Zwangsheirat im Libanon: Kampf gegen die Kinderbräute
14, 15, 16 Jahre: Schon in diesem Alter werden Mädchen im Libanon verheiratet. Mit aggressiven Kampagnen gehen AktivistInnen dagegen vor.
Doch Basma wehrte sich, wandte sich an die libanesische Hilfsorganisation Himaya. Die schickte einen Sozialarbeiter, um die Eltern umzustimmen. Als der Versuch scheiterte, gingen die Kinderrechtler vor Gericht. „Aber der Richter sagte, er könne nichts tun“, erzählt Himaya-Mitarbeiterin Bassima Roumani. „Für die Ehe seien die Familien und die religiösen Autoritäten zuständig.“ Basma heiratete.
Wie vielen Mädchen im Libanon dieses Schicksal widerfährt, ist nicht genau bekannt. Eine offizielle Statistik gibt es nicht, doch in einer im September von der Frauenrechtsorganisation RDFL veröffentlichten Umfrage gaben neun Prozent der männlichen und weiblichen Befragten an, im Kindesalter verheiratet worden zu sein. Unter den weiblichen Befragten dürfte die Anzahl noch höher sein. Das UN-Kinderhilfswerk Unicef geht anhand von Daten von 2009 davon aus, dass sechs Prozent der Mädchen vor ihrem 18. Geburtstag zwangsverheiratet werden.
Sima Antabli, Kinderrechtlerin
Gegen das Gesetz verstößt die Kinderehe im Libanon nicht. Ein gesetzliches Mindestalter fehlt. Ohnehin gibt es kein einheitliches Recht, das für alle Frauen im Zedernstaat gilt. Denn das Familienrecht regeln die mehr als ein Dutzend Religionsgemeinschaften des Landes in Eigenregie. Wer heiraten will, kommt am Priester, Bischof oder dem Scharia-Richter nicht vorbei. „Bei den Christen ist das heiratsfähige Alter 14, bei den Muslimen beginnt es mit der ersten Regelblutung“, erklärt Sima Antabli von Himaya.
Dabei lehnen die meisten Libanesinnen und Libanesen die Kinderehe ab. Die RDFL-Studie kommt zu erstaunlichen Ergebnissen: 84 Prozent aller Befragten sprachen sich gegen die Ehe unter 18 aus. Mehr noch: Fast alle waren sich einig, dass das optimale Heiratsalter 18 Jahre und älter sei. Besonders auffällig ist, dass die Kinderehe bei den unter 35-jährigen Befragten so gut wie keine Unterstützer mehr findet.
Die Welt: Jährlich werden nach Angaben der Organisation "SOS-Kinderdörfer" 15 Millionen Kinder zwangsverheiratet. 80 Prozent davon sind Mädchen. In Afrika südlich der Sahara und in Asien sind die Zahlen besonders hoch.
Die Lage in Deutschland: Kinderehen gibt es aber auch in Deutschland, weil verheiratete Minderjährige eingewandert sind. 2016 lag die Anzahl noch bei rund 1.500, heute sind es noch wenige hundert. Die meisten kommen aus Syrien, Bulgarien und Griechenland. Ein Gesetz von 2017 besagt: Ehen von Menschen unter 16 Jahren sind automatisch unwirksam. Wenn einer der Partner zum Zeitpunkt der Eheschließung zwischen 16 und 18 Jahren alt war, soll ein Gericht entscheiden, ob die Ehe aufgehoben wird.
Die Rekordhalter: In Niger sind Dreiviertel der unter 18-Jährigen verheiratet. In der Zentralafrikanischen Republik sind es 68 Prozent, im Tschad 67 Prozent und Bangladesch 59 Prozent. In Indien ist die Quote in den letzten zehn Jahren stark gesunken: von fast 50 auf 27 Prozent.
Die Gefahr: Viele der verheiratete Mädchen werden Opfer häuslicher Gewalt und sexueller Übergriffe. Menschenrechtsorganisationen warnen, dass die Betroffenen häufig schwanger werden, bevor der Körper ausgereift ist. Dies kann zu – teils lebensgefährlichen – Komplikationen führen. (hag)
Doch Theorie und Praxis klaffen auseinander. Teils spiele Tradition eine Rolle, erklärt Antabli. „Meist sind es aber finanzielle Gründe, die die Eltern dazu bewegen.“ Besonders verbreitet ist die Kinderehe daher unter den vielen syrischen Flüchtlingen, die seit 2011 im Libanon Schutz gesucht haben. Eine vom UN-Bevölkerungsfonds durchgeführte Studie kam zu dem erschreckenden Ergebnis, dass im Libanon jedes vierte syrische Flüchtlingsmädchen zwischen 15 und 17 Jahren verheiratet ist.
Eine Aktion schockiert das Land
Ende Oktober schockierte eine skrupellose Werbeaktion das Land. Unter dem Stichwort „Junge Braut“ wurden dutzende Mädchen mit Foto und Alter im Internet angeboten. 12, 13, 14, 15 Jahre – jedes Alter war zu haben. Unter einer Hotline konnten sich Interessenten über das Angebot informieren.
Das Thema kochte hoch. In den sozialen Netzwerken hagelte es Kritik. Schließlich ließen die AktivistInnen von RDFL wissen, sie hätten die Kampagne ins Leben gerufen, um auf das Problem aufmerksam zu machen. Sie änderten sie die Website und veröffentlichten neben einigen der Telefonanrufe auch die Schicksale der abgebildeten Mädchen, die laut den AktivistInnen tatsächlich bereits im Kindesalter verheiratet worden waren.
„Fadia: Wurde verheiratet mit 15, beging Selbstmord nach der Abtreibung ihres ersten Kindes“, heißt es nun, wenn man auf eines der Bilder klickt. „Gründe für die Kinderehe: Armut und schwierige Umstände.“
„Das Erschreckende war“, sagt Maha Nammour von RDFL, „dass alles an unserer Aktion legal war.“ Die Kampagne verbucht sie als Erfolg. Nicht nur habe es die Leute wachgerüttelt. „Wir haben auch Druck ausgeübt auf das Parlament.“ Seit fast zwei Jahren kursiert ein Gesetzentwurf, der das Mindestalter auf 18 Jahre festschreibt. Dass der Entwurf geltendes Recht wird, ist derzeit allerdings noch unwahrscheinlich.
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