Zugang zu Bildung für Geflüchtete: Stillstand, der Spuren hinterlässt
Das deutsche Bildungssystem betrachtet die Bildung Geflüchteter als deren Bringschuld – nicht als gemeinsame Verantwortung.
A ls ich aus Afghanistan nach Deutschland kam, hatte ich bereits einen Abschluss in Politikwissenschaft und viele Jahre Berufserfahrung als Journalistin bei TOLOnews, einem der größten Fernsehsender des Landes. Doch hier zählte das plötzlich kaum.
Neun Jahre später weiß ich: Der Weg in den deutschen Arbeitsmarkt ist für Geflüchtete lang, steinig – und voller unsichtbarer Barrieren. Als ich ankam, durfte ich zwei Jahre lang keinen Integrationskurs besuchen – nur wegen meines Asylstatus'.
Ich durfte nicht arbeiten, nicht studieren, nicht offiziell Deutsch lernen. Ich fühlte mich, als wäre mein Leben angehalten. Ich suchte selbst nach einem Weg, lernte Deutsch zu Hause. Schließlich bezahlte Reporter ohne Grenzen meinen ersten Sprachkurs. Das war ein Wendepunkt: Ich konnte wieder lernen, wieder sprechen, wieder denken.
Doch zwei Jahre Stillstand hinterlassen Spuren. Viele Geflüchtete verlieren in dieser Zeit nicht nur Wissen, sondern auch Selbstvertrauen. Wer nicht sofort lernen darf, verliert oft die Chance, sich langfristig zu integrieren. Das deutsche Bildungssystem ist komplex – selbst für Deutsche. Für viele Geflüchtete ist es fast undurchdringlich. Zeugnisse werden häufig nicht anerkannt, berufliche Erfahrungen zählen wenig, und ohne perfekte Sprachkenntnisse bleibt der Zugang zu Studium oder Ausbildung versperrt.
In der Kolumne ankommen schreiben im zweiwöchentlichen Rhythmus Journalist:innen, die 2015 nach Deutschland geflüchtet sind, zum 10. Jahrestag des „Summer of Migration“. Begleitend zu den Kolumnen gibt es außerdem die Podcastreihe „Geschafft?! Zehn Jahre nach der Ankunft“ zu hören, die im Rahmen der Freie Rede Podcasts der taz Panter Stiftung erscheint.
Ohne Bezahlung, aber mit Leidenschaft
Ich wollte als Journalistin weiterarbeiten, aber überall hieß es: „Ihre Sprache ist noch nicht gut genug.“ Oder: „Ihre Abschlüsse sind schwer einzuordnen.“ Trotzdem gab ich nicht auf. Nachdem ich Deutsch gelernt hatte, absolvierte ich ein Jahr lang eine journalistische Weiterbildung.
Von Anfang an war ich außerdem ehrenamtlich und freiwillig als Journalistin tätig – ich schrieb Artikel für verschiedene Zeitungen und Online-Medien, oft ohne Bezahlung, aber mit Leidenschaft. Integration in Bildung und Arbeit braucht Zeit, Geduld und Unterstützung. Doch sie wird in Deutschland oft als Bringschuld verstanden – nicht als gemeinsame Verantwortung.
2023 begann ich als ambulante Familienhelferin in Dormagen zu arbeiten. Parallel schreibe ich weiterhin journalistisch und arbeite als Content Managerin bei Toneart Shop. Diese Arbeit gab mir das, was viele Geflüchtete lange vermissen: Selbstständigkeit, Würde und das Gefühl, gebraucht zu werden.
Arbeit ist mehr als Einkommen. Sie ist Teilhabe, Selbstbewusstsein, Identität. Ich kenne viele Menschen, die in Afghanistan Ärztinnen, Ingenieurinnen oder Lehrerinnen waren – und hier als Reinigungskräfte oder Paketfahrerinnen arbeiten, weil ihre Qualifikationen nicht anerkannt werden. Das ist nicht nur ein persönlicher Verlust, sondern auch ein gesellschaftlicher. Deutschland sucht Fachkräfte – und gleichzeitig werden viele Talente verschwendet.
Gemeinsames Projekt statt Prüfung
Ich weiß, wie viel Kraft es kostet, sich in einem neuen System zurechtzufinden. Ich musste nicht nur eine Sprache lernen, sondern auch eine Gesellschaft verstehen – mit anderen Regeln, Erwartungen und stillen Grenzen. Doch ich glaube: Bildung und Arbeit sind die stärksten Brücken zwischen Geflüchteten und der Gesellschaft.
Wer lernt, wer arbeitet, wer gebraucht wird, kann auch ankommen. Integration sollte nicht als Prüfung verstanden werden, sondern als gemeinsames Projekt – als gegenseitiges Lernen. Ich selbst bin noch nicht ganz angekommen, aber ich bin auf dem Weg. Und das ist vielleicht das Wichtigste.
Ein Projekt der taz Panter Stiftung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert