piwik no script img

Corona-TV in RusslandEiner hat alles unter Kontrolle

Noch kürzlich propagierte das staatsnahe russische Fernsehen, Händewaschen helfe nicht gegen das Virus. Nun steigen die Infizierten­zahlen.

Hat Corona und alles andere in der öffentlichen Darstellung im Griff: Wladimir Putin Foto: Alexei Druzhinin/dpa

Wackelbilder, schummriges Licht, Atemgeräusche aus dem Off. Irgendwo gehen Türen auf, Hände drücken auf Geräten herum, es piept und dröhnt, irgendwer spricht durch eine Maske, die Kamera schwenkt schnell zur Seite. „Wir sind nah dran“, erzählen die Journalist*innen des staatsnahen russischen Fernsehens ihren Zuschauer*innen, „damit Sie zu Hause bleiben.“

Russland hat derzeit mehr als 57.000 Infizierte, die Zahlen steigen stark an, viele Städte und Regionen setzen auf strenge Ausgangsbeschränkungen. Das Staatsfernsehen ist geübt darin, wie der Oberlehrer aufzutreten und Botschaften der Staatsführung in platte Formeln zu packen.

Russland habe kein Bettenproblem

Hatte es vor Kurzem noch genüsslich über den Zerfall der EU berichtet, weil diese nicht gegen ein Virus ankomme, das „etwas mehr als eine Grippe“ sei, liefert es nun gehetzte Bilder aus den Krankenhausfluren – um dann den Moderator in Ruhe sagen zu lassen: „Russland hat 45.000 Betten, um Corona­patienten aufzunehmen.“ Alles in bester Ordnung also.

Bilder von Treffen des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit Minister*innen, Wirtschaftsführern, Bürgermeistern sind Bildern von Videokonferenzen gewichen. Der Erste Kanal fängt jede Nachrichtensendung mit Grafiken an: die niedrigste Linie ist rot und steht für Russland. „Weil wir maximal effektiv dagegen ankämpfen“, sagt die Moderatorin.

Einer bleibt cool

Bei Rossija 1 bietet die Sendung „Moskau. Kreml. Putin“ Ekstase pur und zeigt einen Präsidenten, der alles im Griff hat. Für seine Interviews muss der jungenhafte wie huldigende Reporter ­Pawel ­Sarubin Handschuhe und Maske anlegen. Bei Rossija 24 tragen die Mo­de­ra­tor*innen T-Shirts mit dem Slogan „Wir bleiben zu Hause“. Sie arbeiten aus ihren Wohnzimmern heraus.

Re­por­ter*in­nen begleiten Po­li­zis­t*in­nen oder Ärzt*in­nen. Krankenhausflure werden auf allen Kanälen gezeigt. Berichte von Ärzt*in­nen, die über fehlende Schutzkleidung klagen, kommen nicht vor. Ebenso wenig überfüllte Metro-Zugänge, die zustande kommen, weil die Polizei Passierscheine kontrollieren will.

Die Botschaft dahinter: Die Coronawelt ist zwar auch im staatsnahen russischen Fern­sehen eine bedrohliche. Doch es gibt einen, der dabei alles unter Kontrolle hat – Wladimir ­Putin.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • "Berichte von Ärzt*in­nen, die über fehlende Schutzkleidung klagen, kommen nicht vor."

    Was soll uns dieser Satz sagen? Werden diese Berichte jetzt brutal unterdrückt, oder haben die Mitarbeiter im Gesundheitssystem genug Schutzkleidung?

    Bitte Nachweise beibringen

    • @Martin_25:

      In der vergangenen Woche wurde die Leiterin der „Ärzteallianz“ von der Polizei in der Nähe von Nischnij Nowgorod festgenommen. Sie hatte mit anderen Gewerkschaftsmitgliedern Schutzkleidung in die Stadt nordöstlich von Moskau gebracht. Handschuhe, Masken und Schutzkittel, die das medizinische Personal dringend benötigt. Durch Fundraising waren umgerechnet 40.000 Euro zusammengekommen.

      Ständig melden sich Angestellte aus dem Gesundheitsbereich bei der Gewerkschafterin entweder mit Wünschen oder Beschwerden. „Ich kann nicht mehr jedem antworten“, sagt sie. Meist drehe es sich um Schutzkleidung und Apparate, die in den Regionen fehlten.



      Anzeige

      Auf dem Weg nach Nischnij Nowgorod wurden die Helfer der Allianz mit dem Hilfsmaterial gar nicht mehr zu den Ärzten in den Krankenhäusern vorgelassen. Polizei und Sicherheitsdienste verhinderten die Übergabe. Sie musste an anderen Orten stattfinden.

      Der Kreml ist aufgebracht, seitdem die Ärztin Lieferungen in die USA und nach Italien öffentlich kritisierte: „Wir erbitten Geld für Schutzkleidung für unsere Ärzte, doch unsere Verantwortlichen schicken diese Güter in die USA“, meinten die Helfer.



      taz.de/Corona-in-Russland/!5677792/

  • Mir tut die russische Bevölkerung einfach Leid, da die Informationslage und die ergriffenen Maßnahmen definitiv eher für den Virus als für das Wohl des Volkes arbeitet.



    Hoffentlich nimmt diese Situation nicht für viele Menschen ein schlimmes Ende.

  • Russland scheint noch nicht das Maximum der Infiziertenzahl erreicht zu haben. Für eine Gesamteinwohnerzahl von 147 Mio. könnten 45.000 Betten knapp werden.



    Aber vergleichen wir doch mal mit ... Schweden:



    Tests / Mio. Einw.: RUS 15400 / S 9400



    positiv getestete / Mio. Einwohner: RUS 400 / S 1600



    Tote / Mio. Einwohner: RUS 4 / S 196



    Und jetzt freue ich mich schon auf die Diskussion, wessen Daten zuverlässiger sind :)