Zurückweisungen an deutschen Grenzen: Faeser setzt auf Schnellverfahren
Die Innenministerin will „massive“ Zurückweisungen an den Grenzen – und setzt auf Schnellverfahren an der Grenze. Doch der Union reicht das nicht.
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Faesers Plan war bereits während der Gespräche mit der Union nach außen gedrungen. Er lautet: Äußern Geflüchtete künftig an der deutschen Grenze ein Asylgesuch, soll die Bundespolizei nun im Schnellverfahren prüfen, ob die Personen bereits in einen anderen EU-Staat einreiste, der laut Dublin-Verfahren für das Asylverfahren zuständig wäre. Solange die Prüfung andauert, sollen die Geflüchteten in Grenznähe in Haft genommen werden. Zuständige Gerichte sollen die Haft mit Verweis auf eine Fluchtgefahr und Sicherstellung des Verfahrens verhängen. Alternativ soll eine feste Zuweisung und Wohnsitzauflage für die Geflüchteten verhängt werden.
Die Dublin-Asylverfahren sollen dann künftig „beschleunigt“ erfolgen, mit Befragungen schon durch die Bundespolizei, deren Ergebnisse an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge übermittelt werden sollen. Zugleich soll bei den zuständigen EU-Ländern eine schnelle Zustimmung zur Überstellung der Person erwirkt werden. Gibt es Klagen der Betroffenen dagegen, sollen diese „zügig“ von den Verwaltungsgerichten entschieden werden. Parallel soll die Bundespolizei den Zurückweisungstermin planen und diesen schnellstmöglich umsetzen.
Asylsuchende sollen inhaftiert werden
Wie schnell die Verfahren dann am Ende tatsächlich werden, und damit auch wie wie lang die Haft oder Wohnsitzauflage der Asylsuchenden, bliebe damit offen – denn es sind viele Variablen im Spiel. Faeser erklärte nach dem Gespräch mit der Union, idealerweise schaffe man die Verfahren in fünf Wochen. Für die Haftplätze für die Geflüchteten werde man mit den Ländern ins Gespräch gehen. Möglich seien auch getrennte Bereiche in Erstaufnahmeeinrichtungen, so Faeser. Und sie beteuerte, dass dieses Modell effektiv und konform mit deutschem und europäischem Recht sei und auch „keine nationalen Alleingänge“ bedeute. Zugleich wolle man darauf drängen, dass die zuletzt beschlossene EU-Asylreform GEAS schnellstmöglich in Deutschland umgesetzt wird.
Die Union aber verließ am frühen Dienstagabend die Gespräche mit der Ampel und erklärte diese für beendet. „Wir sind zu keinem gemeinsamen Ergebnis gekommen“, sagte Unions-Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei. Die Vorschläge der Ampel würden nicht zu tatsächlichen Zurückweisungen führen, sondern die Einreisenden weiter erstmal ins Land lassen. „Das wird den Herausforderungen nicht gerecht“, so Frei. Weitere Gespräche in diesem Format machten daher keinen Sinn.
Auch Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) erklärte, eine „wirkliche Trendwende“ in der Migrationspolitik sei so nicht möglich, die Gespräche seien damit nicht weiter zielführend. Man müsse bereits die Einreise der Asylsuchenden verhindern und nicht neue Bürokratie schaffen, so Poseck.
Faeser sowie Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bedauerten am Abend den Abbruch der Gespräche. Das Trio verteidigte den Plan der Schnellverfahren an der Grenze: Nur dieser sei rechtssicher. Faeser verwies darauf, dass etwa Österreich bereits angekündigt, Zurückgewiesene an der Grenze nicht aufzunehmen. Man brauche daher ein einvernehmliches, europäisches Modell. Faeser sagte, mit dem Plan werde man international eine „immense Außenwirkung“ erzielen.
Ordnung für Humanität?
Und alle Drei betonten, der Status Quo könne „so nicht bleiben“: Die Kommunen seien von den Asylsuchenden überfordert. Geltendes Recht werde heute „in zehntausenden Fällen“ gebrochen, wenn Dublin-Fälle nicht umgesetzt würden, sagte Buschmann. Auch Baerbock betonte, ohne Ordnung in der Migrationspolitik gebe es keine Humanität. Man müsse zusammenstehen, wenn die Demokratie „von außen wie innen bedroht ist“.
In den Ampel-Fraktionen zeigte man sich über die Union entrüstet. SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese erklärte, er habe den Eindruck, die Union habe die Gespräche „von Anfang an Scheitern lassen wollen“, auch mit Blick auf die Brandenburger Landtagswahl. Dies sei „sehr bedauerlich“. Man werde aber als Ampel weiter schauen, welche Maßnahmen man auch so umsetzen könne.
Auch Grünen-Parlamentsgeschäftsführerin Irene Mihalic warf der Union „eine Politik der Show-Effekte ohne Substanz“ vor. Diese habe keinerlei rechtskonforme Vorschläge gemacht und zeige „demonstrativ ihr Desinteresse an tragfähigen Lösungen für unsere Land“.
