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Zur UN-MegastadtkonferenzDer Markt der Vertriebenen

Das Leben um den Markt San Roque ist hart, doch ohne ihn wäre es noch schlimmer. Deshalb kämpfen viele dafür, dass er im Herzen Quitos bleibt.

Alles im Blick? Quitos Innenstadt ist Weltkulturerbe, aber es gibt auch weniger angenehme Ecken Foto: imago/OceanPhoto

QUITO taz | Es war kein guter Tag für Humberto S. Er ist Mitte zwanzig, kräftig und hat in seiner geöffneten Hand vier Dollar. Den Lohn für sechs Stunden. „Sonst läuft es besser“, sagt er. Ein Seil hängt über seinen Schultern, das Einzige, was er braucht als cargador. An besseren Tagen bekommt er für zehn Stunden Schleppen auch mal 20 Dollar von den Händlern. Die Säcke mit Tomaten, Kartoffeln oder Mote, die in die Hallen getragen werden, wiegen gut 40 Kilo.

Humberto arbeitet jeden Tag auf dem Markt von San Roque in Quito, auch am Wochenende. Jeden morgen ab vier Uhr. Die Träger sind in der Rangordnung des Markts ganz unten. Morgens um halb neun in San Roque drängeln sich Lastwagen und Pick-ups auf dem Vorplatz. Dieselgestank hängt in der Luft, vermischt mit dem Geruch frittierter Schweinsköpfe, die für 12 Dollar angeboten werden. Gebückte Träger, durchweg Indigene, schleppen in Trippelschritten ihre Last in die Hallen.

Drinnen gibt es so ziemlich alles. Man kann Meerschweinchen kaufen, lebendig oder gebraten als cuy. Es gibt schier endlose labyrinthische Hallen mit billigen Möbeln, Schuhen und Körben, Seife und Handyhüllen. In der Haupthalle finden sich Dutzende von Ständen mit Hühnern und Fischen, neben Pyramiden von Kartoffeln, Zwiebeln, Maniok. Draußen in den Straßen rund um den Marktkomplex ist das Gedrängel noch heftiger. Hunderte Händler preisen mit durchdringenden Stimmen ihre Waren an. Menschenmassen schieben sich durch die Gasse mit den Ständen. Es ist eng, es brodelt, es riecht. Bei der weißen oberen Mittelklasse hat San Roque einen zweifelhaften Ruf: dreckig, kriminell, gefährlich. Man kauft lieber im teuren Supermarkt.

Humberto S. kommt aus einem indigenen Dorf in der Provinz. Dort gibt es keine Arbeit, kein Geld. Jetzt wohnt er in Quito. In einem Zimmer, mit anderen zusammen, 70 Dollar im Monat für jeden. In San Roque nervt ihn der Schlamm in den Straßen rund um den Markt, wenn es mal wieder aus Kübeln regnet. Es ist eine harte Arbeit, sagt er. Mit viel Konkurrenz unter den Trägern, denn es sind oft zu viele. Täglich kommen Dutzende Indigene für ein, zwei Tage aus den Provinzen. Die Frauen verkaufen Gemüse, die Männer verdingen sich als Träger. „Wir regeln Streit unter uns“, sagt Humberto S. Alles läuft hier, in den Gassen rund um den Markt, informell, ohne Polizei, Justiz, Arbeitsverträge, Behördenstempel. Das ist die bittere Freiheit des Marktes. Keiner der Träger will in einem Jahr noch in San Roque sein, keiner in diesem Job alt werden.

„Warum bauen sie dort kein Krankenhaus?“

Galo Guachamín wirft einen Krebs in die Fritteuse. Er betreibt einen Essenstand auf dem Markt, seit 27 Jahren. Früher mit Hühnern, jetzt mit Meeresfrüchten. „Sie versuchen schon lange, uns zu vertreiben, schon seit 34 Jahren, als dieser Markt gebaut wurde“, sagt er. „Aber das schaffen sie nicht.“ Sie, das sind Stadtverwaltung und Regierung. Guachamín ist Vorsitzender des Komitees zur Verteidigung und Modernisierung des Marktes von San Roque, in dem die meisten der rund 2.000 Händler organisiert sind. Zuletzt wollte die Stadtverwaltung den Markt 2013 umsiedeln, in den Norden, weit weg vom Zentrum.

