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Zulassung von GlyphosatForscher werfen EU Regelbrüche vor

Behörden hätten gegen Richtlinien verstoßen, um das Pestizid für unbedenklich zu erklären, heißt es in einer aktuellen Analyse.

Wurde von der EU angeblich auf fragwürdiger Grundlage zugelassen: Pflanzengift Roundup Foto: imago

EU-Behörden haben laut einer neuen Studie internationale Richtlinien zur Chemika­lienprüfung verletzt, als sie den Pestizidwirkstoff Glyphosat für nicht krebserregend erklärten. „Die Anwendung der geltenden Regeln und Richt­linien und eines transparenten Ansatzes der Gewichtung von Daten … würde seine Einstufung als wahrscheinlich krebserregend rechtfertigen“, schreiben die Autoren um den Toxikologen Peter Clausing in der Fachzeitschrift Journal of Epidemiology & Community Health.

Die Analyse, die am Mittwoch veröffentlicht wird, könnte auch im Sonderausschuss des EU-Parlaments eine Rolle spielen, der seit Montag die Zulassungsverfahren von Glyphosat und anderen Pestiziden überprüft.

Glyphosat ist der meistgebrauchte Pestizidwirkstoff weltweit. Die Bauern spritzen das Gift auf rund 37 Prozent der Äcker in Deutschland – vor allem, um Unkraut zu vernichten. Rückstände finden sich immer wieder in Lebensmitteln. Dabei stufte die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation im März 2015 Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ ein. Die Wissenschaftler beriefen sich insbesondere auf beunruhigende Ergebnisse von Tierversuchen. Doch weil sowohl die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit als auch die für Chemikalien widersprachen, ließ die Europäische Kommission den Stoff Ende 2017 für weitere fünf Jahre zu.

Die EU-Ämter stellten zwar laut der neuen Studie fest, dass bei Fütterungsversuchen mit Glyphosat in 11 Fällen statistisch bedeutend mehr Krebs aufgetreten sei. Doch die Behörden machten mutmaßliche Mängel geltend, sodass diese positiven Resultate geringer zu gewichten seien als negative.

Denn der Lebensmittelbehörde zufolge nahm Lymphdrüsenkrebs nur zu, wenn die Versuchstiere mehr Glyphosat als eine von der Industrieländerorganisation OECD für die Prüfung von Chemikalien vorgesehene „Limit-Dosis“ fraßen. Tatsächlich empfehle die OECD aber diese Obergrenze nur bei Studien zur chronischen Giftigkeit einer Substanz, nicht für Krebsstudien, schreibt Kritiker Clausing.

Er wirft den Behörden auch einen Verstoß gegen die Regeln der OECD für den Vergleich von Krebsraten mit „historischen Kontrolldaten“ vor. Damit sind die Krebsraten von nicht mit Glyphosat gefütterten Tieren aus ähnlichen Experimenten gemeint. Entgegen der Richtlinie seien die Kontrolldaten nicht aus demselben Labor gewesen, sondern aus sieben verschiedenen, so der Toxikologe. Demnach waren die Daten bis zu 17 Jahre älter als die aktuelle Vergleichsstudie, obwohl nur 5 Jahre dringend empfohlen werden. Teils hätten sich sogar die Mäuseunterstämme regelwidrig unterschieden.

Die EU-Lebensmittelbehörde teilte mit, sie habe die OECD-Richtlinien befolgt. Sie bestritt, dass sie das „Konzept der Limit-Dosis“ benutzt habe, obwohl es in ihrem Gutachten zu Glyphosat erwähnt ist. Historische Kontrolldaten, die nicht den OECD-Regeln entsprechen, habe sie nicht benutzt, um die verschiedenen Studienergebnisse zu bewerten. Eine Behauptung, die laut Clausing „durch nichts, aber auch gar nichts belegt ist“.

Wegen angeblicher Mängel wurden Glyphosat-kritische Studien geringer gewichtet

Clausing ist ehrenamtliches Vorstandsmitglied des Pestizid Aktions-Netzwerks. Seine Ko­autoren sind hauptamtliche Mitarbeiter von Umweltorganisationen: Claire Robinson bei der britischen GMWatch und Helmut Burtscher-Schaden bei der österreichischen Global 2000. Sie sind also weit davon entfernt, neutral zu sein. Allerdings gilt das auch für die Wissenschaftler, die im Auftrag der Chemieindustrie Glyphosat entlastende Studien angefertigt haben.

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7 Kommentare

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  • @thomas nattermann: ich gebe dir Recht, mensch kann sicher nicht davon ausgehen, dass ein PAN Mitglied mit einer Studie Monsanto nach dem Munde redet. Allerdings tun das auch nicht die Forscher, die Drittmittelforschung betreiben oder direkt bei Monsanto Unbedenklichkeitsforschung betreiben.

    Dazwischen sollte eigentlich eine starke staatliche Forschung stehen, die die Gesundheit seiner Bürger im Auge hat. Aber wo ist die? Das BfR ist der Kritik sie würden ja nur Ergebnisse aus den konzerneigenen Studien wiederkäuen damit begegnet, dass es sagte, es gar nicht beauftragt eigene Studien durchzuführen...

    Wenn wir heute zu einer bestimmten Jahreszeit die Luft einatmen, haben wir mit Sicherheit einige Pflanzenschutzmittel in der Lunge, die da nicht hingehören und dort mit den Feinstäuben kleine Feten feiern. Diese Pestizide gelangen nicht über Abdrifte dahin (nenne nur mal Pendimethalin) sondern durch Thermik.

