Zuspitzung in der Ost-Ukraine: In Slawjansk weht Russlands Fahne
Die Nato erhöht die Militärpräsenz in Osteuropa, Panzer der pro-russischen Kräfte sind in Slawjansk eingerollt, und in Donezk haben Bewaffnete das Rathaus gestürmt.
BRÜSSEL/SLAWJANSK/KRAMATORSK dpa/rtr | Angesichts der Ukraine-Krise will die Nato ihre Militärpräsenz an ihren östlichen Grenzen verstärken. Das teilte das Verteidigungsbündnis am Mittwoch mit. Nato-Chef Anders Fogh Rasmussen sagte, die Nato werde angesichts der russischen Aggression unverzüglich Streitkräfte in die Region entsenden. „Mehr Flugzeuge, Schiffe, mehr Bereitschaft an Land“ kündigte er an.
Rasmussen hatte bereits am Dienstag die Entschlossenheit der Nato bekräftigt, eine effektive Verteidigung seiner Mitgliedstaaten sicherzustellen. Er kündigte verbesserte Verteidigungspläne, erweiterte Übungen und eine angemessene Mobilisierung an, um jene Mitgliedstaaten zu schützen, die in der Nähe von Russland lägen. Angesichts der Unsicherheit über Russlands Verhalten hatte er zudem eine engere Zusammenarbeit zwischen der Allianz und der Europäischen Union gefordert.
In der Ostukraine sind am Mittwoch unterdessen sechs Radpanzer mit einer russischen Flagge in die Stadt Slawjansk eingefahren. Auf den Fahrzeugen saßen schwer bewaffnete Männer in Uniformen mit unterschiedlichen Tarnmustern. Es handelte sich offenbar um pro-russische Kräfte.
Die Panzer, die auch die Separatisten-Flagge trugen, machten halt vor dem Rathaus der Stadt, das vor einigen Tagen von den Separatisten eingenommen worden war. Ukrainische Soldaten waren in Slawjansk, wo mehrere öffentliche Gebäude in der Kontrolle der pro-russischen Kräfte sind, zunächst nicht zu sehen.
Auch in Donezk besetzten offiziellen Angaben zufolge pro-russische Kräfte das Rathaus. In zahlreichen ostukrainischen Städten haben pro-russische Separatisten Verwaltungsgebäude unter ihre Kontrolle gebracht.
Medien zufolge sind im Krisengebiet ukrainische Regierungseinheiten mit mindestens zehn gepanzerten Fahrzeugen zu den pro-russischen Separatisten übergelaufen. Ein Video des Portals espreso.tv zeigte am Mittwoch, wie die Truppen mit russischen Flaggen durch die Großstadt Kramatorsk rund 80 Kilometer nördlich von Donezk fuhren. Das russische Staatsfernsehen berichtete von ähnlichen Szenen im nahen Slawjansk.
Sturmhauben und Granatwerfer
Die Männer auf den Radpanzern in Slawjansk trugen zum Teil Sturmhauben und waren mit Kalaschnikow-Gewehren, Granatwerfern, Messern und Pistolen bewaffnet. Eines der Fahrzeuge trug das Emblem der von den Separatisten ausgerufenen Volksrepublik Donezk. Einige Bewohner der Stadt winkten den Männern zu und riefen: „Russland, Russland“ oder „Gut gemacht, Jungs!“.
Der Konvoi kam aus Richtung der 15 Kilometer entfernt gelegenen Stadt Kramatorsk, die am Vortag Schauplatz eines „Anti-Terror-Einsatzes“ ukrainischer Spezialeinheiten war. Soldaten hatten dort nach eigenen Angaben einen Flugplatz von den Separatisten zurückerobert. Die ukrainische Führung hatte angekündigt, ihre Offensive in Slawjansk fortzusetzten.
In Kramatorsk gab es am Mittwoch zunächst keine Anzeichen von Gefechten. Dort fuhren sieben Radpanzer mit der ukrainischen Flagge durch die Straßen – offenbar um zu demonstrieren, dass die Führung in Kiew die Kontrolle über den Ort zurückgewonnen hat. Rund 30 Bewohner der russisch geprägten Stadt stellten sich den gepanzerten Fahrzeugen kurz in den Weg. Soldaten stiegen aus und drängten die Menschen weg. Ein Schuss wurde in die Luft abgefeuert, bevor der Fahrzeugkonvoi weiterfuhr.
Angesichts des Vorgehens pro-russischer Separatisten in der Ostukraine hat die Regierung in Kiew Russland die Verbreitung von Terrorismus vorgeworfen. „Außer Öl und Gas exportiert Russland auch Terror in die Ukraine“, sagte Regierungschef Arseni Jazenjuk am Mittwoch.
Er forderte die Führung in Moskau auf, das Vorgehen der Aktivisten in der Ostukraine als „Terrorakte" anzuerkennen. Bei den für diesen Donnerstag geplanten Ukraine-Verhandlungen in Genf müsse Russland dies öffentlich einräumen und dann seine „Spionage- und Sabotagegruppen“ zurückziehen. Moskau bestreitet jede Einmischung in die Unruhen im Nachbarland.
Die Bundesregierung lobt das ukrainische Vorgehen
Bundeskanzlerin Angela Merkel hofft durch den Ukraine-Vierergipfel an diesem Donnerstag in Genf auf Impulse für eine Lösung am Verhandlungstisch. Das Gespräch könne ein „erster Schritt dazu (sein), wieder eine geordnete Situation in der Ukraine herzustellen“, sagte Vize-Regierungssprecher Georg Streiter am Mittwoch in Berlin. „Wir hoffen, dass es stattfindet, dass es eine Grundlage ist, dass es möglichst weitere Treffen gibt.“ An dem Treffen nehmen die Außenminister aus Russland, der Ukraine und den USA sowie die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton teil.
Nach einem Telefonat Merkels mit Russlands Präsident Wladimir Putin lobte die Bundesregierung ausdrücklich das Vorgehen der ukrainischen Führung gegen pro-russische Kräfte im Osten des Landes. „Aus unserer Sicht hat sich die ukrainische Regierung in dieser Krise bisher sehr besonnen und zurückhaltend verhalten“, sagte Streiter. „Klar ist, dass die ukrainische Führung natürlich die gewaltsame Übernahme von Polizeistationen oder andere Infrastruktur durch Gewalttäter nicht hinnehmen kann.“
Merkel hatte am Dienstag aus ihrem Urlaub in Italien mit Putin telefoniert. Auf die Frage, ob Merkel ebenfalls einen Bürgerkrieg fürchte, sagte der Vize-Regierungssprecher: „Die Bundeskanzlerin hat kein Interesse an eskalierender Wortwahl. Jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit.“ Ihr Ziel sei, „dass es auf politischem Weg gelingt, die Lage in der Ukraine zu stabilisieren“.
Dieser Artikel wurde aktualisiert um 13.42 Uhr.
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