Zentrum für Politische Schönheit: Krasser Scheiß
Wer sich Kampagnen wie „Flüchtlinge fressen“ ausdenkt, der hat sich von der Verrohung der Flüchtlingspolitik anstecken lassen.
D em Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) kann es bei seinen Flüchtlingsaktionen nie krass genug zugehen: Holocaust-Verweise schwingen da gern mal mit (2014), echte Leichen müssen im Spiel sein (2015), und jetzt sollen Tiger Flüchtlinge fressen, als performatives Re-Enactment der brutalen Grenzpolitik.
Angesichts der Zustände am Mittelmeer genau die richtige Tonlage, denken offenbar viele, die die sogenannten Künstler – wie bislang noch jedes Mal – für ihre Tabulosigkeit feiern. Aber wer sich Kampagnen wie „Flüchtlinge fressen“ ausdenkt, der hat sich von der Verrohung der Flüchtlingspolitik anstecken lassen.
An der Empörung über die Mittelmeertoten bedient sich das ZPS wie All-inclusive-Sauftouristen an der Hotelbar, und es endet im moralischen Vollrausch. Wie durchgeknallte Wiedergänger von Krawallregisseur Christoph Schlingensief kocht es sein Show-Süppchen mit dem Flüchtlingssterben. Aber nur weil andere dem Leben von Flüchtlingen keinen Wert beimessen, darf man deren Freitod noch lange nicht zur moralisch überdrehten Suizidinszenierung verwursten. Und auch nicht damit drohen.
Was das ZPS kritisiert, ist in der Tat ein Skandal: dass die, die es am nötigsten haben, Fähren und Flugzeuge nach Europa nicht besteigen dürfen und deshalb sterben.
Die Idee, für 100 syrische Flüchtlinge aus Izmir einfach trotzdem ein Flugzeug nach Berlin zu chartern und gleichzeitig den Bundestag über die Regelung zum Beförderungsverbot abstimmen zu lassen, hätte das Zeug für das Lehrbuch zivilen Ungehorsams, falls das mal jemand schreiben sollte. Und die Ressourcen dafür aufzutreiben ist eine beachtliche Leistung, an der, das sei nebenbei bemerkt, viele andere AktivistInnengruppen gescheitert sind. Was auch immer nach einem solchen Flug geschieht – es wäre spektakulär genug und träfe politisch den Kern des Problems.
Wem das aber nicht reicht und wer deshalb die abgedrehte, völlig überflüssige angebliche Tigerfraßnummer dranhängt, hat nicht Flüchtlingsrechte im Kopf, sondern sein Ego.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen