ZDF-Film „Um die 50“: Altern in Echtzeit

Ralf Huettner und Dominic Raacke haben mit „Um die 50“ eine Fortsetzung ihrer flotten 1990er-Serie geschrieben. Leider völlig unglaubwürdig.

Ein Mann und ene Frau umarmen sich.

Im ZDF-Film „Um die 50“ immer noch ein Paar: Henriette (H. Reents) und Frank (D. Raacke) Foto: Raymond Roemke

Es war das Jahr 1995: das Privatfernsehen in Deutschland seit rund einem Jahrzehnt etabliert – in weiter Ferne noch das Streamingzeitalter. Und umso erstaunlicher diese kleine ZDF-Serie: „Um die 30“ erzählte in sieben Episoden von sechs Münchner Thirtysomethings – „Thirtysomething“ („Die besten Jahre“) war auch der Titel einer damals bahnbrechenden US-Serie rund um eine Clique in Philadelphia, das unverkennbare Vorbild, nur sehr viel epischer angelegt. „Boomer“ ist heute eine von (Post-)Millennials verwendete Beleidigung für die alten Säcke – damals waren sie halt erst … siehe oben.

1995 also: Frank (Dominic Raacke) und Tina (Natalia Wörner) sind ein Paar, er schraubt an alten Autos herum, sie modelt, sie versuchen schwanger zu werden, was ihr wichtiger ist als ihm; Carlo und Carola (Susanne Schäfer) sind auch ein Paar, er versucht gerade, einen Pizza-Lieferdienst auf die Beine zu stellen; Olaf (Bruno Eyron) und Sabrina (Catherine Flemming) waren ein Paar, der schnöselige Rechtsanwalt ist hinter jedem Rockzipfel her, aber eigentlich hat er nur die Trennung nicht verkraftet und liebt noch immer nur Sabrina.

Das mit dem Rockzipfel würde man natürlich heute so nicht mehr schreiben – man würde aber auch den vertikalen Kameraschwenk die Rückseite aufwärts über den Körper der jungen Katharina Böhm, sie spielt eine Mandantin von Olaf, so nicht mehr machen. Vieles hat sich geändert, etwa das Erzähltempo der nach damaligen Maßstäben flotten Serie („flott“ würde man heute auch nicht mehr schreiben).

Gut gealterte Dialoge

Dass sie trotzdem ganz gut gealtert ist, liegt an den (vom Regisseur Ralf Huettner und von Dominic Raacke) geschriebenen Dialogen; an originellen Ideen wie Sabrinas – Verona Pooths beinahe zeitgleich auf Sendung gegangenes Format „Peep!“ verulkende – Erotiktalkshow mit der echten Uschi Obermeier als Gast, die erzählt, wie das damals so war im Bett mit Mick und Keith.

„Um die 50“: Montag, 20.15 Uhr, ZDF

Es liegt aber auch an Jürgen Tarrach in seiner ersten Filmrolle überhaupt. Der hat danach verdientermaßen die von allen Darstellern steilste Karriere hingelegt, zugleich Grimme-Preis-bewährte Charakterrollen gespielt wie die des ermordeten Volksschauspielers Walter Sedlmayr („Wambo“) und, sein komisches Talent darüber nicht vernachlässigend, lustigen Schabernack getrieben wie in (Ralf Huettners und Dominic Raackes) „Die Musterknaben“ (1 bis 3).

Ihn als überforderten Pizzabäcker Carlo Eier in den Pizzateig – die gehören da definitiv nicht rein – aufschlagen und dabei an einem Fläschchen Worcestershiresauce – als wär’s ein Bierchen – nuckeln zu lassen … Allein diese Szenen machen „Um die 30“ auch heute noch sehenswert.

Man hätte sich das übrigens noch einmal ansehen können, zumindest die ersten 90 Minuten, am Montag vor einer Woche, im ZDF, zu der recht absurden Sendezeit um 3:25 Uhr. Aber es ist ja nicht mehr das Jahr 1995, es gibt inzwischen die Mediatheken.

Auffälliger Altersunterschied

Und es gibt einen Grund, und der heißt: „Um die 50“. Ralf Huettner und sein Co-Autor Dominic Raacke haben Richard Link­laters zwischen 1995 und 2013 entstandene „Before …“-Trilogie gesehen. Linklater hat damit drei berückende Momentaufnahmen einer Paarbeziehung geschaffen, vom Kennenlernen bis zum scheinbaren Ende. Der Clou: Die Darsteller Ethan Hawke und Julie Delpy altern in Echtzeit, 18 lange Jahre.Die 26 Jahre zwischen „Um die 30“ und „… 50“ toppen das numerisch sogar.

Apropos Nummern: Der 1958 geborene Raacke war 1995 genau genommen schon mehr um die 40 als 30. Und heute ist er 62 und geht damit beim besten Willen nicht mehr als um die 50 durch. Dass einem das durch den Kopf geht und es so sehr auffällt, dass der Koffer, den Tina bei ihrer Ankunft aus Paris am Münchener Flughafen hinter sich herzieht, leer ist – Frank und Tina haben geheiratet, nie ein gemeinsames Kind bekommen und sind längst wieder geschieden und neu liiert –, liegt wahrscheinlich daran, dass die auf Spielfilmlänge eingedampfte und um Carolas Geburtstagsfeier herum arrangierte Fortsetzung leider auch sonst völlig unglaubwürdig und überhaupt nicht sehenswert ist.

Biederes Degeto-TV wie „Zimmer mit Stall“ hat Ralf Huettner, seine 15 Jahre als ARD-Beamter beim „Tatort“ haben Dominic Raacke offenbar den (Autoren-)Schneid abgekauft. Ihre Ideen sind lau, wenn nicht geklaut (wie die, den Sex mit der Ex vom Geschlecht der Person abhängig zu machen, die als nächste den Raum betritt).

„Ich wünschte nur manchmal, ich könnte die Uhr anhalten und die Zeit zurückdrehen“, sagt Tina zu Frank. Jeder 50-Jährige auf der ganzen Welt (und jeder „Um die 30“-Fan der ersten Stunde) denkt so. Ein Film müsste einen originelleren Ausdruck für dieses Gefühl finden. Jürgen Tarrach knetet den Pizzateig jetzt übrigens ohne Eier, wahrscheinlich weil die da definitiv nicht reingehören. Es sah aber so lustig aus.

Wir wünschen Huettner und Raacke trotzdem alles Gute für ihr nächstes gemeinsames Projekt: „Um die 70“. In ungefähr acht Jahren.

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