Wutbürger in Bremen: Ein Rauswurf zur Image-Pflege
Vor der Fusion von Bürgern in Wut und Bündnis Deutschland soll ein Gewählter sein Mandat abgeben. Er soll Hilfe von Rechtsextremen erhalten haben.
„Bei einer internen Analyse unseres Wahlkampfes kam heraus, dass Sven Lichtenfeld wissentlich Unterstützung von Personen aus dem rechtsextremen Milieu erhalten hat, um die Zahl seiner Personenstimmen zu erhöhen“, verkündet Jan Timke nun. Er sitzt seit 2008 in der Bürgerschaft, hat die BiW mitgegründet. Lichtenfeld habe die Vorwürfe am Wochenende „auf Nachfrage eingeräumt“. Timke fordert ihn auf, sein Mandat nicht anzunehmen.
Dass Lichtenfeld solche Unterstützung erhalten hat, dürfte Timke jedoch gar nicht so sehr überraschen oder „enttäuschen“, wie er es formuliert: Vor gerade mal zwei Jahren hatte die BiW-Fraktion in Bremerhaven um Timke Lichtenfeld aufgenommen – nachdem er aus der AfD ausgetreten war. Die Seite AfD-Watch Bremen schreibt, dass er „beste Kontakte zu Akteuren der Identitären Bewegung“ haben soll.
Seit der Gründung 2004 bemüht sich Timke darum, dass die Wutbürger in der Öffentlichkeit nicht als rechtsextrem wahrgenommen werden. Der Trick: Immer auf andere Rechtsextreme zeigen. Der Preis, einen Mandatsträger zu verlieren, scheint den BiW – gerade auf Fusionskurs mit Bündnis Deutschland – nicht zu hoch. Die AfD, aus der neben Lichtenfeld auch der Bremer BiW-Spitzenkandidat Piet Leidreiter sowie die Kandidaten Sven Schellenberg und Ulf Nummensen kommen, wird dabei schon mal als zu rechts kritisiert.
Fusion könnte noch diese Woche passieren
Die Kleinpartei Bündnis Deutschland ist eine junge Partei, die einen „politischen Hohlraum“ entdeckt haben will, irgendwo zwischen CDU und AfD. So beschreibt es Niklas Stadelmann, Generalsekretär von BD, bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit BiW nach der Wahl in der vergangenen Woche. Die rund 1.000 Mitglieder von Bündnis Deutschland haben inzwischen für eine Fusion mit BiW gestimmt. Die Entscheidung der BiW soll noch in der laufenden Woche verkündet werden. Stimmen die rund 180 Mitglieder zu, ist die Verschmelzung vollzogen.
„Die AfD ist aufgrund ihrer Inhalte unwählbar“, sagte Stadelmann bei der Veranstaltung. Timke bezeichnete die AfD als „nicht koalitionsfähig“, ihre Wahl forciere zudem „linke Mehrheiten“. Inhaltlich distanzierte er sich nicht klar. Das versuchte Leidreiter, der wohl mit Timke um den Fraktionsvorsitz buhlen wird: „Ich bin 2015 aus Überzeugungsgründen aus der AfD ausgetreten.“
Der Rauswurf Lichtenfelds ist nicht die erste Personalentscheidung der BiW rund um die Wahl: Drei Tage vor dem Wahltag hatten die BiW auf einen Bericht der taz reagiert. Auf Listenplatz 18 kandidierte Heiko Werner – der Mann aus Bremen-Vegesack mit dem markanten Kinnbart hat eine neonazistische Vergangenheit. 2001 tauchte sein Name im Zusammenhang mit polizeilichen Ermittlungen gegen die Rechtsrock-Szene in Ostfriesland auf.
2018 nahm Werner an einem Solidaritätsmarsch der gewaltbereiten Neonazi-Szene für die inhaftierte Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck in Bielefeld teil. Im selben Jahr beteiligte er sich am sogenannten Tag der deutschen Zukunft von NPD und militanter Kameradschafts-Szene in Goslar. Die BiW verkündeten schnell, dass sie diesen Hintergrund nicht gekannt hätten und den Rauswurf anstrebten.
Zu André Minne, auf dem Bremer Listenplatz drei, haben sich die BiW bisher nicht verhalten. Auf seine rechtsextremen Verbindungen wies die taz ebenfalls hin. Er pflegte bisher eher außerparlamentarisch Kontakte zu Gleichgesinnten, die sich in Bremer Initiativen gegen Geflüchtete und Asyl engagierten – darunter sind auch Rocker- und Rotlichtgrößen. Mindestens via Facebook ist Minne mit Stefan Ahrlich befreundet. Dieser gilt an der Weser seit Jahren als eine Größe im Milieu zwischen Hells Angels-Rockern und rechtsextremen Standarte-Hooligans.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott