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debatteVon den Carabinieri lernen

Wie viel Geld für die Bundeswehr? Die Debatte hierzulande wird zu eng geführt. Entscheidend ist, was man zu Militärausgaben zählt – da gibt es Spielräume

Der Einsatz von Milliarden und Abermilliarden Euro für Rüstung macht wütend, muss wütend machen. Was ließe sich damit nicht alles finanzieren! Und doch: Gegen einen Kriegstyrannen hilft kein gutes Zureden – und keine Armee ohne Ausrüstung. Also braucht es mehr Geld für die Bundeswehr. Neue Zielmarke der Nato-Staaten sind zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Oder gar noch mehr, wie am Donnerstag Außenminister Johann Wadephul (CDU) in Anlehnung an Donald Trumps Forderungen andeutete.

Dabei ist der BIP-Maßstab schwer zu begründen, denn das bedeutet Sicherheit nach Kassenlage. Wenn die Wirtschaft läuft und das Bruttoinlandsprodukt wächst, gibt es mehr Panzer, mehr Drohnen, mehr Kommunikationshelme; sinkt das BIP aber, müssten Soldaten im Extremfall weiter auf warme Wäsche warten. Der Rüstungsaufwand sollte sich an der Bedrohungslage, also am Bedarf orientieren, nicht an willkürlich gesetzten Zielgrößen. Was aber ist der Bedarf – heute, morgen und in den Jahrzehnten nach Putin? Denn es wird ein Leben nach Putin geben. Aber es wird lange dauern, bis man Russland hierzulande wieder über den Weg traut.

Traditionellen Formen der Konfliktaustragung mit Panzern und Bomben ist längst Hightech zur Seite getreten, dem offenen Gefecht mit Kanonen und Kalaschnikow der versteckte Kampf im Cyberraum. Seit etwa 20 Jahren macht der Begriff der hybriden Kriegsführung die Runde, bei dem die früher einigermaßen klare Grenze zwischen Krieg und Frieden systematisch verwischt wird: Propaganda, Wahlbeeinflussung, Onlinekämpfe und Terrorakte gehören dazu.

Mit der erstaunlicherweise erst 2023 erarbeiteten Nationalen Sicherheitsstrategie sind diese und weitere Bedrohungen ins Blickfeld geraten: Weltraum, Cyberspace und die ganz irdischen Probleme von Hungersnot bis Klimaschutz. Dass eine Sicherheitsstrategie heute nicht mehr bloß der territorialen Verteidigung dienen darf, kann also als bekannt vorausgesetzt werden.

Die Umsetzung fängt beim Militär selbst an. Stichwort Klimaschutz: 2022 bekannte sich die US-Armee zu einer eigenen Klimastrategie. Zentrale Ziele: Reduzierung des Treibhausgasausstoßes um 50 Prozent bis 2030, um 100 Prozent bis 2050. Dazu gehört ein neues Energiemanagement auf den über fünf Millionen Hektar Land, die der US-Armee samt allen Immobilien darauf weltweit unterstehen. Die Fahrzeugflotte jenseits der Kampfeinheiten soll bis 2035 auf E-Mobilität umgestellt werden. Keine Überraschung indes: Trumps Verteidigungsminister Pete Hegseth hat verkündet, dass er die entsprechenden Studien des Pentagon in den Giftschrank stellen will. Und Deutschland? Die Bundeswehr nutzt derzeit rund 1.500 Liegenschaften. Jeder Euro, der hier in thermische Sanierung, erneuerbare – und das heißt auch: autonome – Energieerzeugung investiert wird, zahlt in das 2-Prozent-Ziel ein. Und die Bundeswehr weiß: „Effizientere Energieversorgung, geringerer Energieverbrauch und alternative, klimaneutrale Energieträger reduzieren auch die Abhängigkeit und machen die Streitkräfte durchhaltefähiger.“ Die Bundeswehr kann also ihr Geld nicht nur für Raketen ausgeben, sondern auch für Photovoltaik. Beides ist militärisch sinnvoll.

Foto: privat

Christian Walther,Jahrgang 1956, ist Journalist und studierter Politologe in Berlin. Er hat früher unter anderem für den SFB/RBB und das Spandauer Volksblatt gearbeitet.

Noch interessanter wird es, wenn es gelingt, Dinge zu beschaffen, die man für kriegerische Auseinandersetzungen benötigt, die man aber auch für friedliche Zwecke einsetzen kann. Dual Use, duale Nutzung ist das Stichwort: ein Lazarettschiff beispielsweise oder eine fliegende Intensivstation. Heute im Hinterland eines Krieges eingesetzt, morgen in einem Erdbebengebiet. Der Airbus A400M könnte das, ist aber beim Lufttransportgeschwader 62 eindeutig der Luftwaffe zugeordnet.

Es ginge auch anders: Die USA haben Schiffe, ausgestattet mit Kanonen, Maschinengewehren und Hubschrauberlandedeck, die in Friedenszeiten von der US-Küstenwache geführt werden und dem Homeland-Security-Ministerium unterstellt sind, in Kriegszeiten aber dem Pentagon. Solche Doppelzuweisungen sind selten, aber kein Einzelfall: So kann die japanische Küstenwache, die in Friedenszeiten dem Verkehrsministerium untersteht, vom Premierminister dem Verteidigungsministerium unterstellt werden.

In Deutschland aber ist die Küstenwache der Bundespolizei zugeordnet und streng zivil ausgerichtet. Es geht auch anders. In Italien sind die Carabinieri – rund 100.000 Kräfte – eine Teilstreitkraft des italienischen Militärs und dem Verteidigungsministerium unterstellt. Im Alltag allerdings, wenn es um Polizeidienst geht, hat das Innenministerium das Sagen. Das ist kein Unikat: Auch Frankreichs Gendarmerie ist eine Militäreinheit.

Ähnlich die spanische Guardia Civil: Ihr Personal sind Berufssoldaten, die im Polizeidienst stehen. Das Gehalt kommt vom Verteidigungs-, der Einsatzbefehl vom Innenministerium. Und noch etwas fällt in Spanien auf: Es gibt eine 4.000 Soldaten starke Einheit – die Unidad Militar de Emergencias –, die dem Technischen Hilfswerk ähnelt.

Jeder Euro, der bei der Bundeswehr in erneuerbare Energien geht, zahlt in das 2-Prozent-Ziel ein

Alle drei Beispiele – Guardia Civil, Gendarmerie und Carabinieri – gelten als paramilitärisch. Ob ihr Sold, ihr Benzin, ihre Kasernen nach den Standards zur Berechnung der Verteidigungsausgaben für das 2-Prozent-Ziel einbezogen werden kann, hängt davon ab, ob sie militärisch trainiert und ausgestattet sind – und ist am Ende eine politische Entscheidung.

Ein Vorschlag zum Schluss: Die Bundeswehr hat seit der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 zahlreiche Kasernen ausgemustert und Wohnflächen reduziert. 50.000 neue Dienstwohnungen würden die Attraktivität des Arbeitgebers Bundeswehr erhöhen und den zivilen Wohnungsmarkt entlasten. Nach dem Wegfall der Schuldenbremse für Deutschlands Verteidigung sollte Platz dafür sein auf der Einkaufsliste.

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