Zum Tod von Gudrun Pausewang: Sie machte den Kindern nichts vor
Wer Haltung zeigt, packt nichts in Watte. Die Autorin Gudrun Pausewang ist gestorben. Berühmt wurde sie mit dem Jugendbuch „Die Wolke“.
Gudrun Pausewang, diese unermüdlich schreibende Mahnerin, ist verstorben. Literatur mit Haltung hat sie verfasst, dafür wurde sie gefeiert, mitunter auch kritisiert. Denn wer Haltung zeigt, packt nichts in Watte, schreibt nicht, um andere beim Lesen in eine heile Welt zu entführen. Und da sie warnen wollte, wohl aber wusste, dass Warnungen bei Erwachsenen weniger wirkungsvoll sind als bei Kindern, schrieb sie für diese über eine Welt, die Risse hat, mitunter gefährliche.
Ungefähr hundert Bücher hat Pausewang, die am 3. März 1928 in Böhmen geboren wurde und am Donnerstagabend im Alter von 91 Jahren in der Nähe von Bamberg verstarb, geschrieben. Daneben arbeitete sie lange als Lehrerin – auch in Lateinamerika. Die Welt der Kinder hat sie beflügelt.
Denn wo Kinder sind, ist Fantasie. Und da Pausewang meinte, dass sie im Schreiben ihre überbordende Fantasie bändigen konnte, dass Schreiben ein Ventil gewesen sei, aber auch eine Plattform, von der aus sie warnen könne, gegen alles, was Unheil und Unfreiheit über die Menschen bringe, ist es nur richtig, dass sie versuchte, Kinder stark zu machen, indem sie ihnen nichts vormachte.
In einigen ihrer Bücher klärte sie über die Nazizeit auf. Sie hatte sie erlebt. Sie schrieb auch über die Flucht aus dem Osten. Während des Krieges war sie Teenager, ein Lebensabschnitt, in dem Gefühle selten verpanzert sind. Wenn Pausewang in ihren Romanen beschreibt, was es mit den Menschen macht, in so einer Diktatur zu leben, dann darf es nicht verwundern, dass Verdrängen nicht als Lösung daherkommt.
Ihr berühmtestes Buch jedoch ist „Die Wolke“, geschrieben nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl. In dem Roman, der auch verfilmt wurde, zeigt sie, dass der Verlust an Mitmenschlichkeit und die menschlichen Verwerfungen, die eine Havarie in einem Atomkraftwerk im dicht besiedelten Deutschland mit sich brächten, unerträglich wären.
Die Warnerin
Pausewang drückt das aus, was uns jetzt in Zeiten des bedrohlichen Klimawandels gut zu Gesicht stünde: Sie wollte, wenn sie von ihren Enkeln oder Urenkeln gefragt werde: Was hast du gegen dieses oder jenes Unheil getan?, nicht sagen müssen: Ich habe nichts getan.
Gudrun Pausewang hat schreibend aufgeklärt. Dass sie für ihre moralische Aufrichtigkeit kritisiert wird, dass gesagt wurde und wird, sie schüre Angst, fahre auf dem Ticket der Schuld, traumatisiere Kinder, ist jedoch absurd. Vor allem Letzteres ist Quatsch. Die Wirklichkeit traumatisiert die Kinder und nicht die Literatur. Es ist kein Fehler, wenn Kinder wissen, in welcher Welt sie glücklicherweise gerade nicht leben, und dass es gut ist, sich dafür einzusetzen, dass das so bleibt.
Moralische Aufrichtigkeit muss nicht im Wohlfühlmodus daherkommen. Das wusste Pausewang und dafür kämpfte sie. Was sie nicht verhindern konnte, dass die Generation der in den 1980er Jahren Sozialisierten, der Zeit, in der ihre Bücher auf Lehrplänen standen, zu jener wurde, die später „Generation Golf“ oder „Generation Umhängetasche“ genannt wurde.
Und eine Wohlstandslangweilergeneration in der zu Ende gehenden Bundesrepublik war, die angeblich nicht erwachsen werden wollte. Die Welt ist schlecht, aber ich mache Party. Tanzend in den Abgrund, „Titanic“ und so.
Gudrun Pausewang hat unzählige Preise und Auszeichnungen für ihr literarisches Schaffen erhalten. Dass sie für ihre moralische Strenge oft kritisiert wurde, fällt am Ende auf ihre Kritiker*innen zurück. Die Schriftstellerin habe das Private politisch gefasst und das Politische literarisch, wurde in der Laudatio bei der Jugendliteraturpreisverleihung 2017 über sie gesagt.
Ja, genau so ist es.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland