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Thomas Ebermann über Wahn und Normalität„Kluge Gedanken durch eine trostlose Zeit retten“

Die szenische Lesung „Normal. Eine Besichtigung des Wahns“ zeigt satirisch und polemisch, wie wahnhaft die politische Ideologie der Normalität ist.

Fit für die Normalität: ganz normaler Wahnsinn im Fitnesscenter Foto: Michael Kappeler/dpa
Interview von Robert Matthies

taz: Herr Ebermann, in Hamburg haben gerade viel weniger Menschen AfD gewählt als anderswo, am meisten Stimmen gab es für die regierende SPD. Hat da die Vernunft noch mal über den Wahn gesiegt?

Thomas Ebermann: Wir haben oft genug im Fernsehen gehört, dass das an Hamburgs Liberalität und Weltoffenheit liegt. Komisch, wieso dann gerade hier Schill passieren konnte. Also nein: Der normale Anhänger der knallharten instrumentellen Vernunft hat Olaf Scholz auf dem Spiegel-Titel gesehen, „massenhaft abschieben“, und weiß, dass sein Anliegen ohne Schaum vor dem Mund, aber in der Sache knallhart in guten Händen ist. Es ist also eine Bestätigung dessen, was wir in unserer szenischen Lesung auch sagen: Ja, es gibt den Wahn und er ist bedrohlich. Aber noch krepieren mehr Menschen an der berechnenden Normalität; an dem, was Horkheimer instrumentelle Vernunft nennt …

taz: … eine technisch-rationale Denkweise, die sich nur auf die Mittel zur Erreichung von Zwecken konzentriert, ohne die Zwecke kritisch zu hinterfragen.

Ebermann: Ziele sind gleichgültig, die Mittel sind alles: Mittel zum Erfolg, zum Vorankommen, um den Laden am Laufen halten und Standortsicherung zu betreiben. Insofern: Wer im Hamburger Wahlergebnis einen Grund sieht aufzuatmen, sieht die Dinge anders als ich. Wir machen einen Abend gegen Irrationalismus und instrumentelle Vernunft. Dann ist Hamburg ein gutes Beispiel, wie mörderisch die instrumentelle Vernunft ist.

Bild: privat
Im Interview: Thomas Ebermann

73, Publizist, Kritiker und Satiriker. Zuletzt erschien von ihm 2021 der Essay „Störung im Betriebsablauf. System­irrelevante Betrachtungen zur Pandemie“ (KVV konkret texte, 136 S., 19,50 Euro).

taz: Berechnende Normalität ist gefährlicher als AfD-Erfolge?

Ebermann: Das eigentlich Beängstigende ist die Übernahme der AfD-Positionen. Wenn man sagt, die AfD ist Symptom der gesellschaftlichen Rechtsentwicklung und nicht lediglich Ini­tiator, dann bekommt man eher Angst vor einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung. Die Hauptgefahr ist die Rechtsentwicklung innerhalb der Demokratie und nicht die Abschaffung der Demokratie.

taz: Was kann man dagegen mit den Mitteln der Satire tun?

Ebermann: Wir haben in Graz zusammengesessen, uns ganz klassisch an Max Horkheimers „Kritik der instrumentellen Vernunft“ geschult und versucht, hinter die Geheimnisse zu kommen, die auch in den Andeutungen stecken. Ich glaube, dass ein Abend witzig sein darf, wenn man ihm anmerkt, dass der Witz nicht die Unwissenheit kaschiert, sondern auf einer angelesenen Klugheit basiert. Du kannst den Witz auf eine etwas vordergründigen Weise verstehen oder auch den theoretischen Background, den man ja im Regelfall nicht mitreferiert. Sonst ist es ja kein Theaterabend, sondern ein Sachbuchvortrag.

taz: Wie sieht das auf der Bühne aus?

Ebermann: Der Abend ist zweigeteilt. Die erste Halbzeit ist etwas, wo der ganze Saal mitlacht bei der Besichtigung des offensichtlich Wahnhaften, Chemtrails oder so. Oder bei der Frage: Wie steht es mit den Linken und der Esoterik? In der Coronazeit sind ja von autonom über gewerkschaftlich orientiert bis anti­deutsch Heerscharen verrückt geworden.

„Normal – Eine Besichtigung des Wahns“

Szenische Lesung mit Thomas Ebermann, Thorsten Mense und Florian Thamer.

Nächste Termine im Norden:

Sa, 26. 4., Göttingen, Kino Lumière

Di, 6. 5., Hannover, Pavillon

Mi, 7. 5., Osnabrück, Haus der Jugend;

Do/Fr, 8./9. 5., Bremen, Kukoon

Weitere Termine und Infos: www.vernunftwahn.de

taz: Und dann geht es um die instrumentelle Vernunft und die Normalität?

Ebermann: Ja, warum ist die instrumentelle Vernunft nicht der Gegensatz, sondern das Fundament des Wahnhaften? Wir kritisieren die Normalität und erzählen die Geschichte des Normalismus. Und auch hier fragen wir uns wieder: Was passiert mit Linken, wenn sie der Normalität huldigen wollen? Wir diskutieren zum Beispiel, ob Stephan Lessenichs Buch „Nicht mehr normal“ nicht ein bisschen zu viel Verständnis für den normalen Menschen hat. Es kann viel gelacht werden, aber es wird auch Momente der Überforderung geben. Das ist ja ein bisschen unser Markenzeichen, dass man sagt: Es gibt so kleine Inseln, die sind recht abstrakt und nicht so leicht zu verstehen. Aber man findet wieder rein, weil es auch das Beispielhafte und Episodische gibt. Wir wollen ein paar kluge Gedanken durch die trostlose Zeit retten.

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