Protest der „Letzten Generation“: Die Ritualisierung von Politik

Kritisiert werden die Autobahn-Blockaden der „Letzten Generation“ aus allen politischen Lagern. Woher kommt die Einigkeit?

Drei Menschen in orangefarbener Kleidung sitzen auf einer Straße

„Die letzte Generation“ blockiert eine Kreuzung zu Zollamt und Autobahn in Hamburg, 21. Februar Foto: Christian Charisius/dpa

Es gibt einen amüsanten Ausschnitt aus einer Diskussionsveranstaltung im Jahr 2015 mit dem Publizisten Thomas Ebermann. „Ich drehe am Rad“, sagt Ebermann immer wieder. Und das Publikum lacht. Ebermann regt sich über sogenannte fantasievolle Protestaktionen auf. Als Beispiel nennt er Studierende, die in den städtischen Brunnen springen und die Aktion mit dem Spruch rahmen: Die Bildung geht baden. Oder Protestierende, die einen Sarg tragen, auf dem „Gesundheitswesen“ steht.

Auch eine Aktion der Gruppe „Aufstand der letzten Generation“, bei der Ak­ti­vis­t:in­nen Mitte Februar Mist im Landwirtschaftsministerium ausgeschüttet haben, weil die Politik der Regierung in der Klimakrise eben Mist sei, kann man dazuzählen.

Ebermann kritisiert solche Aktionen, die oft damit begründet werden, dass man viele Menschen erreichen möchte. Er nennt sie Selbstinfantilisierung, Selbstverharmlosung und Selbstverblödung. Die Ak­ti­vis­t:in­nen machten sich nicht nur lächerlich. Sie signalisierten den Kritisierten auch, dass sie letztlich harmlos seien.

Für Aufregung sorgen gerade andere Aktionen von „Aufstand der letzten Generation“. Ak­ti­vis­t:in­nen blockieren seit Wochen Autobahnen in Deutschland. Sie wollen auf die Dringlichkeit der Klimakrise aufmerksam machen, fordern eine sofortige Agrarwende und ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung. Das „Essen-retten-Gesetz“ soll das Containern entkriminalisieren und Supermärkte verpflichten, Lebensmittel zu spenden, die sie wegschmeißen würden.

Ein Ultimatum, das die Ak­ti­vis­t:in­nen an verantwortliche Po­litike­r:in­nen gestellt hatten, lief vergangenen Sonntag aus. Deshalb blockierten sie am Montag mehrere Stunden die Köhl­brandbrücke am Hamburger Hafen.

Manche haben sich mit Sekundenkleber und Bauschaum an der Brücke festgeklebt und Rapsöl auf die Fahrbahnen gegossen. „Hamburg ist Schauplatz der Zerstörung. Sein Hafen zeigt das todbringende industrielle Weiter-so, während die Auswirkungen der Klimakrise hier bald nicht mehr zu übersehen sein werden“, erklärte die Gruppe. Auch Flughäfen wollen sie bald blockieren.

Auch die Grünen kritisieren die Ak­ti­vis­t:in­nen

Für die Blockaden kassieren die jungen Menschen viel Hass und Häme. Nicht nur von betroffenen Autofahrer:innen. Die Welt bezeichnet die Blockaden als narzisstische Nonsens-Aktionen, verglich die Ak­ti­vis­t:in­nen mit Sekten und stellte ihnen den von Rechtsextremen durchsetzten Trucker-Protest aus Kanada gegenüber, der als Protest für körperliche Selbstbestimmung und berufliche Sicherheit verklärt wurde.

Die Bild fragte, ob im Kampf um das Klima eigentlich alles erlaubt sei und empörte sich darüber, dass die Ak­ti­vis­t:in­nen Leben gefährdeten – als ob die Ak­ti­vis­t:in­nen durch deutsche Innenstädte marodieren würden, um gezielt Coronamaßnahmen zu brechen und tatsächlich andere gefährden. Erwartbar fielen auch die Reaktionen konservativer bis rechter Politiker aus. „Sie wollen anderen Schaden zufügen“, sagte Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion. AfD-Frakionschef Tino Chrupalla stellte fest: „Vergehen sind konsequent zu ahnden.“

Aber auch die, die mit dem Thema Klimakrise an Regierungsmacht gekommen sind, sehen das ähnlich. Mit den Blockaden spielten die Ak­ti­vis­t:in­nen „den reaktionären Kräften in die Hand, die eben gerade keinen Klimaschutz wollen“, sagte der grüne Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, in dessen Bereich die konkrete Forderung der Ak­ti­vis­t:in­nen fällt. „Ganz wenige“ würden „Mehrheiten für den Klimaschutz gefährden“.

