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Zweifelhafte ideologische PaketeAn jeder Baustelle einzeln ansetzen

Der Historiker Andreas Rödder hat das „Ende der grünen Hegemonie“ verkündet. Anders als der CDU-Vordenker sollten Progressive keine Ideologiepakete schnüren.

„Und gleich wird sie erklären, dass alles mit allem zusammenhängt…“, Luisa Neubauer, hier am 3. Februar in Berlin Foto: Liesa Johannssen/reuters

D er Mensch, mit dem ich kürzlich gegen rechts demonstrieren ging, war in gehobener Mäkelstimmung. Hier waren auf dem Demoplakat gleich zwei Kommafehler „in nur einem Slogan!“, dort wurden seiner Ansicht nach unzulässige Parallelen zu 1933 gezogen. Und natürlich: „Ich demonstriere nicht gegen rechts, sondern gegen Rechtsextremismus – so viel Präzision muss sein!“

Als Luisa Neubauer von Fridays for Future sprach, seufzte er: „Und gleich wird sie erklären, dass alles mit allem zusammenhängt, gegen Rechtsextremismus zu sein mit Klimaschutz.“ Da hatte er recht, genauso kam’s. Ich war mir auch nicht sicher, ob ich Neubauers Wunsch, alles zusammenzudenken, folgen mochte – nicht, weil ich die Zusammenhänge abstreiten wollte, sondern aus PR-Gründen. Ich hätte es cooler gefunden, wenn die Fridays den Zusammenhang einfach durch ihre Rolle im Geschehen dargestellt hätten, statt drüber zu reden. Denn sie waren es ja, die so maßgeblich zur Mobilisierung gegen AfD und Rechtsaußentum beigetragen hatten.

Oder war ich mit diesem sowieso eher geschmäcklerischen Urteil bereits der neuen Geschichte vom „Ende der grünen Hegemonie“ aufgesessen? Hu, Vorsicht. Andreas ­Rödder, Geschichtsprofessor an der Uni Mainz und ein konservativer Stichwortgeber, hatte dieses Motto neulich via FAZ in die Welt gesetzt.

Demnach gehört alles, was seit der Finanzkrise 2008 emanzipatorisch und klimaschützerisch gedacht und gefordert wurde, zur „grünen Hegemonie“, die nun aber vorbei sei. Rödder benennt als „Kipppunkt“ dafür die peinliche Veranstaltung im vergangenen Juni im bayerischen Erding, wo der Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger sich beziehungsweise der „schweigenden Mehrheit“ die Demokratie „zurückholen“ wollte.

An Rödders These, so süffig sie daherkommt, ist vieles schief – angefangen damit, dass die Sache mit der grünen Hegemonie seit 2008 sich ja irgendwo im Wirtschafts- und Konsumverhalten hätte niederschlagen müssen. Zum Abgleich mit der Realität empfehle ich einen Blick etwa auf die Autozulassungsstatistik. Der Soziologe Armin Nassehi liefert in der aktuellen Zeit noch ein paar mehr Einwände.

Aber es geht Rödder ja auch gar nicht um die Wirklichkeit. Sondern um den Machtanspruch, also die Forderung wahrhaftig nicht nur der Grünen, die Wirklichkeit zu verändern: in Richtung einer höheren Überlebenswahrscheinlichkeit auf diesem Planeten. Und schon diese Forderung, da hat er natürlich einen Punkt, lässt sich seit der Heizungsgesetz-Katastrophe öffentlich wieder ganz lässig beiseitewischen. Und das mit immer schlichterer Argumentation: Irgendwas mit „Bevormundung“ geht immer – vergleiche die Einlassung des CSU-Generalsekretärs im Schlagabtausch dieser Woche darüber, ob Schwarz-Grün nach der nächsten Bundestagswahl möglich sei (wir reden dabei von 2025 – es sei denn, Christian Lindner bekommt demnächst den Job angeboten, den er wirklich will). Die übrigen bedienen sich der umlaufenden Varianten „Leider überfordernd“, „So nicht, also gar nicht“, „Atomkraft“.

