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Die Malerin Käthe Kollwitz steht für die lange Geschichte linker Kunst in Berlin. Doch nun droht die Szene der Hauptstadt dem Mainstream anheimzufallen

Foto: Anne de Wolf

Anjana Shrivastava ist eine US-amerikanische Journalistin, die in Berlin lebt. Sie hat in Harvard Euro­päische Geschichte und am Institut für Kreatives Schreiben der University of East Anglia studiert.

Es ist eine Ironie des Schicksals, dass der Kollwitzplatz im Prenzlauer Berg den Ruf als biederer Sammelplatz von Mittelschichtsmüttern genießt, obwohl die Namensgeberin des Platzes eigentlich für Rebellion steht. Die bronzene Statue der Käthe Kollwitz sitzt jedenfalls noch immer fest auf ihrem Quader. Ironisch ist das, weil sich die angepassten Eltern im Prenzlauer Berg allerhöchstens noch bessere Chancen für ihren Nachwuchs im darwinistischen Kampf um die besten Zukunftschancen erhoffen. Die Künstlerin Kollwitz, die vor hundert Jahren dort wohnte, hat ihre Arbeit hingegen in den Dienst der Emanzipation für alle gestellt. Nach dem Ersten Weltkrieg saß sie auf dem Platz und skizzierte die von Krieg gezeichneten Kindergesichter um sie herum. Und sie rief nach Revolution. Sie schrieb: „Die Städte gehören aufgehoben!“ 1945 wurde der Platz nach ihr und ihrem Mann Karl Kollwitz benannt.

Doch ausgerechnet zu ihrem 150. Geburtstag wurde dem Kollwitz-Museum in der Fasanen­straße der Mietvertrag gekündigt. Nun müssen alle Exponate bald in Koffern eingemottet werden. Der Umgang mit dem Erbe der Künstlerin wirft die Frage auf: Wird es künftig noch einen festen Platz für die linke Kultur in Berlin geben? Noch ist die Hauptstadt eine linke Stadt. Aber was ist, muss nicht so bleiben. Die linkeste Stadt Deutschlands könnte ins Neoliberale kippen. Das zeichnet sich am Kollwitzplatz bereits ab.

Käthe Kollwitz war keine Kommunistin, aber sie träumte schon als Kind von den Barrikaden der Märzrevolution von 1848. Im Kriegsjahr 1917 schaute sie von ihrem Atelier aus amüsiert auf einen Demonstrationszug der kommunistischen Jugend, als diese für „Freiheit auf allen Spielplätzen“ demonstrierte. 1919 wurde sie von den Kommunisten in die städtische Leichenhalle gebeten, um die Totenbilder des zuvor ermordeten Karl Liebknecht zu zeichnen. Nach ihrem Tod wurde Kollwitz in der DDR zur Staatskünstlerin stilisiert (die sie nicht war). Auch deshalb lehnte der Westberliner Senat im Jahr 1971 den ihm angebotenen Nachlass der Familie Kollwitz borniert ab. Das Museum wird deshalb seit 30 Jahren privat geführt. Das heutige Berlin erinnert an das Jahr 1932, als Siegfried Kracauer den Kurfürstendamm als „eine Straße ohne Erinnerung“ beschrieb, „als Verkörperung der leer hinfließenden Zeit, in der nichts zu dauern vermag“. Als Kracauer am Ku’damm flanierte, fand er einst beliebte Cafés sowie Teestuben geschlossen vor und konnte sich nur noch schwer an das alte Erscheinungsbild seiner Prachtstraße erinnern.