Eine Demokratie lasse sich nicht erpressen, so Özdemir, der den Ak­ti­vis­t:in­nen ein vordemokratisches Politikverständnis attestierte. Drastisch artikulierte sich die Grüne Katharina Fegebank, Zweite Bürgermeisterin von Hamburg: „Kein Verständnis für Protest mit der Brechstange“. Die grüne Bundesumweltministerin Steffi Lemke sah das anders. Aber nur kurz. Sie hatte zivilen Ungehorsam zunächst als „absolut legitim“ bezeichnet – und stimmte später dem FDP-Bundesjustizminister Marco Buschmann zu, der die Blockaden als „rechtswidrig“ kritisierte.

An dieser Stelle ist es hilfreich, auf den politischen Kontext zu blicken, in dem Ak­ti­vis­t:in­nen in Deutschland Autobahnen blockieren und von führenden Grünen-Politiker:innen als undemokratisch gerügt werden: Denn es sieht gegenwärtig so aus, dass selbst die relativ ambitionierten Klimaziele der Ampelkoalition nicht ausreichen dürften, um das 1,5-Grad-Ziel ernsthaft zu verfolgen. Manche Ex­per­t:in­nen sagen, dass es kaum mehr in Reichweite sei, dass Deutschland einen ausreichenden Beitrag zu dieser Zielsetzung leistet.

„Wir haben schon jeden anderen Weg versucht“

Trotzdem kann man dann noch fragen: Was bringt es, Autobahnen zu blockieren?

Ebermann wirkte vor über 40 Jahren bei der Gründung der Grünen mit. Als die Partei ihm zu realpolitisch wurde, trat er mit anderen aus. Er bettet seine Kritik der fantasievollen Aktionen in eine grundsätzliche Kritik von Politik ein. Es ist eine Kritik der politischen Form, die auf viele inhaltliche Probleme der Gegenwart übertragen werden kann. „Wer von der strukturellen Gewalt ungefähr so denkt, wie wir gesprochen haben, der muss eine tiefe Abscheu gegen die Rituale von Regierung und Opposition haben“, sagte er in eingangs erwähnter Diskussionsrunde. Er verwies auf den Begriff der „Gesellschaft ohne Opposition“ des Philosophen Herbert Marcuse.

Für das Problem der Klimakrise heißt das: Es gab und gibt viel Streit über die Frage, wie jener Krise begegnet werden soll. Aber das ritualisierte Pro und Contra stellt die strukturelle Dimension, die systemischen Ursachen der Erdzerstörung nicht wirklich infrage. Es wird zwar die ganze Zeit über die Klimakrise gesprochen, die Welt geht währenddessen trotzdem unter, weil der aktuelle Lauf der Dinge, der den Weltuntergang bedingt, nicht gestoppt wird.

„Ich würde super gerne andere Wege wählen, aber wir haben einfach schon jeden anderen Weg versucht. Wir haben jahrelang Petitionen unterschrieben, wir haben jahrelang auf der Straße gestanden und vom Straßenrand aus demonstriert und das hat leider nicht zu den Ergebnissen geführt, die wir dringend brauchen, um die Menschen vor dem Klimakollaps zu retten“, sagte Aimée van Baalen, Sprecherin der Aktivist:innen, im Interview beim Deutschlandfunk.

Militanter Protest – Autobahnblockaden kann man dazuzählen – habe zwar oft nicht den Anspruch, der Bestandteil einer Strategie zu sein, so Ebermann. Er sei Notwehr, ein Abwehrreflex gegen die Zumutungen dieser Gesellschaft und ihrer Rituale, zu denen der fantasievolle Protest gehöre.

Mit Autobahnblockaden mögen die Ak­ti­vis­t:in­nen also vielleicht keine klimapolitischen Gesetze erwirken. Aber sie können damit den Modus infrage stellen, in dem über die Klimakrise und den Umgang mit ihr verhandelt wird. Und mit den Reaktionen können sie offenlegen, wie wenig sich Grüne, CDU und Springer-Medien unterscheiden, wenn es um die Frage geht, ob man so weitermacht wie bisher.

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