Rödders „Ende der grünen Hegemonie“ ist als Angebot ans Unionslager zu lesen, als kleiner Leitfaden, wie man mit Kulturkampfparolen („Gegen Genderwahn“ und dergleichen) den Klimaschutz desavouiert – und gleichzeitig die fortschrittlichen Ideen der letzten 30 Jahre mit abräumt. So unappetitlich ich diese ideologische Paketlösung finde – als Antwort darauf halte ich es für sinnvoller, an jeder Baustelle einzeln anzusetzen: über Klima zu sprechen, wo es ums Klima geht, über Demokratie und gegen rechts außen zu sprechen, wo es um Demokratie und gegen rechts außen geht.

Demonstrieren gehen, das kann man ja irgendwie trotzdem für alles zusammen.

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Ulrike Winkelmann
Chefredakteurin
Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.
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10 Kommentare

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  • Wer Klimaschutz mag, kann trotzdem Gendern albern finden.



    Und wer gegen Rechts ist, kann trotzdem soldarisch mit dem Staat Israel sein.



    Die Idee, dass es nur eine gültige, korrekte Position gibt zu allen aktuellen Weltfragen ist vermessen und schadet der Sache.

  • „So unappetitlich ich diese ideologische Paketlösung finde – als Antwort darauf halte ich es für sinnvoller, an jeder Baustelle einzeln anzusetzen: über Klima zu sprechen, wo es ums Klima geht, über Demokratie und gegen rechts außen zu sprechen, wo es um Demokratie und gegen rechts außen geht.“ Und dabei in Zeiten Krieges an vielen Konflikt-, Kriegsschauplätzen der Welt Afghanistan, Gazastreifen, Jemen, Irak, Kongo Sudan, Syrien, Ukraine u. u. das Fordern und Organisieren von Frieden nicht zu vergessen, weil eben doch wie Luisa Neugebauer meint, alles mit allem zusammenhängt, eben nicht klein sondern groß zu denken, und das eben auch beim Demonstrieren gegen Rechtsaußen auf dem Weg doch noch die Klimaziele Parier Weltklimaabkommens 2015 zu erreichen, damit als Beifang der Agenda fossiler Energieträger Rechtsaußen eine nachhaltige Schrumpfkur zu verpassen

  • Das Allerallerwichtigste fehlt mal wieder:

    "Von Frühjahr 2022 bis September 2023 war er Vorsitzender der CDU-Grundwertekommission."

    Das ist auch, ähm, spannend: "Demnach gehört alles, was seit der Finanzkrise 2008" usw.



    Fragen über Fragen:



    Hat Rödder eigentlich mitbekommen, wer in den letzten 15 Jahren die meiste Zeit regiert hat?



    Und seit wann sind Wahrnehmungsgestörte mit Faktenallergie für eine Professur qualifiziert?

  • Rödder versteht kulturelle Hegemonie nicht in dem schlichten Sinne, der sich im Rückgang der PKW-Zulassungen ablesen ließe, sondern so:

    "Graf Kielmansegg diagnostizierte an dieser Stelle im September 2023 eine „Macht der Minderheit“, die über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, Hochschulen, Kultureinrichtungen und Kirchen so dominant in die Öffentlichkeit wirke, dass ihr ein woker Kapitalismus mit Diversity-Fliegern der Lufthansa und ICE-Garnituren der Deutschen Bahn mit Regenbogen­anstrich und gegenderter Kundenansprache folgte, obwohl seriöse Meinungsumfragen immer wieder zu erkennen gaben, dass etwa 80 Prozent der Bevölkerung dies ablehnen. Das war es, was Antonio Gramsci mit „kultureller Hegemonie“ gemeint hatte."

    Manchmal ist es hilfreich, die andere Auffassung im Original zu lesen.

    • @Jim Hawkins:

      Aber das stimmt doch so definitiv nicht. Also den letzten Satz des Zitats meine ich.

      Gramscis Hegemoniebegriff besagt doch gerade, dass die breite Masse, den von den Eliten gesetzten Narrativen zustimmt, oder nicht? Und gemäß dieser Definition gab es eben nie eine grüne Hegemonie.

      • @Tobsen:

        Wenn man "Hegemonie" durch "Deutungshoheit" ersetzt, ist man vielleicht näher dran..