    Eine Studie zu verfassen, die die ursächlicheWirkung eines solchen Mittels in der gegebenen Dosis auf die menschliche Gesundheit belegt ist so gut wie unmöglich. Und das wissen diese Firmen sehr gut. Und haben überdies genügend eigene Wissenschaftler und Rechtsanwälte, die eine solche Studie zerpflücken würden.

    Kurz ich mache mir um die Tendenz der Forschung aus dem PAN Netzwerk heraus nicht wirklich Sorgen. Aber über die Summe der nicht oder schwer abbaubaren Pflanzenschutzmittel und Medikamente etc., die sich in meinem Körper und vor allem in jungen Körpern tummeln und deren Giftigkeit durch Studien im einzelnen nicht mehr nachgewiesen werden kann. Hier leistet die Lobbyarbeit der Konzerne ganze Arbeit, denn es wird kaum mal ein Mittel vom Markt genommen aber es werden gelegentlich Grenzwerte heraufgesetzt....

  • 8G
    83421 (Profil gelöscht)

    Der Autor dieser Studie arbeitet fuer das Pestizid-Aktions-Netzwerk, das macht seine Aussagen als Wissenschaftler aus meiner Sicht zweifelhaft. Einem Wissenschaftler, der fuer Monsanto arbeitet und das Gegenteil behauptet, wuerde man auch nicht glauben.

    • 8G
      849 (Profil gelöscht)
      @83421 (Profil gelöscht):

      Wem könnte man unter solchen Prämissen heute überhaupt noch glauben? Sicher nicht jenen, die Geld en masse haben und für ihre Propaganda ausgeben. Das Netzwerk finanziert sich hingegen neben Privatspenden, durch in meinen Augen recht unverdächtige Organisationen:

       

      ⌐ Ausschuss für Kirchliche Weltdienste (AKWD)

      ⌐ Bundesministerium für Umwelt (BMU)

      ⌐ Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit

      und Entwicklung (BMZ)

      ⌐ Brot für die Welt

      ⌐ Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit

      (gtz)

      ⌐ Europäische Kommission – European Aid

      ⌐ Evangelischer Entwicklungsdienst (EED)

      ⌐ Evangelische Kirche im Rheinland

      ⌐ Hamburg mal fair

      ⌐ Internationale Weiterbildung und Entwicklung (InWent)

      ⌐ KEMI/SENSA über PAN AP

      ⌐ Misereor

      ⌐ Norddeutsche Stiftung für Umwelt und Entwicklung

      (NUE) – Bingo die Umweltlotterie

      ⌐ Oxfam/Novib

      ⌐ Patagonia

      ⌐ Sigrid Rausing Trust

      ⌐ Solidaridad

      ⌐ Umweltbundesamt (UBA)

  • Ich setze dem berechtigten, vielfachen Druck auf den Glyphosathersteller mal den fehlenden und teils sogar bagatellisierenden "Druck" bei der Vergiftung der Menschen mit Benzol durch Kleinmofas, den Spaßheizern von Holz via Kamin oder Holzofen, den Toten aufgrund multiresistenter Keime, der kontinuierlichen Vergiftung unseres Grundwassers mt der Gülle der Bauern usw entgegen.

    Warum wird nur immer wieder lautstark und dauerhaft gegen die verursachenden Unternehmen (auch VW) angegangen, das wohl mit recht.

    Die Vermeidung obiger Fälle bzw. Verbote verursachen übrigens keine volkswirtschaftlichen Schäden. Alternativen können die Verursacher ohne große Probleme wahrnehmen (Wärme, Biogasanlagen, ÖPNV oder Fahrrad, vom NL Krankenhauswesen lernen...)

     

    Wo bleibt da die immer hochgehaltene demokratische und neutrale und gewissenhafte Verantwortung der Medien?

  • In der bisherigen Diskussion ging es stets darum, wer den Nutzen hat und wer den Schaden. Das ist mit Sicherheit zu kurz gegriffen.

     

    Ganz intensiv sollte diskutiert und auch neu recherchiert werden, wer alles den Nutzen dadurch hat, daß der Schaden verursacht wird. Dabei muß man nicht von Anfang an eine volle Absicht unterstellen. Für den Anfang sollte es genügen, eine Liste zu erstellen:

     

    Monsanto, die Pharmakonzerne (Krebsmedikamente), die Schmiergeldempfänger, Börsenspekulanten u. a.

     

    In einem zweiten Arbeitsgang ließe sich dann abarbeiten, wie wichtig und segensreich es wohl ist, genau solchen schrägen Vögel als Lobbyisten und Macher an die Schalthebel nicht nur der EU zu setzen.

  • Ich frage mich immer wieder, wie kann es sein, dass Menschen im 21zigsten Jahrhundert für die weitere Zulassung von nachweislich schädlichen Chemikalien beststimmen dürfen (Mehrheit, Demokratie), wenn doch ihre Stimme dazu führt, dass schon 80zig Prozent der Insekten ausgestorben sind. Wie wichtig Insekten, z. B. Bienen sind, ist unstrittig und demnach auch die Höhe des Schadens. Er ist unermesslich!

    Hier scheint die Demokratie das Deckmäntelchen nicht nur für Lobbyarbeit, ja sogar für Verbrechen zu sein. Und das wirft doch Frage auf, wie lange sich die Bevölkerung Deutschlands und anderer Länder in Europa so etwas bieten lassen. Ich hoffe nicht mehr lange!

    Viele Grüße

    • 8G
      849 (Profil gelöscht)
      @tommason:

      Schmidt ist weg, aber Klöckner hat ebenfalls eine eher positive Haltung zu Glyphosat. Andernfalls wäre sie wohl nicht Ministerin geworden.