wird in Zukunft eine Binsenweisheit sein. Planetenweit. Auch in Deutschland.

    • @Goldi:

      Ohja, die "Autogeilheit" ist in D am schlimmsten ausgeprägt, insbesondere aufgrund der vielen Lobbyisten. Darum ist die PKW-Dichte in D auch am höchsten. Oder doch nicht?

      "In Luxemburg sind die meisten Pkw pro 1.000 Einwohner innerhalb der Europäischen Union zugelassen. Wie eine Statista-Grafik auf Datenbasis des europäischen Herstellerverbands Acea zeigt, kamen 2021 im Großherzogtum 698 Pkw auf 1.000 Einwohner. Auf dem zweiten Platz folgt Polen mit 684 Pkw.

      Deutschland liegt hinter Estland (621) und Tschechien (588) auf dem sechsten Platz



      Italien liegt auf dem dritten Rang mit 672 Pkw. Die durchschnittliche Pkw-Dichte innerhalb der EU beträgt 567 Autos, in Deutschland sind es 584. Damit liegt Deutschland hinter Estland (621) und Tschechien (588) auf dem sechsten Platz. Die geringste Kfz-Dichte weist Rumänien mit 396 Pkw auf. "

      www.next-mobility....4c9cc1870c5cb1b6e/

  • Schade, nicht der erhoffte echte Blick in die Zukunft. Sondern eher eine Blick zurück durch die Verweise auf früher, inkl. zur Gesetzgebung zur Vergewaltigung in der Ehe und dann mit den wenigen bekannten Beispielen von Verkehrsveränderungen in Städten.



    Wie wird es in Paris in fünf Jahren aussehen? Mehr Verkehrsberuhigung oder weniger?



    Wie wird es in Berlin, der deutschen Bezugsstadt, in fünf Jahren aussehen? Oder gibt es bis dahin andere Städte, vielleicht eine nahe den Niederlanden wie Aachen oder Emmerich, die dann Fahrradstadt sind? Gemeinden und Städte haben mittlerweile Gestaltungsspielraum, da muss man nicht auf die Bundesregierung warten (das hat Paris auch nicht getan).