Habitat III

Die Konferenz: Vom 17. bis zum 20. Oktober wird in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito die UN-Konferenz zu Wohnungsbau und nachhaltiger Stadtentwicklung durchgeführt. Hauptthema werden die Herausforderungen der immer größer werdenden Riesenstädte, der Megacitys, sein.

Die Vorgänger: 1976 fand in Vancouver die erste Habitat-Konferenz statt. Es ging um Wohnungsversorgung und Wohnungsnot. 1996 wurden auf der Habitat-II-Konferenz in Istanbul Ziele für einen nachhaltigen Siedlungsbau formuliert.

Damals wurde ein Gefängnis in der Nähe geschlossen, an dessen Stelle ein Fünfsternehotel entstehen sollte, mit Blick auf die Stadt. Investoren aus Katar wollten mehr als 60 Millionen Dollar in das Edelhotel und die Umgebung stecken. Doch es kam anders. Die Geschäftsleute aus Katar zogen sich zurück, vielleicht auch weil die Händler von San Roque Widerstand leisteten.Und die Regierung, die für Habitat III eigentlich den Neubau von vier großen Hotels in Quito anvisiert hatte, hat kein Geld mehr, seit der Ölpreis gefallen ist. „Wenn das Hotel doch irgendwann kommt, werden sie wieder versuchen, uns zu vertreiben“ sagt Guachamín. Und: „Warum bauen sie dort kein Krankenhaus? Warum nichts, was uns, den Bürgern, nutzt?“ Er wünscht, dass sich ein paar der 30.000 Habitat-Besucher in den Mercado Municipal San Roque verlaufen, den Ort, um den Touristen, Fremde, Ausländer sonst einen Bogen machen. Hier, sagt Guachmin, „können sie sehen, wie wir leben“.

Auch Humberto S. will, dass der Markt bleibt. Lieber keine Umsiedlung, selbst wenn es dort weniger schlammig wäre. „Wäre schwierig, dorthin zu kommen, morgens um vier“ sagt er. Und vielleicht gäbe es dort auch keinen Platz mehr für cargadores wie ihn, ohne Papiere und Arbeitsvertrag.

Manuel Illicachi sitzt am Schreibtisch in dem ziemlich abgeschabten Direktorenzimmer des Colegio Intercultural Bilingüe, das einen Steinwurf entfernt vom Markt in San Roque liegt. Ein paar Ordner im Regal, ein alter Computer. „Wir sind schlechter ausgestattet als die anderen Schulen. Wir haben für Englisch, Musik und Kunst keine ausgebildeten Lehrer. Deshalb müssen wir alle Fächer unterrichten.“ Illicachi wirkt bullig, er trägt eine schwarze Lederjacke und gegeltes Haar. Der Lehrer hat die Schule vor 25 Jahren mitbegründet. Es war die erste in Quito, die auch in Quichua, der Sprache der Indigenen, unterrichtet. Das Gebäude stand leer, die indigenen Aktivisten besetzen es. Knapp die Hälfte der Eltern der 250 Schüler des Colegio arbeiten auf dem Markt San Roque, als Verkäufer, Träger, Händlerinnen. Viele kommen aus armen Provinzen.

In Kreuzberg oder Paris wäre das hipper Industrial Style

Vor Kurzem setzte das Ministerium eine neue Rektorin ein, die nur spanisch spricht. Ein Affront. Manche Eltern können kein Spanisch, nur Quichua. Eltern und Lehrer rebellierten gegen die Rektorin, erfolgreich. Wie es jetzt weitergeht, ist offen. Schulen, die die indigene Kultur pflegen, werden eher geduldet als gefördert. Umso wichtiger sind sie für die indigene Gemeinschaft. „Brauchbare Sanitäranlagen und trinkbares Wasser für die Schüler zu haben“, sagt Illicachi, „das wäre gut.“

Die Markthallen von San Roque sind kalte Funktionsbauten. Die Wände sind nüchtern, der Betonfußboden schimmert rötlich, das Dach aus Eternit wird von Betonstreben gestützt. Mag sein, dass so ein Bau in Kreuzberg oder Paris als Industrial Style hip wäre – hier fügt er sich in jenen „Stil der Stillosigkeit“, den Mario Vargas Llosa für typisch für viele lateinamerikanische Städte hält. Das einzige Zugeständnis an Ästhetik ist die Glasfront, durch die der Blick auf die Altstadt fällt: das behutsam restaurierte Barockensemble aus dem 17. Jahrhundert.