      • @Tobsen:

        Genau das behauptet Rödder aber mit einer gewissen Plausibilität, wenn er schreibt: 》So wie das neoliberale Paradigma die Politik der Regierung Schröder bestimmt hatte, so bestimmte die grüne Diskurshoheit zunehmend die Politik der Regierungen Merkel – und noch 2022 gab dieCDUdem linken Begriff der „Gleichstellung“ den Vorzug vor dem liberalen Konzept der „Gleichberechtigung“ und beschloss das urgrüne Instrument einer paritätischen Frauenquote.《

        Nach der letzten Bundestagswahl war es doch die Hoffnung vieler, auch meine, dass nun, befreit von dem rechtskonservativen Ballast der Union, ein Aufbruch erfolgen würde, alle an einem Strang ziehen würden, entlang den Linien 'listen to the science', 'Arten- und Naturschutz ist Klimaschutz', mit den Grünen als Garanten auch für eine friedenspolitische Konstanz der Linken (Brandt/Bahrs 'Wandel durch Annäherung'), wie sie etwa Ströbele nach dem Überfall auf die Ukraine, kurz vor seinem Tod, für richtig befand: "keine Waffen in Kriegsgebiete"

        Es ist doch ein zerplatzter Traum: die Union betreibt Fundamentalopposition, die FDP in Teilen auch (innerhalb der Ampel!), es ist Krieg in Europa, Klimaschutz wird zu industriellen Großprojekten, die zunehmend auf Ablehnung stoßen und auch mit den eigenen Ansprüchen (Natur-, Artenschutz, Respekt vor Indigenen ( taz.de/Indigene-un...essiggas/!5867062/ ) , sogar die Abkehr von den Fossilen ist bestenfalls halbherzig (Lützerath, Katar-Deal) - das, was immer mal wieder als Strategie gegen Rechte propagiert worden ist, ihre Entzauberung in der Regierung, ist doch nun in Wirklichkeit der Ampel insgesamt, vor allem aber den Grünen widerfahren!

      • @Tobsen:

        Meines Wissens spielen bei dieser Art Hegemonie die Medien, die Bildung und die Kultur eine entscheidende Rolle.

        So betrachtet kann man durchaus von einer grünen Hegemonie sprechen.

        Grundschüler dürfen an Fasching nicht als "Indianer" gehen, in Kitas soll Transgeschlechtlichkeit ein Thema sein, im ÖRR wird gegendert und überall ist die Rede von Studierenden etc. , im Online-Auftritt der Tagesschau war zumindest eine Weile von "gebärenden" oder "entbindenden" Personen die Rede.

        Sucht ein Metzger auf dem Land eine Verkäuferin, steht in der Anzeige m/w/d.

        Und so weiter und so fort.

        • @Jim Hawkins:

          "Meines Wissens spielen bei dieser Art Hegemonie die Medien, die Bildung und die Kultur eine entscheidende Rolle."

          Ja auf jeden Fall. Aber Hegemonie ist es, so wie ich den Begriff verstehe, halt erst wenn die breite Masse tatsächlich das für gut und richtig hält, was diese Institutionen ihnen als gut und richtig präsentieren. Für Gramsci war Hegemonie eben ein Problem insofern, als dass ein Großteil Arbeiter (irrigerweise, aus Gramscis Sicht) den Kapitalismus für gut und richtig hielt.

          Keines Ihrer Beispiele hat eine besonders hohe Zustimmung in der Bevölkerung. Ergo keine grüne Hegemonie. Allenfalls ein bisher weitgehend erfolgloser Versuch eine solche herzustellen.

  • Die überwiegende Mehrheit bevorzugt erfolgversprechende und rein problemorientierte Lösungen. Als solche erkennbar, werden auch linke und/oder grüne Ansätze bis hinein ins konservative Lager akzeptiert, aber eben nicht als Teil eines ideologischen Bundles. An einer umfassenden Transformation nach linken und/oder grünen Vorstellungen haben die meisten Menschen kein Interesse. Insbesondere das marktwirtschaftliche Prinzip steht für sie überhaupt nicht zur Disposition.

    Es kann somit durchaus sinnvoll sein, an jeder Baustelle einzeln ansetzen und nicht alles miteinander zu verknüpfen.