Zuvor war auch in Faesers Ministerium vor rechtlichen Hürden gewarnt worden, wenn man die Unions-Forderung aufgreifen und die Zurückweisungen über einen nationalen Notstand begründen würde. Hierfür müsste sich Deutschland auf den Artikel 72 des EU-Arbeitsvertrags berufen. Dieser gesteht den EU-Staaten eigenständiges Handeln zu, wenn es um die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit geht. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) legt das eng aus: EU-Staaten können nur im Ausnahmefall vom EU-Recht abweichen, wenn es sonst keine rechtskonformen Möglichkeiten gibt, die eigene Sicherheit aufrechtzuerhalten.
Nach taz-Informationen warnten Fachexpert*innen im Innenministerium, dass noch kein EU-Mitgliedstaat sich bisher erfolgreich vor dem EuGH auf den Artikel 72 berufen konnte. Wolle Deutschland nun pauschal Geflüchtete ohne Prüfverfahren an der Grenze zurückweisen und sich auf den Artikel berufen, müsse man konkret nachweisen, dass eine tatsächliche, schwere Gefährdung der Inneren Sicherheit vorliege, und damit eine Ausnahmesituation, heißt es intern. Hier reichten keine allgemeinen Behauptungen.
Auch müsste dargelegt werden, welche nationalen, milderen Maßnahmen bisher schon ergriffen wurden, um die Sicherheit zu gewährleisten. Und um welchen konkreten Personenkreis es bei den Zurückweisungen gehen soll, und genauso, wie lange die Ausnahme gelten soll, bis der Verstoß gegen das EU-Recht wieder beendet wird.
Ministerium fürchtet Einschreiten des EuGH
Zudem wurde intern im Ministerium gewarnt, dass die Maßnahme von kurzer Dauer sein könnte: Denn der EuGH könnte auch im Eilrechtsschutz eine einstweilige Anordnung treffen, die Maßnahmen wieder zu beenden. Möglich sei auch ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland oder der Antrag eines deutschen Gerichts auf eine Vorabentscheidung zu dem Verstoß gegen das EU-Recht.
Tatsächlich wäre die Begründung einer Ausnahmesituation für die Bundesregierung schwierig geworden: Die Zahl der Asylanträge ging zuletzt deutlich zurück. Auch die islamistischen Anschläge von Solingen und München erschütterten die deutsche Sicherheitsarchitektur nicht in ihren Grundfesten.
Die Union hatte nach Solingen aber gefordert, eben genau diesen „Ausnahmezustand“ zu erklären, um pauschale Zurückweisungen von Geflüchteten an der Grenze zu ermöglichen. Bisher gibt es diese Zurückweisungen nur, wenn Geflüchtete bei der Einreise keinen Asylantrag stellen wollen oder offensichtlich ungültige Papiere besitzen.
Auch Grüne und Teile der SPD mit Bauchschmerzen
Vor allem bei den Grünen, aber auch bei Teilen der SPD, gibt es Bedenken gegen die Zurückweisungspläne. Grünen-Chefin Ricarda Lang erklärte am Dienstag, „Zurückweisungen durch eine Notlage würde Europa zerstören“. Nationale Alleingänge sorgten hier „für Chaos und Spaltung in Europa“. Der SPD-Politiker Michael Roth nannte die „faktische Aufkündigung von Schengen bitter, sehr bitter“.
Am Dienstagnachmittag wollte sich die Ampel-Regierung zum zweiten Mal mit der Union treffen, um über weitere Verschärfungen der Migrations- und Sicherheitspolitik zu sprechen. Die Union hatte eine Teilnahme lange hinausgezögert und hierfür zur Bedingung gemacht, dass die Ampel bundesweite Grenzkontrollen und Zurückweisungen durchsetzt. Beides hatte Faeser am Montag angekündigt. Zudem wollen die Ampel-Fraktionen am Donnerstag im Bundestag in erster Lesung weitere Verschärfungen einbringen.
Auch der Rat für Migration, ein Gremium von Migrationsforscher*innen, nannte die Zurückweisungen am Dienstag eine „brandgefährliche Strategie“. Zurückweisungen von Schutzsuchenden an der Grenze seien „unzweifelhaft rechtswidrig“. Dies verstoße gegen die EU-Asylverfahrensrichtlinie, die Dublin-III-Verordnung sowie die EU-Rückführungsrichtlinie. Weder bilde ein Notstand die aktuelle Situation in Deutschland ab, noch sei der Bestand des deutschen Staats aktuell gefährdet. „Wer den Vorrang von EU-Recht derart in Frage stellt, gefährdet den europäischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und rüttelt am Fundament der europäischen Rechtsordnung“, warnen die Forscher*innen.
Auch mehrere Verbände wie Pro Asyl, Amnesty International, der Paritätische oder die AWO protestierten gegen die geplanten Zurückweisungen. „Anstatt sich zu stets neuen Verschärfungen treiben zu lassen, muss die Bundesregierung für ein Europa der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte einstehen“, forderten sie am Dienstag in einer gemeinsamen Stellungnahme.
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