„Capernaum“-Schauspieler Zain Al Rafeea: Vom Flüchtlingsjungen zum Filmstar

Zain Al Rafeea, Hauptdarsteller im libanesischen Drama „Capernaum“, stand auf dem Roten Teppich, bevor er das erste Mal eine Schule besuchte.

Geht jetzt erstmals zur Schule: Zain Al Rafeea, hier im Spielfilm „Capernaum“ Foto: dpa

Was für ein Schock das gewesen sein muss: Aus den dreckigen Vierteln Beiruts auf den Roten Teppich in Cannes, im Jackett stand er plötzlich im Blitzlichtgewitter. Früher streifte Zain Al Rafeea durch die Straßen, um Geld zu verdienen, auf einmal macht er weltweit Schlagzeilen.

Zain wurde im syrischen Deraa geboren, dort wo Baschar al-Assad 2011 die ersten Demonstrationen gegen seine Willkürherrschaft niederschlagen ließ. Damals war Zain sechs Jahre alt. Seine Eltern flohen mit ihm und seinen drei Geschwistern über die libanesische Grenze nach Beirut – nicht in die schicken Viertel der Metropole, sondern in jene Teile der Stadt, in denen Müll sich in den Gassen türmt, offene Stromkabel aus den Wänden hängen, Abwasser über die Straße läuft.

Zur Schule ging Zain wie so viele der Hunderttausenden syrischen Kinder im Libanon nicht. Stattdessen unterstützte er seine Familie mit einfachen Jobs. Die Leute vom Film müssen ihm wie Außerirdische vorgekommen sein, als sie vor ihm standen, von einem Spielfilm redeten, von Kino, von einer Hauptrolle.

Für Nadine Labaki, Regisseurin des Dramas „Capernaum – Stadt der Hoffnung“, das nun auch in deutschen Kinos zu sehen ist und diese Woche für den Auslands-Oscar nominiert wurde, war Zain ein Glücksfall: gewitzt, schlau, aber mit der derben Sprache von der Straße. Dort fand ihn auch die Casting-Frau, erzählte Labaki am Rande eines Events in Hollywood. „Er war am Spielen, fütterte Hühner mit seinen Freunden.“

10 oscarnominierte Frauen

Bislang war Lady Gaga eher als Sängerin bekannt. Für ihre Hauptrolle im Musikerdrama „A Star Is Born“ und dessen Titelsong „Shallow“ hat sie jetzt ihre ersten beiden Oscarnominierungen erhalten. Foto: AP/Invision/Jordan Strauss

Auch die US-amerikanische Komponistin und Songwriterin Diane Warren hat eine Oscarnominierung für ihr Lied „I'll Fight“ erhalten. Dieses untermalt den Dokumentarfilm „RGB“ über die Supreme Court-Richterin Ruth Bader Ginsburg. Foto: AP/Invision/Jordan Strauss

Ihre Rolle als Herzogin von Marlborough in Yorgos Lanthimos' neuem Streifen „The Favourite“ hat Rachel Weisz eine Oscarnominierung als beste Nebendarstellerin beschert. Genauso wie im Film konkurriert sie dabei mit Co-Nebendarstellerin Emma Stone ... Foto: Reuters/Mario Anzuoni

Die wurde nämlich für ihre Rolle der Abigail Masham in demselben Film nominiert. Foto: AP/Invision/Chris Pizzello

Deborah Davis wiederum ist eine der beiden Drehbuchautorinnen, die dieses Jahr Oscarnominierungen erhalten haben. Sie hat zusammen mit Tony McNamara das Drehbuch für „The Favourite“ geschrieben, für das sie jetzt eine Nominierung in der Kategorie „Bestes Originaldrehbuch“ bekommen. Foto: Reuters/Mike Blake

Auch Nicole Holofcener mischt die ansonsten durchgehend männliche Riege der Drehbuchautoren bei den Oscarnominierungen 2019 auf. Die US-Amerikanerin hat zusammen mit ihrem Kollegen Jeff Whitty „Can You Ever Forgive Me?“ – die Memoiren der lesbischen Schriftstellerin Lee Israel – für die große Leinwand adaptiert. Foto: Reuters/Thomas Peter

Der Marvelstreifen „Black Panther“, der als bester Film nominiert ist, wurde nicht zuletzt für sein durchdachtes afro-futuristisches Designs von Kritiker*innen gelobt. Verantwortlich für die aufwändigen Kostüme zeichnete sich hierbei Ruth E. Carter, die nun auch in der Kategorie „Bestes Kostümdesign“ nominiert ist. Foto: AP/Invision/Evan Agostini

Auch Hannah Beachler hat für die Gestaltung von Wakanda in „Black Panther“ eine Oscarnominierung erhalten, und zwar in der Kategorie „Bestes Produktionsdesign“. Foto: imago/Cronos/Hiro Katoh

In der Königsdisziplin „Bester Film“ sind dieses Jahr leider wieder einmal keine weibliche Regisseurinnen vertreten. Aber bei den Kurz- und Dokumentarfilmen haben Frauen eine Chance auf die goldene Trophäe – so wie Domee Shi und Becky Neiman-Cobb, die für ihren Streifen „Bao“ in der Kategorie „Bester animierter Kurzfilm“ nominiert wurden. Er lief im Vorfeld von Pixars Superheldenstreifen „Incredibles 2“. Foto: imago/Future Image

Ein weiteres Trostpflaster ist Ai-Ling Lee, die für ihre Arbeit an der Neil-Armstrong-Biographie „First Man“ eine Nominierung in den sehr männerdominierten technischen Kategorien „Bester Ton“ und „Bester Tonschnitt“ erhalten hat. Foto: imago/UPI Photo/Kevin Dietsch

Mit der Filmwelt hat sich Zain bis heute nicht angefreundet. Auf einer Pressekonferenz beim Filmfestival in Cannes schlief er auf der Bühne einfach ein. Interviews mit der Regisseurin sitzt er sichtlich gelangweilt aus, während Labaki auf Französisch über den Film spricht, und antwortet dann, wenn ihm eine Frage ins Arabische übersetzt wird, mit einem Minimum an Worten.

„Welche Szene war am schwierigsten zu spielen?“, will ein Journalist wissen. „Keine“, sagt Zain. So recht scheint er die plötzliche Aufregung um seine Person nicht zu verstehen. Früher interessierte sich ja auch niemand für sein Schicksal.

Welche Szene war am schwierigsten zu spielen? – „Keine“, sagt Zain.

In „Capernaum“ spielt Zain sich teilweise selbst, einen Jungen, der sich durchs Leben schlägt. Die Hauptfigur heißt sogar wie er: Zain. Ein syrisches Flüchtlingskind aber ist die Figur Zain nicht, sondern ein libanesischer Junge aus einer armen christlichen Familie. So jedenfalls legt der Film es nahe. Armut, so die Botschaft, trifft nicht nur Syrer, nicht Flüchtlinge, nicht Muslime. Sie trifft Menschen, allen voran Kinder.

In „Capernaum“ ist Zain der Gnadenlosigkeit der Armutsspirale ausgeliefert. Die Figur zeigt, wie sich keiner mehr interessiert für jene, die ganz unten angekommen sind. Der echte Zain ist einer der wenigen, die dieser Spirale entkommen konnten. Im Film will Zain nach Schweden, nimmt Kontakt zu Schleppern auf. Der echte Zain lebt heute in Norwegen. Er hatte das Glück, mit seiner Familie offiziell umsiedeln zu können. Zum ersten Mal in seinem Leben besucht der nun 14-jährige Filmstar eine Schule.