Zukunft des Autos: Der lange Abschied vom Ottomotor
Von Anfang an gab es beim Auto Alternativen zum Verbrennungsmotor. Nun werden deren Stärken endlich wiederentdeckt.
Von einer Welt ohne Autos träumen mit dem Volksentscheid Berlin autofrei gerade viele ganz konkret – während sich andere noch mit ihrem SUV aufbäumen wie Dinos. Die Zukunft des Autos, so stellt es sich dar, liegt zwischen Nulllösung und Unsinn. Und diese Zukunft hat bereits begonnen.
Verschwinden werden Verbrenner nicht wie das Fax, nicht so schnell wie Raucherabteile in der Bahn. Weder Global Warming noch Peak Oil führten zum Umlenken, auch nicht Dieselgate oder Fridays for Future – sondern höchstens die Summe von allem. Oder die Bilanzen der Konzerne, vielleicht beschleunigt durch Corona.
Kurzarbeit in der Industrie der Viertakter, reelle Angst vor Massenentlassungen, Streichung der durch alle Krisen durchgezahlten Boni, für Mitarbeiter das 14. Monatsgehalt. Stuttgart, Graus, o Graus, könnte das nächste Detroit werden. So finster wie die Aussicht, Deutschland würde den Anschluss als Exportweltmeister endgültig verlieren.
„Porsche – Pionier der Elektromobilität“ wirbt die Volkswagen AG in dieser Gemengelage in Berlin für eine Ausstellung, deren Plakat absurd oder zynisch-höhnend ein SUV ziert. Vor dem Beäugen des Pioniergeists zunächst das aktuell Neue: Wie ein Frühlingserwachen nach der langen Krise wirkt der VW ID.3 – vollelektrisch, Preis fast wie ein Golf.
Einfache Rechnung mit viel Gewinn
Den runtergerechneten Kaufpreis ermöglicht die Politik. Statt blauem Himmel über der Ruhr versprechen Bund und Länder Elektroauto-Kunden Einsparungen bis zu 11.000 Euro; plus Förderung der Ladeinfrastruktur in manchen Ländern, in NRW bis zu 15.000 Euro. Was laut Kfz-Experten unmöglich war, geht also: ein E-Auto für die Massen.
Tesla hat es vorgeführt, zumindest an der Börse alle abgehängt. Wie konnten Manager Millionengehälter einstreichen und dabei zusehen, wie ihre Branche in die Sackgasse rast? Die Antwort: Warum etwas riskieren, wenn der Profit über Jahrzehnte ungebremst steigt? Die Rechnung ging so auf: Wenig mehr als eine Handvoll Konzerne weltweit + das Produkt überall, wo es Menschen gibt = Umsatz mehr als eine Billion.
Die Lenker der Kfz-Industrie sind heute, im krassen Gegensatz zu den Tüftlern, die das Auto auf die Räder stellten, keine Hasardeure wie André Citroën, sie haben nicht wie Henry Ford nur ein paar Jahre Volksschule auf dem Buckel, selten werden sie wie Gottlieb Daimler und Carl Benz aus der Geschäftsführung ihrer eigenen Firma geekelt. Sie sind nicht von einer Vision getrieben wie Steve Jobs oder Bill Gates, denen die Hersteller von Großrechnern noch vorrechneten: Euer Produkt will keiner, denn wer sich einen Personal Computer leisten kann, hat eine Sekretärin.
Eine Lachnummer war es für die alten Autobauer, als Elon Musk, Milliardär mit Ebay und Dotcoms, die durch Laptops und Handys rasend verbesserten Akkus in Pkw baute. Was hat man nicht alles schon gesehen, um die 4.000 Hersteller haben Autos gebaut und ins Gras gebissen. Die Überlebenden haben sich in Laborversuchen an E-Autos versucht: also in Konzernen mit über 100.000 Mitarbeitern eben die paar Dutzend, für die man gerade keine andere Beschäftigung fand. Fazit: „Geht nicht, unmöglich.“
Es ist ja auch fast magisch, was die Alten entwickelten. Den Ottomotor (Nicolaus August Otto: Kaufmann und Vertreter) machten Daimler und sein Protegé Maybach serienreif; wiewohl Viertakter so ähnlich bereits in Frankreich patentiert worden waren. Komplex wie ein Großrechner: Kolben werden statt mit Dampf mit Explosionen in Zylindern ruckartig bewegt. Kolben rasen hoch und runter – und die Wucht dieser zentimeterlangen Stöße wird auf Räder übertragen, die mehr als eine Tonne aus Blech, Stahl und viel PVC bewegen: Wer sich mit Fliehkraftreglern, Physik und Kybernetik auskennt, kann nur bewundern, was diese Pioniere des Autobaus ausgeheckt haben.
Der Motor als Herz des Automobils
Im Auto, wie wir es seit hundert Jahren kennen, ist der Motor das Herz. Selten sichtbar, Tausende Teile: für die sehr wenigen Hersteller weltweit nicht leicht zu entsorgen; für Otto Normalverbraucher ein Ding mit sieben Siegeln. Bizarr.
