Zustand der Ampel: Frusttruppe mit Therapiebedarf
Die Ampel streitet und streitet. Die Menschen erwarten zu Recht, dass nun endlich nach Lösungen und neuen Einnahmequellen gesucht wird.
G ut, dass sich die Ampelregierung mal wieder zum Teambuilding in Meseberg trifft. Das tut dem innerkoalitionären Klima hoffentlich gut. Denn zurzeit gibt die Regierung aus SPD, Grünen und FDP ein miserables Bild ab. Egal welches Thema, ob Kindergrundsicherung, Verbrennerautos oder Gasheizungen – man streitet. Eine Familientherapeutin würde nun eine Auszeit oder die Scheidung empfehlen. Für die Ampel, die gerade mehrere Großkrisen managen muss, ist Trennung aber keine Lösung.
Streit ist prinzipiell gut. Die politische Willensbildung fußt auf dem Austausch verschiedener Perspektiven und der Suche nach dem besseren Argument. Das ist produktiv. Kontraproduktiv wird es, wenn Streit nur dazu dient, eigene Machtansprüche und Interessen durchzusetzen. So wie derzeit in der Ampel. Die FDP, die in Wahlen verliert, versucht, ihr Profil zu schärfen, vor allem gegen die Grünen. Die punkten mit auf die eigene kosmopolitische, klimabewegte Wähler:innenschaft zugeschnittenen Botschaften. Aber sie erreichen kaum Menschen über dieses Milieu hinaus, wie die Berlinwahl zeigte. Die SPD kann sich in dieser Dreierbeziehung nicht entscheiden, ob sie nun Schiedsrichterin oder Kapitänin sein will.
Im Hintergrund laufen derweil Haushaltsverhandlungen. Der Staat wird im nächsten Jahr wohl 50 Milliarden Euro weniger ausgeben können, auch weil der Weg zu frischen Krediten durch die Schuldenbremse nun bis auf einen kleinen Spalt versperrt ist. Hinzu kommt, dass Projekte aus dem Koalitionsvertrag, wie die Kindergrundsicherung, noch gar nicht eingepreist sind. Derzeit tanzen alle Minister:innen zu Einzelgesprächen bei Christian Lindner an. Dessen Job als Finanzminister ist es, die Wunschlisten zurechtzustutzen. Als FDP-Vorsitzender tut er das auch nach parteipolitischen Präferenzen. Eine Milliarde für die FDP-Bildungsministerin muss drin sein, die Kindergrundsicherung, für die die grüne Familienministerin 12 Milliarden angemeldet hat, liegt auf Eis.
Jetzt rächt sich, dass die Ampelparteien im Koalitionsvertrag darauf verzichtet haben, Prioritäten und Preisschilder zu vergeben. Das hätte ja den Frieden der Koalitionsverhandlungen gestört. Jetzt muss sie dies nachholen, was denn auch zum erwarteten Unfrieden führt.
Die Menschen dürfen erwarten, dass die Ampel nach pragmatischen und nicht nach parteitaktischen Erwägungen aushandelt, was ein Muss ist und was nice to have. Und dann sortiert sich doch einiges recht schnell. Dass der Kampf gegen Kinderarmut ein Muss ist, darüber sind sich alle einig, auch die FDP. Auch Klimaschutz ist kein nettes Beiwerk, sondern überlebensnotwendig für die Menschheit.
Bis 2045 will Deutschland von 760 Millionen Tonnen CO2 auf null Emissionen kommen. Ein Wahnsinnsumbruch ins postfossile Zeitalter, der alles, von der Industrie bis zum eigenen Lebensstil, umkrempeln wird. Die Kosten belaufen sich der staatlichen Förderbank KfW zufolge auf etwa fünf Billionen Euro. Der Großteil werden private Investitionen sein, doch auch der Staat muss mehr in den Klimaschutz investieren, so die KfW.
Damit die Bürger:innen mitziehen, gilt es vor allem jene noch stärker zu unterstützen, die finanziell überfordert sind. Nicht jeder kann es sich zum Beispiel leisten, die kaputte Gasheizung durch eine 25.000 Euro teure Erdwärmeheizung zu ersetzen oder die höhere Miete zu zahlen.
Schlupflöcher schließen, Subventionen abschaffen
Investitionen werden in der Regel über Kredite finanziert. Die Ampel sollte also auch pragmatisch darüber nachdenken, ob die Einhaltung der Schuldenbremse um jeden Preis sinnvoll ist. Gleichzeitig müssen aber auch die Steuereinnahmen steigen. Das geht sogar, ohne Steuern für Reiche zu erhöhen. Den Liberalen ist das zu hart, na gut. Aber man kann ja Schlupflöcher schließen und Subventionen abbauen. Nach Angaben des Umweltbundesamtes entgehen dem Staat jährlich 65 Milliarden Euro, weil er umweltschädliche Dinge rabattiert. So kostet die pauschale Besteuerung privat genutzter Dienstwagen jährlich mindestens 3 Milliarden Euro. Über 8 Milliarden Euro lässt sich der Staat entgehen, weil er Dieselkraftstoff ermäßigt besteuert.
Riesige Löcher weist auch das Erbschaftsteuerrecht auf. 400 Milliarden Euro werden pro Jahr vererbt oder verschenkt – fast so viel wie der Staatshaushalt, mit dem Lindner im nächsten Jahr plant. Großzügige Ausnahmen führen dazu, dass über 80 Prozent der Firmenerben keine Erbschaftsteuer zahlen und so rund 5 Milliarden Euro jährlich am Fiskus vorbei transferieren.
Über den Haushalt wird die Ampel auch im schönen Meseberg sprechen. Vielleicht besinnt sie sich dann wieder darauf, was sie eigentlich sein wollte: Eine Fortschrittskoalition, keine Frusttruppe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos