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Wrestling als WiderstandDie Umdeutung seines Körpers

Marie Losiers kluges Film-Porträt eines berühmten, mexikanischen und schwulen Wrestlers „Cassandro the Exotico!“ wird bei MUBI gezeigt.

Armendáriz alias Cassandro und seine Regisseurin. Foto: MUBI

Maske gegen Haare! Auf MUBI rückt „Cassandro the Exotico!“ ganz nah an den berühmtesten schwulen Wrestler der mexikanischen Sportgeschichte und zeigt, was für Menschen auf dem Spiel steht, wenn sie sich beim Lucha Libre im Ring treffen. In einigen Kämpfen treten dort Maskierte gegen Unmaskierte an: Wer verliert, muss sich den Kopf rasieren oder seine Identität enthüllen.

Cassandro heißt eigentlich Saúl Armendáriz und zog im Ring nur selten den Kürzeren. Seine großen Kämpfe trug er indes mit sich selbst aus. Ein filmisches Experiment über das Verhältnis von Popkultur und Tragik.

Regisseurin Marie Losier filmt seit Jahren Menschen, die sich in ihrer Körperlichkeit und in ihren Überzeugungen gegen das Normative auflehnen. So drehte sie mit Peaches und Alan Vega, konzentrierte sich für ihren ersten langen Dokumentarfilm auf die queeren Ikonen Genesis Breyer P-Orridge und Lady Jaye. Was gleich auffällt: Ihre Dokumentarfilme sind keine faktischen Abhandlungen, sondern flüssige Annäherungen, die als Porträts ebenso funktionieren wie als künstlerische Stellungnahmen.

Das Spielerische herauskitzeln

In „Cassandro the Exotico!“ vermischt sie entsprechend die Ebenen: Da sind sensationelle Aufnahmen von Armendáriz alias Cassandro, entfesselt im Ring. Da sind Gespräche hinter den Kulissen, Formen der Selbstinszenierung. Doch da ist auch ein gemeinsames Inszenieren: Armendáriz wandelt im Bühnenoutfit durch Landschaften. Wenn Losier ihm bei einem Zusammenbruch Trost spendet, verhandelt sie ihre Autorinnenschaft.

Der Film

„Cassandro, The Exotico!“. Regie: Marie Losier, Frankreich 2018, 73 Min. Ab 18. 5. unter www.mubi.com

Andere Szenen schaffen regelrechte Bewusstseinsströme, wenn sich Bilder beschleunigen und die übrigens analoge Kamera zum Freistil übergeht. Dauernd ist das Bild unscharf. Eine Zeitlupe zeigt Kinder im Ring, die in der Zukunft einmal kämpfen wollen. Ein Herumtollen, das auch die erwachsenen Körper wieder spielerisch werden lässt.

Der Film hat eine Art Refrain: Immer wieder schlagen Körper auf dem Ringboden auf. Mehrfach setzt der Ton aus, wird asynchron. Erstmals, als es um den zunehmenden Kollaps von Armendáriz’ Körper geht: „Ich will nicht im Rollstuhl landen wie mein Trainer.“

Kaum könnte sich eine Sportart besser für einen so freien Film eignen als Wrestling, wo Kunst und Performance verschwimmen und Identitäten sich im ständigen Wandel befinden. Während unter dem Label der Exoticós seit den 40er Jahren zahlreiche heterosexuelle Performer in Drag auftraten, auch um sich über Homosexualität lustig zu machen, politisiert Armendáriz seine Rolle und seine Persona. Wenn er seine sonst wallenden Haare abschneiden muss, verliert er ein Werkzeug der Umdeutung seines Körpers, den er normativ-männlichen Lesarten entziehen will. Sich gegen das Machogetue in der Szene durchzusetzen, ist für ihn eine Prinzipienfrage.

Weil für ihn mehr auf dem Spiel steht als für viele Widersacher, sind seine Wunden andere. Einen Selbstmordversuch spart Losier aus, dafür geht Armendáriz selbst auf Drogenexzesse und Alkoholismus ein. Einmal kochen seine alten Dämonen hoch, die Regisseurin soll die Kamera aus seinem Gesicht nehmen. „Ich habe nichts gesehen“, meint sie kurz darauf. Weil sie sich eingesteht, dass sie diesen Mann und seine Geschichte nicht kennt und sich durch ihren Film nicht einfach alles verändert. Was zentral wird, ist eine kreative Haltung zur Gegenwart: Eine Branche wandelt sich, eine Karriere endet, das Leben geht weiter.

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