Dabei war schon vor 120 Jahren evident: Die Kraftübertragung mit Strom hat Vorteile. Kaum schwere Teile und Mechanik, weniger Wartung, kein Ölwechsel. Benzin hingegen wird selbst beim Stopp an der Ampel angesaugt, vergast, entzündet. Physikalisch ist der Stromer überlegen. Ohne ständige Detonationen keine unnötige Abwärme, elektrisch wird fast 100 Prozent der Energie umgesetzt in den Antrieb, bei einem Explosionsmotor sind es um die 30 Prozent. Ohne Drehmomentwandler, Getriebe usw. wird das stufenlos hochgefahren wie bei einem Trafo mit der Modelleisenbahn oder einem Dimmer.
Auf mehr als 100 km/h kam im April 1899 ein Elektroauto. Mit „La Jamais Contente“ (Die nie Zufriedene) schlug Camille Jenatzky die etablierten Dampf- und neuen Benzinautos. Zeitgenössischen Medien ist zu entnehmen, dass in der Folge in den USA viele auf dieses Prinzip setzten – und dass „Elektrische Accumulatoren-Stadt-Wagen“ auch von Jacob Lohner & Co., Wien, jahrelang angeboten wurden. Deren direkter Vorderradantrieb galt als „System Lohner-Porsche“, verkürzt nun von PR-Gecken zu Ferdinand Porsche als „Pionier der Elektromobilität“.
Das Elektroauto des Belgiers Jenatzky war für einige Jahre schneller als alle anderen. Doch die waren mehr und sie hatten es leichter – beim Transport ihrer Energie in Form von Sprit statt Strom. Der Benzinmotor gewann.
Schmutzige Geschäfte ums Öl
Keine Verschwörungstheorie! Aber markant: Mit Öl war schon zuvor Rockefeller zum reichsten Mann der Welt geworden; im Land des Unbegrenzten vom Hilfsbuchhalter mit Standard Oil und Holdings wie Kartellen, Einschüchterung der Konkurrenz „aufgestiegen“. Marktanteil in wenigen Jahren von 10 Prozent auf 90 Prozent, Gerichtsverfahren zur Zerschlagung seines Megakonglomerats zogen sich länger hin. Die Geschichte des Autos, wie wir es kennen – und wie es in vielen Gegenden weltweit noch lange benutzt werden wird –, ist so unkorrekt wie die von Öl und seinem Derivat Benzin.
Nehmen wir mal einen Liter. Sprit ist derzeit – wie während Wirtschaftskrisen üblich – relativ preiswert. Vor Steuern und Abgaben kostet der Liter in Venezuela etwa 2 Cent, im Iran doppelt so viel, 168 Cent in der Zentralafrikanischen Republik; bei uns mit Steuern und Abgaben zwischen 120 und 130 Cent.
Bevor wir uns auf dem Weltmarkt verlaufen, kurz zum US-Preis: Da dort die je nach Bundesstaat variierenden Abgaben immer ungleich niedriger sind als hierzulande, ist der changierende Wert von Rohöl an Zapfsäulen zwischen Alaska und Texas deutlicher abzulesen – einhergehend mit guter Konjunktur staunt und tönt man in der Car Nation dann, dass man, good God!, für einen Liter Sprit mehr blechen soll als für eine Flasche Mineralwasser.
Dabei reisen für einen Liter Benzin 1,3 Kilogramm Erdöl oft um die halbe Welt, um in Raffinerien verarbeitet zu werden. Das Ausgangsmaterial entsteht, wenn sich kohlenstoffreiche Organismen (für 1,3 Kilogramm Erdöl etwa 23 Tonnen Pflanzenmasse) in pflanzlichen Kohlenstoff verwandeln. Zusammen mit Komponenten wie Wasserstoff, Stickstoff, Sauerstoff, Schwefel und in winzigen Mengen andere Metalle wird daraus – nach mehreren Hunderttausend Jahren – Rohöl. Zapfhahn zurück, Tankdeckel drauf, noch mal kurz auf der Zunge zergehen lassen: Für einen Liter 23.000 Kilo Pflanzenmasse, Millionen Jahre. Jetzt rein in den SUV, Allrad, gut für 280 km/h – und nach weniger als zwei Minuten verbraucht. So geht das.
Das Geschäft mit Öl war schon vor dem Auto ein schmutziges, der abgedrückte Preis kriminell. Der Profit, der mit Benzin und den dies schluckenden Maschinen zu erzielen ist, war einfach zu gut, die ganze Konstruktion zu raffiniert und kompliziert, um sich davon leichtfertig abzuseilen.
Aber es ändert sich, selbst die Volkswagen AG erinnert nun an „La Toujours Contente“, einen E-Rennwagen, der einem abseits der von der Industrie diktierten Geschichtsschreibung fast nie begegnet. Bei allem Wandel aber bleibt die Haltung serienmäßig eingebaut: Auch beim Umlenken bloß nicht zu viel umdenken.
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