Yves Eigenrauch über Fußball: „Es sind krampfhafte Versuche“
In der Fifa wird über Regeländerungen nachgedacht. Ex-Bundesligaprofi Yves Eigenrauch hält das für Humbug. Der Fußball solle sich auf Werte besinnen.
taz: Herr Eigenrauch, die Fifa hat ein paar Ideen für ein neues Regelwerk ins Spiel gebracht, die den Fußball gehörig umkrempeln würden. Von Shoot-outs oder Zeitstrafen statt Gelben Karten ist die Rede. Wenn Sie die Möglichkeit hätten, den Fußball neu zu erfinden, was würden Sie tun?
Yves Eigenrauch: Ich würde gar nichts ändern wollen, weil der Fußball einfach okay ist. Man sollte nicht am Regelwerk herumfummeln. Und man sollte die Protagonisten nicht noch mehr in der Entfaltung ihrer Individualität einschränken.
Auch das Unentschieden soll vielleicht abgeschafft werden. Wäre das nicht wenigstens etwas für Sie als Fußballfan, weil ein 0:0 doch wirklich ein lahmes Ergebnis ist?
Die Möglichkeit eines 0:0 ist doch das Besondere am Fußball. Ich finde eher, dass ein Fußballspiel über 90 Minuten zu lang ist, weswegen ich gar nicht so gerne Fußball schaue und nur ganz selten sage: Wow, das ist jetzt aber ein super Spiel.
Würden Sie also gerne die Spielzeit verkürzen wollen?
Nein. Ich bin aber nicht der Maßstab. Der Maßstab ist, dass das Spiel, so wie es angelegt ist und sich über Jahrzehnte entwickelt hat, ganz offensichtlich gut ankommt.
Aber Sie sollen ja jetzt mal der Maßstab sein, rein theoretisch.
Ich will nicht der Maßstab sein. Ich orientiere mich daran, was bei der Bevölkerung gut ankommt, und ich glaube nach wie vor, dass der Fußball, so wie er ist, gut ankommt.
Aber irgendwas fällt Ihnen doch bestimmt ein. Das Regelwerk des Fußballs kann doch nicht perfekt sein?
Klar, man könnte dieses, man könnte jenes. Ich sehe nicht den Wert solcher Veränderungen. Auch wenn ich mich auf den Kopf stellen würde und wir bis morgen Früh weiter reden würden: Ich hätte nichts zu verändern.
Ist nicht das taktische Foul eine Plage? Dafür gibt es Gelb und der Spieler zuckt nicht einmal mit der Wimper. Eine Zeitstrafe würde mehr wehtun.
Wenn ein taktisches Foul heute zum guten Ton im Fußball gehört, dann ist das meiner Ansicht nach überzogen und moralisch nicht vertretbar. Fußball sollte ein fairer Sport mit fairen Mitteln sein. Aber diese Erkenntnis sollte nicht durch eine Regulation von außen kommen müssen, sondern von innen. Sprich: Auch wenn es ein wenig hochtrabend klingt, denke ich, dass die Werte, um die es im Fußball gehen sollte, wieder in den Vordergrund gerückt werden sollten und nicht neue Regeln.
Wer fünf Fouls in einem Spiel begeht, fliegt vom Platz, auch diese Idee wird diskutiert. Wären Sie, der Sie als fairer Spieler galten, in Ihrer aktiven Zeit nicht damit zufrieden gewesen?
Ich wäre unter solchen Voraussetzungen erst gar nicht aktiv geworden. Das wäre mir so vorgekommen, als würde ich nur noch der Persiflage von Fußball beiwohnen. Ich bin nicht im Kindergarten, ich bin im Leben, und auch als Spieler auf dem Platz bin ich im Leben, wo ich die entsprechende Verantwortung habe bei den Sachen, die ich tue, und das gilt auch für das Begehen von Fouls. Ich persönlich habe als aktiver Spieler ein eigenes Foulspiel immer als sportliche Schwäche betrachtet. Mir ging es darum, erfolgreich zu sein, aber mit korrekter Spielweise.
Auch wie Rudelbildungen zu verhindern sind, wird diskutiert. Man überlegt, dass deswegen nur noch die Kapitäne beider Teams das Recht haben sollten, mit dem Schiedsrichter zu diskutieren.
Rudelbildungen zu verhindern, liegt doch jetzt schon in der Verantwortlichkeit des Schiedsrichters. Wenn der sich diese gefallen lässt, dann ist das sein Problem. Wenn ihm etwas nicht passt: Rote Karte und runter vom Spielfeld. Dann gibt’s halt mal fünf Rote Karten, und man wird schon sehen, wie schnell es nicht mehr zu Rudelbildungen kommt.
Man möchte diese Rudelbildungen eben schon im Vorfeld unterbinden.
Aber das ist doch fürchterlich. Im Vorfeld alles unterbinden, im Vorfeld alles unter Kontrolle haben wollen, das finde ich nicht richtig. Das macht den Fußball nicht aus, sondern er zeichnet sich durch eine gewisse Unberechenbarkeit aus.
Begann 1977 bei BW Lerbeck mit dem Fußball. Spielte sich hoch bis zum FC Schalke 04, wo er "Kultstatus" erlangte und 1997 mit seinen Kollegen den Uefa-Pokal gewann. Nur Fußball zu spielen, war ihm immer zu wenig, weswegen er sich für Kunst, Fotografie oder Philosophie interessierte. Berüchtigt sind seine taz-Kolumnen "leben in funnyland", die er von 1999 bis 2002 für die Leibesübungen verfasste.
Gibt es denn irgendeine Regeländerung aus den letzten Jahren, bei der Sie sagen würden, sie habe den Fußball attraktiver gemacht?
Diese Regeländerungen haben alle ihre Vor- und Nachteile. Nehmen Sie den Rückpass. Als ich angefangen habe mit dem Fußball, war der Rückpass (in die Hände des Keepers) noch erlaubt. Der wurde dann abgeschafft, ohne dass sich wesentlich etwas geändert hätte. Die Intention war gut, man wollte das Spiel schneller machen. Aber nun kann man sich darüber streiten, ob das funktioniert hat. Die Torwarte waren früher auch technisch nicht so beschlagen wie die von heute. Somit können die technisch besseren Torwarte heute das Spiel genauso verzögern wie damals ein Spieler mit einem Rückpass. Das gleicht sich alles aus.
Was ist mit der Torkamera, die nun immerhin Fake-Tore verhindert und für mehr Gerechtigkeit sorgt?
Aber was soll das? Die gibt es, weil es ums Geld geht. Die gibt es nicht wegen des Spiels. Das Spiel besteht zum Großteil aus Fehlern. Tore fallen, mit wenigen Ausnahmen, nach Fehlern und nicht, weil ein Spieler etwas besonders toll gemacht hätte. Fehler sind die Grundanlage des Spiels. Dazu gehören auch die Fehleinschätzungen eines Referees. Man muss nicht immer alles optimieren. Das macht den Reiz des Spiels kaputt.
Ganz offensichtlich haben Sie tatsächlich nichts zu verbessern am Fußball.
Mir scheint es, als würde sich da jemand ohne Not Gedanken machen. Da wird krampfhaft versucht, einfache Dinge durch ein paar Ideen zu verkomplizieren. Auf die Fifa und Marco van Basten gemünzt, der seine Ideen zur Diskussion gestellt hat: Der will nur progressiv wirken, nach vorne gerichtet. Er will demonstrieren: Wir stehen nicht still, wir haben ständig Ideen, wie wir den Sport besser oder attraktiver machen können. Dabei ist nicht alles, was neu ist, auch gut.
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