Zukunft der Jungen Union: Jenseits weißer Sneaker
Am Wochenende wählt die Junge Union einen neuen Chef: Johannes Winkel aus NRW. Kein leichter Job. Der CDU/CSU-Nachwuchs steckt in der Krise.
Die Diskussion mit den beiden Generalsekretären läuft bereits eine gute halbe Stunde, als Johannes Winkel das Wort ergreift. „Wenn wir noch nicht mal jetzt anfangen, Klartext zu reden, dann haben wir echt verloren“, sagt er. „Ihr beiden habt es zu verantworten, dass in einem Bundestagswahlkampf die Jusos und Olaf Scholz geschlossener waren als CDU und CSU“, schimpft Winkel weiter. „Das ist eine absolute Frechheit.“ In der Münsterlandhalle brandet Applaus auf.
Es ist Mitte Oktober im vergangenen Jahr, die Union hat gerade die Bundestagswahl verloren, als die Nachwuchsorganisation von CDU und CSU in Münster zu ihrem alljährlichen Deutschlandtag zusammenkommt. Während Paul Ziemiak, damals noch Generalsekretär der CDU, immerhin Verantwortung übernimmt, lässt sein CSU-Kollege, Markus Blume, jede Kritik an sich abtropfen. Die Delegierten im Saal werden ungehalten. Winkel, Landeschef der JU in Nordrhein-Westfalen, nimmt die Stimmung auf.
Winkel war manchen schon mit seinem Grußwort aufgefallen. Kurz und klar gab er darin sowohl dem gescheiterten Spitzenkandidaten Armin Laschet als auch dessen Widersacher Markus Söder einen mit und forderte, innerhalb der Union mit dem Lagerdenken aufzuhören.
30, Jurist, ohne Gegner
In der Münsterlandhalle könnte Winkels Aufstieg ganz nach oben begonnen haben. Am kommenden Wochenende jedenfalls trifft sich der Deutschlandtag wieder, dieses mal in Fulda. Winkel, 30, Jurist, wird dort zum neuen Bundesvorsitzenden der JU und zum Nachfolger von Tilman Kuban gewählt werden. Einen Gegenkandidaten gibt es nicht.
Kuban ist mit 35 Jahren zu alt, um noch einmal anzutreten. Er hatte 2019 mit einer Bierzeltrede eine Kampfkandidatur um den Vorsitz für sich entschieden. Kuban hatte nach wenigen Minuten zu brüllen begonnen und damit nicht mehr aufgehört bis zum Ende seiner Rede, die vor Polemik und Feindbildern strotzte. Das Image vom polternden, konservativ-altbackenen JU-Chef, der weiße Sneaker mit schwarz-rot-goldenen Streifen an Parteigranden verteilt, weil er das für modernen Konservatismus hält, ist Kuban seit dem nicht mehr losgeworden.
Winkel, ein schlanker Kerl mit dunklem Kurzhaarschnitt und Drei-Tage-Bart, der im Hoodie nicht verkleidet wirkt, ist schon optisch ein anderer Typ. Vor seiner Wahl will er kein Interviews geben. Doch viele erwarten von ihm einen ruhigeren und sachlicheren Stil an der Spitze der Jungen Union. Und weil nicht nur der Vorsitzende, sondern auch viele Mitglieder des Bundesvorstands neu gewählt werden, könnte es tatsächlich einen Neustart geben.
Lilli Fischer, stellvertretende Vorsitzende der JU
Der Nordrhein-Westfale, der gerade vier Wochen auf Deutschlandtour war, um für sich zu werben, übernimmt die JU in einer schwierigen Zeit. Die Nachwuchstruppe, die sich gern als größten politischen Jugendverband bezeichnet, schrumpft. Bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr haben nur zehn Prozent der 18- bis 24-Jährigen für die Union gestimmt, ein Debakel. Grüne, FDP und sogar die SPD waren deutlich beliebter. In der CDU-Zentrale hieß es bei einer Wahlanalyse, was aus der Jungen Union zu sehen und zu hören war, habe „eher abschreckend“ gewirkt. Und in der Parteispitze ist die Überlegung zu vernehmen, ob die JU nicht vielleicht sogar eher ein Hindernis dabei sei, bei jungen Leuten zu punkten. Die Vermittlung in die Jugend, die die CDU so dringend braucht, schaffe die JU jedenfalls nicht. Zitieren lassen aber will sich so niemand.
„In der Vergangenheit hat sich die JU vielleicht manchmal zu sehr für gesellschaftspolitische Themen verkämpft, die letztlich nur intern von Interesse sind“, hatte jüngst die stellvertretende Parteivorsitzende Karin Prien dem Spiegel gesagt. Das gelte zum Beispiel für den Widerstand gegen die Frauenquote. Auf Anfrage der taz heißt es nun aber auch, sie wolle sich derzeit zum Thema nicht äußern.
„Konservativer“ als die Union
Priens Aussagen haben in der JU für Verärgerung gesorgt. „Es kann nicht wahr sein, dass die stellvertretende Parteivorsitzende der Jugendorganisation in den Rücken fällt“, sagt etwa Lilli Fischer, Vorsitzende der JU in Erfurt. Fischer wünscht sich mehr Kampagnenfähigkeit und dass die JU Themen wie Bildung und Rente, die für die Jugend wichtig seien, offensiver besetzt. Doch sie sagt auch: Wenn die JU „konservativer und klarer“ wahrgenommen werde als die Mutterpartei, dann habe sie doch vieles richtig gemacht.
Allerdings war es nicht immer so, dass der Parteinachwuchs besonders konservativ war. Unter Vorsitzenden wie Hermann Gröhe etwa, der wenig später zur legendären schwarz-grünen Pizza-Connection gehörte, galt die JU zu Beginn der 90er Jahre im Vergleich zur CDU noch als liberal.
