Zivile Hilfe und Wiederaufbau: Wirtschaftswunder für die Ukraine
Die Bundesregierung will Firmen dazu ermuntern, trotz Krieg in der Ukraine zu investieren. Der Vorstoß soll nicht nur Symbolik sein.
Die internationale Militärhilfe für die Ukraine stockt, dafür soll die zivile Hilfe deutlich ausgebaut werden. Letzteres treibt derzeit Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) voran. „Wiederaufbau“, ist ihr Credo. Und das im Krieg. Schulzes Ministerium hat die Federführung über Kriterien, Projekte und Vorhaben übernommen.
Es geht darum, kaputte Straßen zu reparieren, Häuser aufzubauen, Strom- und Wasserversorgung zu gewährleisten – und Jobs zu schaffen. Für die, die geblieben sind – und diejenigen, die wieder zurückkehren werden. Helfen sollen dabei deutsche Unternehmen.
Das Bundeskabinett einigte sich am Mittwoch auf ein entsprechendes Maßnahmenpaket mit 15 Punkten. Dazu gehören etwa finanzielle Zuschüsse, verbilligte Zinsen für kleine und mittlere Unternehmen – und auch Ausfallgarantien. Also eine Art Bürgschaft für das Risiko, das die Firmen eingehen, wenn sie dort investieren, wo Raketen und Bomben jeglichen Aufbau sofort wieder zunichtemachen können.
Geht es nach der Bundesregierung, soll es künftig zudem eine Institution nach dem Vorbild der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) geben. „Die Ukraine braucht mehr als Waffen, um in diesem Krieg zu bestehen“, sagt Schulze. „Es kommt auch darauf an, dass die Wirtschaft weiterläuft und das Land den Wiederaufbau finanzieren kann.“
Svenja Schulze, Bundesentwicklungsministerin
Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) stimmt Schulze zu. Er will der ukrainischen Wirtschaft „in der schweren Zeit“ helfen und ihr eine Perspektive eröffnen. Aber: „Öffentliche Mittel allein werden für den Wiederaufbau nicht ausreichen.“ Deshalb muss die Wirtschaft ran.
Für SPD-Politikerin Schulze ist die KfW „ein Wegbereiter des Wirtschaftswunders in den 1950er und 1960er Jahren“. Ein solches Wunder soll es offenbar irgendwann auch in der Ukraine geben. Und deutsche Firmen sollen dabei sein. „Die Ukraine will in die EU. Das ist ein großer Markt, der dort entsteht.“ Energieversorgung, Infrastruktur, landwirtschaftliche Betriebe – insbesondere für einen nachhaltigen, ökologischen Wiederaufbau soll es Investitionen geben. Doch weder ein EU-Beitritt der Ukraine ist in Sicht, obwohl die Verhandlungen und Vorbereitungen dazu laufen, noch ein Ende des Kriegs.
Die ukrainische Armee steht derzeit enorm unter Druck – von mehreren Seiten. Vor allem im Osten und Norden tun sich neue Fronten auf. Die Sorge in der Ukraine ist groß, dass es in den kommenden Wochen zu einer nächsten russischen Großoffensive kommt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte vor wenigen Tagen eine Art Schutzwall für die ostukrainische Stadt Charkiw. Seit Wochen rückt dort die russische Armee vor. Angegriffen werden vor allem Wohngebäude, Strommasten, Einrichtungen für die Zivilbevölkerung. Erklärtes Kriegsziel ist es offenbar, die Stadt von der Energieversorgung abzuschneiden.
Auch die Bundesregierung hat im Rahmen des Wiederaufbauprogramms für die Ukraine in Charkiw investiert. Sie will daran weiter festhalten, auch wenn weitere Zerstörung nicht zu vermeiden ist. Ist das Programm nicht doch nicht mehr als Symbolik? „Nein“, wehrt Schulze ab. Auch jetzt mitten im Krieg sei es wichtig für die Ukraine, dass bereits wieder investiert werde. Konkret sollen Steuereinnahmen vor Ort auch helfen, Alltagsleben wieder möglich zu machen.
Bei der ersten Wiederaufbaukonferenz in Lugano 2022 wurden mit der Ukraine Prinzipien vereinbart, die erfüllt sein müssen, damit die internationalen Verbündeten das Land unterstützen. Eines davon ist der Kampf gegen Korruption. Bereits vor Beginn des russischen Angriffskriegs im Februar 2022 fiel die ukrainische Regierung häufig durch ihr Versagen gegen Bestechung und das Versickern öffentlicher Gelder auf. Laut Schulze hat sich in diesem Politikfeld einiges getan. Auch für die Ukraine sei Transparenz sehr wichtig. Was der Wiederaufbau kosten wird, darüber gibt es nur Schätzungen. Die Weltbank geht von rund 447 Milliarden Euro aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Frauenfeindlichkeit
Vor dem Familiengericht sind nicht alle gleich