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Zweiter NSU-Ausschuss im Bundestag„Aufklärung lange nicht am Ende“

Der Bundestag will einen zweiten NSU-Ausschuss. Die Länder, in denen Gremien die Terrorserie noch aufklären, loben diesen Schritt.

„Der Bundestagsausschuss kann nur helfen“: Dorothea Marx, Vorsitzende des NSU-Ausschusses in Thüringen Foto: dpa

BERLIN taz | | Seit dreieinhalb Jahren lässt der NSU-Komplex Dorothea Marx nicht los. Seitdem geht die Sozialdemokratin im Thüringer Untersuchungsausschuss der Terrorserie nach. Sie befragte mehr als hundert Zeugen, durchstöberte tausende Akten. Marx leitet das Gremium – seit Februar diesen Jahres bereits in der zweiten Auflage.

Nun geht auch der Bund in eine weitere Runde. Alle Fraktionen im Bundestag verständigten sich darauf, auch dort einen zweiten NSU-Untersuchungsausschuss einzurichten (taz berichtete). Dorothea Marx begrüßt den Entschluss. „Die Aufklärung ist noch lange nicht am Ende. Der Untersuchungsausschuss im Bundestag kann dabei nur helfen.“

Am Mittwoch hatte der Unions-Beauftragte zum Thema NSU, Clemens Binninger, angekündigt, dass der zweite Untersuchungsausschuss im Bundestag kommt. Nur so ließen sich noch offene Fragen klären. Bereits von Januar 2012 bis August 2013 gab es im Bund einen ersten NSU-Ausschuss. Linke und Grüne hatten schon seit dem Frühjahr eine Fortsetzung gefordert, zuletzt auch die SPD. Nun schloss sich die Union an.

„Nicht mit geschwärzten Akten zufrieden geben“

Parallel laufen noch in fünf Ländern NSU-Auschüsse – neben Thüringen in Sachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Baden-Württemberg. Dort lobte am Donnerstag nicht nur Dorothea Marx den Schritt des Bundestags. „Es bleibt weiter die Frage, ob die Bundesanwaltschaft im Fall NSU wirklich alles ermittelt hat.“ Auch kämen immer wieder neue Akten ans Licht. Die Sozialdemokratin ermutigte ihre BundeskollegInnen, im zweiten Anlauf selber auf Dokumentensuche zu gehen und „sich nicht mit geschwärzten Akten zufrieden zu geben“.

Auch Sven Wolf (SPD), der in NRW den seit November 2014 laufenden NSU-Ausschuss leitet, stützt das Vorhaben. „Wir merken bei uns, gerade in Gesprächen mit Opfern, immer wieder, wie sehr beim Thema NSU das Vertrauen in den Rechtsstaat gelitten hat. Alles, was dieses Vertrauen wieder herstellen kann, ist gut.“ Wichtig aber, so Wolf, sei nun eine gute Absprache zwischen den Ausschüssen.

Der Ausschussleitende in Baden-Württemberg, Wolfgang Drexler (SPD), schlägt ein Koordinierungstreffen aller Vorsitzenden in den Ländern und im Bund vor, sobald der Bundestagsausschuss konstitutiert ist. Er werde seine KollegInnen in den kommenden Tagen kontaktieren. Auch Drexler lobt die Bundespolitiker: „Ich begrüße sehr, dass sich der Bundestag erneut der NSU-Aufklärung zuwenden will.“

Dort wollen die Fraktionen vor allem dem Helfernetzwerk des NSU nachgehen, den bis heute rätselhaften Morden in Heilbronn und Kassel sowie den Ereignissen am 4. November 2011, als die NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ums Leben kamen.

Kommentar: Schweigen

Im Fokus wird zudem der Verfassungsschutz stehen. Das Amt führte mehrere V-Leute im NSU-Umfeld - und kam den Rechtsterroristen trotzdem nicht auf die Schliche. Die Linken-Innenexpertin Petra Pau verweist zudem auf eine 100-köpfige Sonderkommission, die nach Bekanntwerden des NSU im Bundesamt gebildet wurde. „Zur selben Zeit wurden massenhaft Akten vernichtet.“

Die Begeisterung bei dem Geheimdienst über den erneuten Untersuchungsausschuss dürfte daher begrenzt sein. Die absehbare Einsetzung kommentierte das Amt auf Nachfrage: mit Schweigen.

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5 Kommentare

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  • @Kurt-Horst Dlochs Statement aufgreifend, ließe sich auch fragen: Wird es sich der neue Untersuchungsausschuß getrauen, nach dem Tiefen Staat in Deutschland zu fragen? Nach Parallelstrukturen, Verbindungen von Teilen des Staates zur Organisierten Kriminalität, nach verschleierten Bündnispflichten, nach inszeniertem Terror und kalkulierter Einschüchterung der Bürger? Der vermeintliche "NSU" ist das Stöckchen, über das man uns Linke springen läßt. Nichts davon ist bewiesen. Die beste Voraussetzung eines solchen Ausschusses wäre: Nichts von der offiziellen Version glauben, nichts als gegeben hinnehmen, alles in Zweifel ziehen, mit naturwissenschaftlicher Objektivität die Fakten zu untersuchen.

    • @Albrecht Pohlmann:

      Na der Thüringer PUA hat ja schon durchblicken lassen das die Parlamentarier die "Wohnmobilgeschichte" so auch nicht mehr glauben!

      Da kann sich auch der zuständige Pathologe mit derRußlungengeschichte nicht herausreden, Obwohl natürlich immer noch versucht wird dazu in Kommentaren durch interessierte Leser zu manipulieren: Beispielsweise wird gern behauptet das die physikalisch festen Rußpartikel das Gleiche seien wie "Rauchgase" (Bescheuertes Wort, das Rauch schwebfähige Feststoffpartikel bezeichnet, "Gas" aber eben gasförmige Umsetzungeprodukte eines Brandes).

      Denn im Gutachten wird ausgewiesen das sich eben weder Feststoffe in den Atemwegen fanden, (die bei ein - zwei Atemzügen durchaus weitgehend wieder ausgeatmet werden können), sondern eben im Blut auch keine Spuren von Kohlemonoxid und Zyaniden (was nur möglich ist wenn man die NICHT einatmet, darum sind beide Gase ja auch für die Sauerstoffversorgung so problematisch).

  • Die "Aufklärung" soll endlich mal anfangen!

    • @KarlM:

      Der Staat im Staat sträubt sich noch.

      • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

        Hier muss ich Ihnen vollumfänglich zustimmen.

         

        Dieses Theater ist kaum noch auszuhalten.