Der erste Eindruck, den man in San Roque hat, ist: Chaos. Aber das täuscht. Der Markt ist informell hoch organisiert

Der koloniale Kern von Quito wurde 1978 von der Unesco zum Weltkulturerbe ernannt – als erste Stadt überhaupt. Die vor Gold strotzenden Kirche Compañia de Jesús, die weißen Klöster mit ihren berückenden Innenhöfen, die gepflegten Museen, der Palast des Präsidenten – all das liegt nur einen Kilometer entfernt. Architektonisch liegen zwischen der eintönigen Zweckrationalität des Marktes und der verspielten Baukunst des Zentrums Welten. Die fliegenden Händler und die Prostituierten sind vor Jahren aus der Altstadt vertrieben worden – nach San Roque.

Luis Herrera ist Fotograf und betreibt ein Restaurant im Szeneviertel La Floresta. Er engagiert sich schon seit Langem für den Markt in San Roque. Der, sagt er, liegt genau „auf dem Streifen, der die Stadt teilt – in den schönen und den hässlichen Teil, in die Altstadt, in der alles unter Kontrolle ist, und den anderen, den unkontrollierten“. San Roque ist, so Herrera, ein Ort für die Vertriebenen, die indigene Alltagskultur, die Arbeitsmigranten, die Kleinhändler. Der Kampf um den Markt ist in dieser Lesart einer zwischen dem offiziellen Quito und, so Herrera, „all jenen, die hier historisch nicht anerkannt sind“. Wie die meisten Intellektuellen in Quito winkt er ab, wenn er nach Habitat III gefragt wird: „Wir knüpfen keine Hoffnung daran“, sagt Herrera.

„Kriminelle gibt's überall“

Patric Hollenstein lehrt an der Universidad Central in Quito „Solidarische Ökonomie“ und hat die Organisation von Märkten wie San Roque erforscht. Und beobachtet, dass Supermarktketten gezielt neue Filialen neben solchen Märkten platzieren. Und, so Hollenstein: „Der erste Eindruck, den man in San Roque hat, ist: Chaos. Aber das täuscht. Der Markt ist informell hoch organisiert.“ Das Innenleben regelt ein gutes Dutzend asociaciones, Vereine, die so ähnlich wie Zünfte funktionieren. „Die verhindern, dass größere Händler einfach mal zehn Lastwagen Kartoffeln anliefern und so die kleineren ruinieren“, so Hollenstein.

Die Tische vor dem Imbiss Don Galo’s Corvinas y Mariscos“ sind auch um neun Uhr morgens besetzt. Man isst in Quito gern zu Mittag, auch früh. „Zu diesem Markt kommen alle, Weiße, Mestizen, Indigene. Wir kommen gut miteinander aus“ sagt Guachamín. Und was ist mit der Prostitution und der Kriminalität in der Nähe des Marktes? Er zuckt die Achseln. „Krimininelle gibt’s überall. Darum muss sich die Polizei kümmern.“

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1 Kommentar

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  • Der "koloniale Kern von Quito", die "vor Gold strotzenden Kirche Compañia de Jesús, die weißen Klöster mit ihren berückenden Innenhöfen, die gepflegten Museen, der Palast des Präsidenten" all das ist seit 1978 Weltkulturerbe. Der Markt San Roque, scheint mir, ist auch ein Erbe der Kulturen dieser Welt. Bloß eben keins, für den die feinen Herrschaften von der Unesco sich sonderlich interessieren oder gar engagieren.

     

    Was hässlich ist, laut und zudem noch "riecht", was nicht so richtig kontrollierbar ist, fällt für die Herrschenden einfach nicht unter Kultur. Auch dann nicht, wenn es von Menschen gemacht ist, uralt und zudem für ziemlich viele Menschen die einzige Möglichkeit, dem Leben einige Struktur und etwas Sicherheit zu geben, die man ihnen lässt ( bzw. lassen muss). Vor allem dann nicht, schätze ich, wenn es sich solidarisch (selbst-)organisiert - und also zeigt, dass es auch ohne Herrschaft gehen kann.

     

    Verständlich, irgendwie. Wer brüstet sich schon gern mit einem Erbe, das doch eher eine Schande ist für ihn und seine Vorfahren? Die Kehrseite der eigenen, auf Hochglanz polierten Medaille ist nichts, was gerne präsentiert wird von den Privilegierten dieser Welt. Wer eine Macht hat, Spots zu setzten, der tut das eben ganz gezielt. Insofern sei der taz mal wieder ganz herzlich gedankt.