Das Schlüsselereignis für den Ausverkauf linker Kultur in Berlin in diesem Jahr war die Aufgabe des Ensembletheaters in der Volksbühne. Diese wurde vom SPD-Kultursenator Tim Renner vollzogen, als dieser den Museumsmanager Chris Dercon als Nachfolger für den scheidenden Intendanten Frank Castorf nach Berlin holte. 40.000 Protestunterschriften gegen Dercon und eine Hausbesetzung später hat sich nichts geändert. Der nunmehr linke Kultursenator Klaus Lederer hat im Fall Volksbühne und auch in Sachen Kollwitz-Museum bis jetzt nur mit warmen Worten geglänzt. Dabei war die Volksbühne einst eine linke Bewegung, von den Mitgliedsbeiträgen des Volks getragen.

Heute verselbständigt sich die Kunst kaum mehr – dafür verselbstständigt sich immer mehr der Diskurs. Man streitet sich darüber, was Kunst überhaupt ist und was nicht. So auch im Fall Chris Dercon, der seit mehr als einem Jahr üppig besoldet wird, obwohl er noch nichts auf die Hauptbühne am Rosa-Luxemburg-Platz gebracht hat. Stattdessen wich er mit einer Tanzperformance auf das Tempelhofer Feld aus.

Es lohnt sich, einmal genauer die Art zu vergleichen, wie Käthe Kollwitz junge Berliner beschreibt – und wie Chris Dercon dies tut. Sie beobachtete die Menschen auf den Plätzen wie auf kleinen Bühnen, wo nicht Schauspieler, sondern Eltern und junge Rebellen ihre Rechte auf Brot und Freiheit symbolisch einklagten. Zum Vergleich dazu die Worte Dercons in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung im Jahr 2010. Auf die Frage, was die Stadt Berlin überhaupt zu bieten habe, antwortete Dercon: „Berlin? Zigtausende junge Kreative ohne Geld, die ständig Bewerbungsmappen und E-Mails nach München schicken! (…) Es wird bald eine große Massenflucht dieser jungen Menschen raus aus Berlin einsetzen – ein Kinderkreuzzug! Zu Fuß, in zerrissenen Adidas-Anzügen, kaputte I-Books unterm Arm, kaputte Sonnenbrillen auf der Nase, so werden sie in andere Städte flüchten. Sie werden sich (in München) auf dem Marienplatz versammeln und für ein Minimaleinkommen demonstrieren!“

Chris Dercon wird üppig besoldet, obwohl er noch nichts auf die Hauptbühne seines Theaters gebracht hat

Die Ironie des Schicksals ist, dass es dann ausgerechnet Dercon war, des sich auf Arbeitssuche nach Berlin begeben hat – und jetzt dort von Steuergeldern bezahlt wird. Käthe Kollwitz hätte nie nach der Polizei rufen müssen, um ihr Hausrecht durchzusetzen, so wie Dercon es bei der Volksbühnenbesetzung im September tat. Vielmehr hat sie auch in schwierigen Zeiten Militär und Polizei scharf kritisiert. Zum Beispiel, als diese 1919 den Trauerzug von Karl Liebknecht einkesselten, sodass die trauernden Anhänger sich nicht frei durch die Stadt bewegen konnten. Damals ging es um Barrikaden, um die Bewegungsfreiheit der Menschen. Heute hätte Kollwitz für andere Themen Bilder gefunden. Für die subtile Drangsalierung der Menschen durch die digitale Überwachung etwa. Auch die Vertreibung armer Menschen aus bezahlbarem Wohnraum wäre sicher ein Thema für sie gewesen.

Die Berlinerin Kollwitz hätte dagegen gekämpft, dass Dercon das Ensembletheater der Volksbühne einmottet. Was ihre Kunst betraf, war sie bescheiden und nüchtern. „Ich bin einverstanden damit, dass meine Kunst Zweck hat. Ich will wirken in dieser Zeit, in der die Menschen so ratlos und hilfsbedürftig sind.“ Aber Kollwitz war auch eine entschlossene Kritikerin. Sie hätte Chris Dercon wohl gesagt, dass er seine kaputten Sonnenbrillen besser wieder einpackt und woanders seinen Platz an der Sonne sucht – und die Berliner Jugendlichen einfach in Ruhe lässt.

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