Zora del Buonos „Die Marshallin“: Stilvolle Kommunistin
Zora del Buono hat mit „Die Marschallin“ ihrer Großmutter einen Roman gewidmet. Die Arztgattin machte ihr Haus zum Treffpunkt für Kommunisten.
Wer „Die rote Zora“ kennt, wird aus dem Staunen nicht mehr rauskommen, wenn er „Die Marschallin“ liest. Der 1941 in der Schweiz erschienene, an eine wahre Geschichte angelehnte Jugendroman über ein rothaariges kroatisches Waisenkind, das mit seiner sozialrevolutionären Bande in einer verfallenen Burg lebt, ist wie das subproletarische Pendant zu den Abenteuern der slowenischen kommunistischen und großbürgerlichen Zora Del Buono alias „Marschallin“.
Diese lebt zur selben Zeit wie die rote Zora, nur auf der anderen Seite der Adria und als Arztgattin in einem mondänen Haus in Süditalien. Die Enkelin dieser großbürgerlichen Zora hat deren Geschichte nun in einem Roman verarbeitet. Sie ist in der Schweiz geboren, hat von Natur aus feuerrote Locken und trägt denselben Namen wie ihre Großmutter. Fast. Sie heißt Zora del Buono.
Großmutter Zora hatte das del in Del verwandelt, um deutlich zu machen, dass sie den bourgeoisen Adelsstand ablehnte. Großmutter Zoras Sohn Manfredi, der Vater der Erzählerin, hatte seinem Namen wiederum das kleine d zurückgegeben. Er hatte schlechte Erfahrungen im tschechischen Sozialismus gemacht und wollte die Konzession seiner Mutter an den Kommunismus nicht mehr im Namen tragen.
Inneres Glühen
„Zora jammerte nie“, schreibt Zora del Buono über Zora Del Buono. „Sie packte an. Sie schien eine Spur heller zu leuchten als die Menschen um sie herum, es war ein ständiges inneres Glühen, sie glühte sogar wenn sie sich unbeobachtet fühlte, als ob sie darauf brennen würde, etwas ganz Großes zu tun.“
Zora del Buono: „Die Marschallin“. Verlag C. H. Beck, München 2020, 382 Seiten, 24,80 Euro
1896 wird Zora Ostan im slowenischen, später jugoslawischen Städtchen Bovec geboren und erlebt mit ihren drei Brüdern, wie ihr Heimatort während der Isonzo-Schlachten im Ersten Weltkrieg vollständig zerstört wird und unter italienische Hoheit gelangt.
Dadurch lernt sie den sizilianischen und rothaarigen Arzt Pietro Del Buono kennen, zieht mit ihm ins apulische Bari, wo sie drei Söhne kriegen und ihr großbürgerliches Haus Treffpunkt der kommunistischen Avantgarde Italiens und Jugoslawiens und später Lazarett für Kriegsversehrte wird, bis sie nach dem Zweiten Weltkrieg von den italienischen Kommunisten aus dem Haus vertrieben werden – was als „große Demütigung“ in die Familiengeschichte eingeht.
Großmutter Zoras Spitzname „Marschallin“ rührt von ihrer großen Bewunderung des Partisanen und jugoslawischen Präsidenten Josip Broz her, besser bekannt als Marschall Tito. Zora erkannte im Titoismus ihre Definition des „Kommunismus ist Aristokratie für alle“. Tito liebte so wie Zora den guten Geschmack. Er hatte eine Vorliebe für schöne Uniformen, Yachten und Frauen. Und er pflegte nicht nur Denkmäler für sich selbst, sondern auch stilvolle Hotels und öffentliche Einrichtungen in ganz Jugoslawien zu errichten.
Ein passendes Kostüm für die Agitation
Auch Zora entwarf mit Stil und Akribie ihr Haus in Bari – „Intarsienwände, geometrische Kassetten aus dunklem Mahagoni, leuchtendem Zitronenholz und Schildpatt auf blauer Seide“. Für einen Agitationsauftritt für die KPI vor dem Bahnhof von Bari lässt sie sich ein Kostüm schneidern, dass mit der Farbe des Gebäudes hinter ihr – „apricotfarben, aber dunkler“ – korrespondiert.
Zora del Buono, die neben ihrer schriftstellerischen Arbeiten auch Architektin und Gründerin der Zeitschrift mare ist, hat ihren Roman so detailgenau, vielschichtig und raffiniert gebaut wie Zoras Haus in Bari.
Betritt man ein neues Kapitel in ihrem Roman, ist es, als öffne sich eine Tür zu einem neuen Zimmer in Großmutter Zoras Leben, in dem sich ungekannte Abgründe auftun: Kriminelle und Faschisten, politische Verbannung und ideologische Verblendung, Homophobie und Korruption, Misogynie und als Kosmopolitismus getarnter Elitismus. Um diese Türen zu finden, muss man durch lange Flure, Säle und Gärten laufen, damit sich die dunklen Verbindungen der Mitglieder, Freunde und Feinde der Familie auftun.
Bei Netflix würde „Die Marschallin“ unter „Filme mit starken Frauen“ einsortiert werden. „Wäre sie ein Mann gewesen, sie wäre Major geworden, eher noch Marschall, vielleicht sogar Staatspräsident“, schreibt Zora del Buno über Zora Del Buono. Aber del Buono lässt ihre Großmutter nicht als Superheldin auftreten, sondern hinterfragt, woher die Stärke kommt, welche Verletzungen, welche Erfahrungen hinter dieser Stärke stehen und welche Schwäche diese Stärke bei den Menschen um sie herum erzeugt.
Sie sucht die Ehefrauen für die Männer aus
Großmutter Zoras Erklärung für ihre Stärke ist, dass sie ohne Mutterliebe aufgewachsen ist, weswegen sie die auch ihren eigenen Kindern gegenüber nicht hat und darüber hinaus allen Frauen misstraut und aufmüpfige Schwägerinnen und starke Schwiegertöchter an ihrer Seite zu verhindern sucht, indem sie nicht nur ihren Söhnen, sondern auch ihren Brüdern die Frauen selbst besorgt.
Trotz ihrer kommunistischen Überzeugung hängt Großmutter Zora traditionellen Geschlechter- und letztlich auch Klassenrollen an: „una signora non lavora“ („Eine Dame arbeitet nicht“), sondern gibt Befehle. Beispielsweise ihren Hausangestellten, die sie behandelt wie Leibeigene. Auch im Kommunismus muss jemand das Klo sauber machen. Und in Großmutter Zoras Kommunismus ist es nicht die Signora, sondern die Putzfrau.
Über ihrem Kaminsims hat sie auf Latein die Worte einmeißeln lassen: „Diese Mauern seien dein unbezwingbarer Schutzwall; sei dir keines Unrechts bewusst, erblasse nie in Schuld.“ Diese Motto hält sie fast 300 Seiten des Romans und über 50 Jahre ihres Lebens durch. Bis 1948, dem Jahr, in dem Tito mit Stalin brach, Zora Del Buono Diabetes kriegt und ein Bekannter mit ihrer Pistole einen Mord an einem Unschuldigen begeht.
In den Jahren danach fällt die Familie Del Buono bei den Kommunisten in Ungnade, verliert fünf Mitglieder bei fünf Autounfällen. Auch der Vater der Autorin Zora del Buono kommt so um. Die Großmutter aber lebt bis 1980. Tito stirbt drei Monate nach ihr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste