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Wohnungsnot in BerlinVermieten und verleiden

In überhitzten Wohnungsmärkten versuchen Vermieter oft, ihre Mieter mit Schikane loszuwerden. Was das bedeutet, zeigt ein Fall aus Berlin-Friedrichshain.

Für viele Mieter wird es eng auf dem Wohnungsmarkt: Blick auf Berlin-Friedrichshain Foto: Marius Schwarz/imago

Berlin taz | Die Bodenfliesen im Bad sind herausgerissen, die Badewanne liegt gekippt auf dem rauen Beton – und das seit fast vier Monaten. So lange schon können Simone Wirz, die eigentlich anders heißt und hier anonym bleiben möchte, und ihre zwei erwachsenen Söhne in ihrer eigenen Wohnung weder duschen noch baden. Wer auf die Toilette muss, friert, denn auch die Heizung wurde abgebaut. Der Grund: schwarzer Schimmel und Wasserschäden in den Wohnungen darüber und darunter.

Die kleine Familie wohnt in Friedrichshain-Kreuzberg, nicht weit vom Ostkreuz entfernt. Hier schreitet die Gentrifizierung ungebremst voran, bei Neuvermietungen verlangen Ver­mie­te­r:in­nen laut dem Berliner Mieterverein oft kräftige Zuschläge. Die Mietpreise steigen und steigen, der Abstand zur ortsüblichen Vergleichsmiete wird immer größer. Langjährige Mie­te­r:in­nen loszuwerden, kann also ein lukratives Geschäft sein.

Was dies für An­woh­ne­r:in­nen bedeutet, die schon länger in der gleichen Wohnung leben, weiß Wirz nur zu gut. Ihre Miete wurde kürzlich um knapp hundert Euro erhöht. Mehr noch leidet sie aber unter der Schikane der Verwaltung Schön & Sever, die laut eigenen Angaben 6.000 Wohnungen bundesweit betreut.

Große psychische Belastung

„Ich musste hart kämpfen, damit die Verwaltung überhaupt etwas gegen den Schimmel unternimmt“, sagt die 51-Jährige, die hier schon über zwölf Jahre wohnt und Bürgergeld bezieht. Sie habe etliche Briefe geschrieben, die meist unbeantwortet blieben. Erst als Wirz weniger Miete bezahlte, um Druck zu machen, kam Bewegung in die Sache: Die Verwaltung schickte Hand­wer­ke­r:in­nen zur Begutachtung vorbei. Doch nicht nur eine Person.

Laut Wirz machten mehrere Handwerker:innen, sie schätzt insgesamt zehn, Termine bei ihr aus und inspizierten über Wochen hinweg ihr Badezimmer. Parallel forderte Schön & Sever, die sich auf ihrer Website als „Verwaltung mit Herz“ bezeichnet, die Mietminderung zurück und drohte mit rechtlichen Schritten – das entsprechende Schreiben liegt der taz vor.

Aus Angst, ihre Wohnung zu verlieren, zahlte Wirz, die an Depressionen leidet. „Der psychische Druck ist mir zu groß geworden“, sagt sie. Danach war erneut Warten angesagt. Der Vermieter müsse die Kostenvoranschläge prüfen und dafür würde sich dieser Zeit nehmen, begründete die Verwaltung gegenüber Wirz. Um wen es sich dabei genau handelt, ist nicht bekannt.

Auf dem Mietvertrag ist als Eigentümerin lediglich die GmbH „Projekt Ahorn“ angegeben. Recherchen der taz zeigen, dass diese GmbH Teil eines undurchsichtigen Firmengeflechts ist, das mit der „Blue Rock Group“ mit Hauptsitz in der Schweiz verwandt ist. Dieser Konzern investiert laut Webseite gezielt in den Immobilienmarkt Berlins und betreibt Niederlassungen in Zürich, Berlin, Gibraltar, Luxemburg und Manchester.

Verwaltung antwortet nicht mehr

Die Sanierungsarbeiten im Badezimmer von Simone Wirz begannen schließlich Ende vergangenen Jahres. Die Hand­wer­ke­r:in­nen nahmen die Heizung ab, rissen Fliesen und Badewanne heraus und stellten wochenlang Trocknungsgeräte auf. Eine alternative Duschmöglichkeit wurde der Familie nicht gestellt. Im Februar wurden die Geräte wieder entfernt, doch die Baustelle blieb. Zum weiteren Vorgehen machte die Verwaltung keine Angaben. Auf Fragen reagierte sie nicht, und wenn doch, dann nur mit Vertröstungen.

Dieses Vorgehen ist der Geschäftsführerin vom Berliner Mieterverein, Dr. Ulrike Hamann-Onnertz, bekannt: „Es ist naheliegend, dass hinter diesem Verhalten die Absicht steht, die Mietenden loszuwerden.“ Aufgrund der hohen Nachfrage, besonders in Friedrichshain-Kreuzberg, sei der Anreiz, eine Wohnung neu zu vermieten, extrem groß geworden. Diese Vermutung stützt auch, dass andere Haus­be­woh­ne­r:in­nen ebenfalls über gestiegene Nebenkosten, Mängel in den Wohnungen und unbeantwortete Anfragen an die Verwaltung klagen. „Jeder hier hat Angst, seine Wohnung zu verlieren“, sagt Wirz.

Die taz konfrontierte Schön & Sever mit den Vorwürfen. Am Telefon wiederholte die zuständige Sachbearbeiterin den Satz: „Mir liegen keine Informationen vor“ und bat darum, sich per Mail zu melden. Doch auch auf schriftlich gestellte Fragen folgten keine Antworten. Die Hausverwaltung ist der privaten Mieterberatung Asum bekannt. Laut Julian Wickert, Teamleiter bei Asum, verwaltet Schön & Sever unter anderem Objekte des umstrittenen Bauunternehmers Ioannis Moraitis, der bereits mit halbfertigen Bauprojekten und aggressiven Geschäftspraktiken Schlagzeilen machte.

Weil bezahlbarer Wohnraum fehlt, ist ein Wohnungs­verlust heute viel einschneidender

Julian Wickert, Teamleiter bei der Mieterberatung Asum

Zur Praxis der Entmietung sagt Wickert, dass es solche Fälle zwar schon seit vielen Jahren gebe, doch seien die Auswirkungen auf Mie­te­r:in­nen heute deutlich gravierender, besonders in Städten mit angespannten Wohnungsmärkten. „Weil bezahlbarer Wohnraum fehlt, ist ein Wohnungsverlust heute viel einschneidender“, so Wickert. Deshalb seien viele Mie­te­r:in­nen heute auch eher bereit, Schikane zu ertragen.

So auch Wirz: Sie erzählt, dass sie bereits seit rund drei Jahren an Mängeln in der Wohnung leidet, im Winter unter Eisblumen aufgrund von alten Fenstern, die mittlerweile ersetzt wurden, und im Sommer an Schimmel. Vor drei Jahren, das war 2022, wurde das Haus verkauft, Schön & Sever übernahm die Verwaltung. Inzwischen wehrt sich Wirz mit Hilfe eines Anwalts. Dieser hat bereits vor rund zwei Monaten ein Schreiben aufgesetzt, in dem er unverzüglich Zugang zu sanitären Anlagen fordert. Weil darauf sowie auf ein zweites Schreiben im April in der gesetzten Frist keine Antwort kam, beantragte der Anwalt beim zuständigen Amtsgericht den Erlass einer einstweiligen Verfügung auf „sofortige Wiederherstellung der Bade- und Duschmöglichkeiten“.

„Koalitionsvertrag ist Zeugnis der Willenlosigkeit“

Friedrichshain-Kreuzbergs Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) sieht in diesem Fall auch ein politisches Versagen. Auf Landesebene fehle ein Wohnungswirtschaftsgesetz, um Aktivitäten von Ver­mie­te­r:in­nen systematisch zu erfassen und Verstöße effektiver ahnden zu können. Zudem fordert Schmidt, dass das Vorkaufsrecht des Landes konsequenter genutzt wird, doch es mangele am politischen Willen.

Auch der Bund müsse handeln: „Der Koalitionsvertrag ist leider ein Zeugnis der Willenlosigkeit von SPD und Union“, sagt Schmidt. So werde etwa die Kappungsgrenze nicht gesenkt, die begrenzt, wie stark Vermieter die Miete innerhalb eines bestimmten Zeitraums erhöhen dürfen. Schmidts Fazit: „Gerade in Großstädten werden die Mieten weiter stark steigen.“

Ähnlich sieht Caren Lay, Bundestagsabgeordnete der Linken und wohnungspolitische Sprecherin der Partei, im neuen Koalitionsvertrag lediglich „Leerstellen und Luftblasen“, wenn es um wirksame Maßnahmen gegen Entmietung geht. Sie fordert, das gesetzliche Instrument der Mietminderung als Druckmittel auszuweiten – derzeit kann ein zu hoher Mietrückstand noch immer zur Kündigung führen. Außerdem spricht sich Lay dafür aus, den Kündigungsschutz bundesweit zu stärken und die kommunalen Wohnungsaufsichten rechtlich, personell und finanziell besser auszustatten.

