Zum Tod von Angela Lansbury: Als „Schwulenikone“ wird sie fehlen
Angela Lansbury war das, was die Etepetetekulturwissenschaft eine Gay Icon nannte. Sie stand für das hartnäckige „I will survive“.
Angela Lansbury ist für sie ohnehin unsterblich. Allein deshalb konnte die Nachricht ihre Fans, jene, die sie lange kennen und verehren, nicht schockieren. 96 Jahre wurde die britische, seit Langem in den USA lebende Schauspielerin alt, am vergangenen Dienstag ist sie nun gestorben. Wer sie aus Fernsehen und Film kannte, erinnert sich an die Serie „Murder, She Wrote“, zu deutsch: „Mord ist ihr Hobby“. Die Rolle konnte sie als 59-Jährige nur ergattern, weil Hollywoodlegende Doris Day diese Figur, die im provinziellen Maine lebende Jessica Fletcher, die als Nichtkriminalerin Folge für Folge mit Grips und Pfiff teilweise übelste Tötungsdelikte aufzuklären wusste, zu minder war.
Lansbury war das, was in der Etepetetekulturwissenschaft eine „Schwulenikone“ genannt wurde – eine Frau, die zur Identifikation einlädt, eine Figur der Weiblichkeit, die ihre Beschädigungen trägt, und sei es ein höheres Alter, mit Würde und Stehvermögen, gewissermaßen unverwüstlich. Mit den hymnischen Worten einer anderen Gay Icon, die ohne ihre schwulen Fans, nur angewiesen auf heterosexuell orientierte Gewohnheitspopkonsumenten, spätestens als Twen hätte jobmäßig an die Supermarktkasse wechseln müssen, nämlich Gloria Gaynor, könnte man sagen: Lansbury stand für das hartnäckige „I Will Survive“.
Lansbury, eine überaus freundliche, nicht allzu kumpelige, aber nahbare Frau, hat sich ihren Ruhm hart erarbeiten müssen. Sie erhielt etliche Emmy-Auszeichnungen, einen Oscar für ihr Lebenswerk. Es gab auch Durststrecken in ihrer Karriere. So konnte die 1925 in London zur Welt gekommene Britin, Tochter eines früheren Labour-Vorsitzenden und einer Schauspielerin, zwar nach der Übersiedlung in die USA in Hollywood ein wenig Fuß fassen. Doch für das Fach der überstrahlenden Konfektionsschönheit sah sie, kaum Mitte zwanzig, allzu gewöhnlich aus. Sie beflügelte gewiss viele Fantasien, aber nicht das des Pin-ups. Ihre performative Magie entfaltete sich, umso glücklicher für sie und ihren Lebensbiss, erst auf den anderthalben Blick: Lansbury, die ernsthafte Frau, die allerdings mit gewissem Humor patent wirken konnte, also irgendwie antierotisch, andererseits aber auch Rollen wie die einer sexsüchtigen Schundromanautorin in der Agatha-Christie-Verfilmung „Tod auf dem Nil“ übernahm.
Das war und ist alles Stoff, den schwule Männer lieben, und zwar gusseisern empirisch belegbar, weltweit. Frauen, die eine gewisse Tragik verströmen und diese als echte Tragödie auch ge- oder gar erlebt haben, die männerfern und unerfüllt, doch sehnend und scheiternd, schwach und stark zugleich wirken. Ohne einen Hauch von echter Personality sind solche Gay Icons nicht erschaffbar oder werden als solche anerkannt: Ganz früher in Deutschland waren dies Marlene Dietrich und ihre Antipodin, die Schwedin Zarah Leander; die eine die Antifa schlechthin, ewige „Zeugin der Anklage“ wider alles Nazitum, die andere als Nazi-Amsel mit dem Lied „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh’n“ – beide teilten sich das schwule Wahrnehmungsfeld der fünfziger bis siebziger Jahre auf.
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Ob das Modell der schwulen Anbetungskraft heutzutage noch funktionieren kann, ist freilich offen. Das liegt nicht daran, dass inzwischen alles Sinnliche durch das Wort „queer“ steril gebügelt wurde. Aber die Gay Fascination, zentraler Teil schwuler Kultur im Underground, die stets unter dem Radar offizieller heterosexuell orientierter Kulturrezeption gelebt wurde – hat sie noch Zukunft? Ist denkbar, dass Hollywooddiven wie Bette Davis, Joanna Crawford, Marilyn Monroe oder Vivian Leigh weiterhin ausreichend Verehrerschaft wie eine Schleppe mit sich tragen? Wäre eine Barbra Streisand, allem stupenden Talent zum Trotz, ein solcher Superstar geworden – ein Silberblick, was eine Aura als Sex-Appeal-Königin strikt ausschloss, außerdem eine Neigung zur ironisch gebrochenen Albernheit (siehe: „Is’ was, Doc?“) – ohne ihre schwulen Fans? Oder Liza Minnelli, die trunksüchtige Kämpferin für schwule Männer gerade in Zeiten der Aidskrise, als in den USA vom Kulturestablishment fast niemand mit den Unberührbaren in Kontakt kommen wollte? Oder wiederum deren Mutter, Judy Garland mit ihrem „Somewhere Over The Rainbow“, der Hymne der Stonewall-Riots-Generation – wäre sie als pur heterosexuelle Künstlerin überlebensfähig gewesen? Eben nicht.
Eine Gay Icon kann nur werden, wer kämpferisch wider das konventionelle Drehbuch des Lebens alles tut, was nötig ist, um nicht zum grauen Küchenkittel zu werden.
Diese hier genannten Frauen – es ließen sich aus allen Ländern, in denen Homosexualität entweder strafbar war oder der Diskretion unterworfen, solche Figuren anführen, Della Reese oder Yma Zumac in Lateinamerika, Dalida in Frankreich etwa – eint, dass sie keinen puren Marketingweg gegangen sind. Sie haben sich ihre Fanschar in Millionenstärke erarbeitet, ohne dass Kampagnen wie „Achtung, jetzt Kult!“ gelauncht werden mussten. Sie haben sich ihre Marktlücken gegen alle Wahrscheinlichkeit erobert, und sie konnten dies, weil sie eben nicht makellos waren, und sei es, dass sie dem Makel des Altwerdens unterworfen waren, wie alle Menschen, besser: Frauen, nur eben in Grandezza, ohne Gejammer.
Harry Styles und der perfekte Porno
Männer, das nur nebenbei, eigneten sich für diese Aschenputtel, für diese Biografien mit der Megaüberschrift „Ewig auferstanden aus Ruinen“ niemals. Schwule Männer hielten es nur mit Frauen – die Genannten waren allesamt Imaginationen einer perfekten Mutter, einer liebst frivolen Tante, einer perfekten älteren Schwester als Beschützerinnen im Angesicht der eigenen Versehrtheit, eben schwul zu sein, dem heteronormativen Männlichkeitsideal zuwiderlebend.
Schwule liebten den Film „Harold und Maude“, sie liebten in Deutschland „Adelheid und ihre Mörder“, so wie sie auch die Agatha-Christie-Verfilmung der Miss Marple glühend verehrten, solche mit Margaret Rutherford in der Hauptrolle. Gay Icons, das waren Musicalheldinnen, Operettenstars in schrägster Gebrochenheit selbst, aber das enorm kraftvoll und souverän, Operndiven gelegentlich, etwa Maria Callas, die flamboyanter und interessanter zeitlebens als die Turbosängerin von Putins Gnaden, Anna Netrebko: die eine ein ewig strauchelndes Geheimnis, die andere solide verheiratet mit Allüren.
Bergab, aber mit Lebenslust
In allen schwulen Ikonen war auch immer der Überlebenswille der die Ikonen anbetenden gespiegelt, sie zeigten, so wie Shirley Bassey „I Am What I Am“ schmetterte, wie der Laden zu laufen hat: „Von nun an geht’s bergab“ (Hildegard Knef), aber das mit Lebenslust.
Heutzutage ist alles queer, selbst ein Harry Styles, das Darling aktuell schlechthin, ist skandalfrei, sauber und freundlich, „kwier“ zwar, ein wenig pinky, aber in seiner Androgynität auch als Popkonzept erkennbar – er ist ein Performer, der sich zu herzblutenden Gay-Icon-Performances verhält wie perfekter Porno zu naturgemäß störanfälligem Amateursex. Er ist ein „Mann“ ohne erarbeitetes, erlittenes Odeur. Das ist das Problem: Soll man jetzt leidende Zeiten zurücksehnen?
Angela Lansbury jedenfalls konnte am Ende ihrer Tage sagen: Sie haben mich geliebt! Sie ruhe in Frieden.
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