Einer aus der Parteispitze, der die Junge Union verteidigt, ist Jens Spahn. Der ehemalige Gesundheitsminister und heutige Fraktionsvize war als konservativer Gegenspieler der ehemaligen Kanzlerin lange ein Liebling der JU, doch als es beim Parteivorsitz zum Schwur kam, schlug sich die Mehrheit auf die Seite von Friedrich Merz. Er verstehe die Kritik von manchen aus der CDU-Spitze am Parteinachwuchs nicht, sagt Spahn. „Die meisten würden ihre Wahlkämpfe vor Ort ohne JU gar nicht hinkriegen.“ Auch könne der Anspruch der Partei nicht sein, dass die Jungen allein die Probleme lösen, die die CDU als ganzes habe. Das Image der JU werde zwar von manchen mitunter „eher mit den 90er Jahren“ verbunden, in der Realität aber sei sie die modernste Jugendorganisation.
Die Sache mit Rezo
Ähnlich sieht das Ronja Kemmer, die mit 34 gerade noch im JU-Alter ist. „Die CDU hat das Abschneiden bei den Erstwählern zu verantworten und nicht die JU, die Motor vor Ort in den Wahlkämpfen ist“, sagt die Bundestagsabgeordnete aus Baden-Württemberg. Ihre Partei habe mit manchen Debatten bei den jungen Leuten viel Vertrauen verspielt. Kemmer erinnert an den Uploadfilter, den die CDU 2019 trotz Protesten unterstützt, und an das PDF, mit dem die Partei nach langem Hin und Her auf Rezos Youtube-Video „Die Zerstörung der CDU“ reagiert hatte. „Da ist es natürlich ein Thema, wie ansprechend wir für junge Leute sind.“
Hört man sich in der JU um, werden der Uploadfilter und die verkrampfte Reaktion auf Rezo immer wieder genannt. Auch habe die CDU sich gegen die Klimaproteste von Fridays for Future gesperrt, die Nöte der jungen Leute während der Pandemie nicht im Blick gehabt und sich zuletzt auch noch, gegen den Willen der JU, für ein soziales Pflichtjahr ausgesprochen. Viele betonen zudem, dass sich die JU unter Kuban durchaus modernisiert habe. Neu sind digitale Formate wie „Der Pitch!“ zur Wahl des CDU-Vorsitzenden, die Ansage, bei Deutschlandtagen auf der Bühne doch lieber auf ein Jackett zu verzichten – und auch eine gewisse Frauenförderung.
Von der hat auch Ronja Kemmer profitiert. Sie sitzt als Vertreterin der JU im CDU-Präsidium, dem höchsten Führungsgremium der Partei. Insgesamt sechs JUler*innen gehören inzwischen dem größeren Bundesvorstand der CDU an, vier von ihnen sind Frauen, so viele waren es noch nie. Das Problem: Sie werden in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Das Bild wird weiter von Männern wie Tilman Kuban oder dem Bundestagsabgeordneten Philipp Amthor geprägt. Der wirkt so, als sei er schon mit Seitenscheitel und Einstecktuch auf die Welt gekommen. Moderner Konservatismus jedenfalls fällt als Assoziation eher aus.
„Frauen bereichern das Leben, glauben Sie mir. Nicht nur privat, sondern auch politisch“, so hatte auf dem Deutschlandtag 2018 die ehemalige Kanzlerin Angela Merkel den Parteinachwuchs kritisiert. In der Wahlanalyse der JU zur Bundestagswahl hat sie dieses Manko selbst ausgemacht. „Wir brauchen mehr junge und insbesondere mehr weibliche Köpfe, die mit unserer Generation auf Augenhöhe kommunizieren und mit Themen verbunden werden“, heißt es darin.
Etwa 30 Prozent der JU-Mitglieder sind inzwischen Frauen, im Bundesvorstand der Nachwuchsorganisation sind es sogar immerhin gut 40. Eine Frau an ihrer Spitze hatte die JU allerdings erst ein Mal. Das war Hildegard Müller und ist 20 Jahre her, danach kam keine mehr. Und derzeit stehen in nur drei Landesverbänden der JU Frauen an der Spitze.
Eine von ihnen ist Wiebke Winter aus Bremen, die durch ihr Engagement für die KlimaUnion wahrscheinlich die bekannteste JU-Frau ist. Im kommenden Jahr will sie für die CDU in die Bremer Bürgerschaft einziehen. Auch sie hält die Kritik für unberechtigt: „Ich nehme die JU anders wahr und Tilman Kuban auch. Wir sind viel weiter als oft behauptet wird.“ Winter liegt die Förderung von Frauen am Herzen, da ist ihr die JU noch nicht weit genug – auch wenn sie in den vergangenen Jahren schon „wesentliche Schritte“ unternommen habe.
Die Juristin leitet seit fast vier Jahren den AK Frauen in der JU, einmal im Jahr organisiert sie den „Superwomanday“ mit, um politisch unerfahrenere Frauen zu unterstützen. Von der Quote aber hält sie nichts. „Ich bin froh, dass ich keine Quotenfrau bin und ich möchte auch keine sein“, so hatte sie auf dem CDU-Parteitag gegen die Einführung argumentiert, für die die Mehrheit der Delegierten dann doch votierten.
Weil gegen die Quote nur junge Frauen sprachen, wirkten sie, wie von der JU-Spitze vorgeschickt. Der Vorwurf ärgert Winter, die nicht als eine dastehen will, die sich vorschicken lässt. Doch schon dass die Erzählung so eingängig ist, zeigt das Imageproblem der JU. Nicht nur daran wird Johannes Winkel als neuer Bundesvorsitzender arbeiten müssen. Leicht wird das nicht.
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