Zumindest politisch ist für Simone Wirz mittelfristig also keine Besserung in Sicht. Wie die Verwaltung auf die Klage des Anwalts reagiert, wird sich zeigen. Bis dahin wird sie weiterhin auf eine Dusche in den eigenen vier Wänden verzichten müssen. Selbst die Bitte, das Bad einer leerstehenden Wohnung im Haus benutzen zu dürfen, lehnte die Verwaltung ohne Begründung ab. Immerhin kann sie auf den Rückhalt in der Nachbarschaft zählen. In den vergangenen drei Monaten durften sie und ihre Söhne bei anderen Haus­bewoh­ne­r:in­nen duschen.

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9 Kommentare

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  • "Ihre Miete wurde kürzlich um knapp hundert Euro erhöht"



    Ohne eine Angabe zur Wohnungsgröße und der Vorher oder Nachhermiete ist diese Information gehaltlos, weil nicht einzuordnen 🤷‍♂️



    ---



    "der Abstand zur ortsüblichen Vergleichsmiete wird immer größer"



    Die ortsübliche Vergleichsmiete wird aber auch massiv durch Altverträge verfälscht. Gerade in Fhain und Kreuzberg sitzen noch viele Mieter auf Uraltverträgen, die drücken massiv die Statistik nach unten, haben aber mit der Realität nichts mehr zu tun.



    Eine Neuvermietung in diesen Stadtteilen ist mit 10 bis 15 Euro der qm realistisch, Erstbezug nach Sanierung oder Neubau geht Richtung 20-25 Euro.



    Das ist auch völlig in Ordnung gemessen an den explodierten Bau- und Erhaltungskosten resultierend aus Facharbeitermangel, Inflation, nach wie vor gestörten Lieferketten und komplett uferlosen Bauvorschriften die nicht zuletzt auch aus teils aberwitzigen Umweltauflagen herrühren.



    Billig und CO2 neutral wohnen geht nicht - es geht nur entweder oder 🤷‍♂️



    Fragt mal Hausbesitzer was so ein energetischer Umbau oder Neubau kostet...



    Wer grün sein will muss blechen - das gehört zur Wahrheit 💚

  • Weil darauf sowie auf ein zweites Schreiben im April in der gesetzten Frist keine Antwort kam, beantragte der Anwalt beim zuständigen Amtsgericht den Erlass einer einstweiligen Verfügung auf „sofortige Widerherstellung der Bade- und Duschmöglichkeiten“.

    Dann müsste ja schnell etwas herauskommen - sofern nicht vom Gericht abgelehnt wird, da eine Vorwegnahme der Hauptsache droht..

  • Es gibt noch krassere Fälle, wo auch persönliche Übergriffe eine Rolle spielen.



    Da helfen Anzeigen und Mietminderung. In Berlin benötit man den Mieterverein und holt sich dann anwaltliche Beratung um die größte Mietminderung durchzusetzen.



    Im beschriebenen Fall sollte man auf keinen Fall mehr als 50% der Miete bezahlen! Dafür wird man auch nicht rausgeworfen, sondern spart einfach das Geld und hat es für sich oder seine Kinder. Wenn die Wohnungsverwaltung dumm genug ist dann prozessieren sie, aber das wird ein Mieter in so einem Fall glücklich überstehen und gewinnen.

    • @realnessuno:

      In der Sache richtig. In eigenen Angelegenheiten ist man aber nicht ganz so abgeklärt und ruhig. Wenn dann die außerordentliche Kündigung im Briefkasten ist - gegen die man vor Gericht wahrscheinlich gewinnt - schläft man trotzdem Monate lang schlecht. Die wenigsten Menschen stehen Gerichtsverfahren entspannt gegenüber.

  • In klassischen Mietshäusern, also ganzen Häusern oder Häuserblocks in einer Hand, ist das so. Bei einer Eigentumswohnung -- 80 % der Berliner Eigentumswohnungen sind vermietet, sind also Mietwohnungen (Quelle: Taz) -- erlebt man das so nicht. Wer eine, zwei oder drei Wohnungen als Altersrücklage besitzt und vermietet, verhält sich anders. Wer also das beste für Mieter will, der sollte die Bildung von Wohnungseigentum fördern -- nicht mit Steuergeld, also Umverteilung von unten nach oben wie alle "Zuschüsse" und "Förderungen", sondern mit passenden Rahmenbedingungen.

  • Ich bin selber Vermieter. Aber solche Konzerne sollten wir "einfach" enteignen! "Eigentum verpflichtet" sage ich nur.

  • Ich frag mich gerade, ob es in der Täteretää auch so einen Wohnungsmangel gab.

    Marode Gebäude, marode Strassen, marode Bahnstrecken haben wir ja von "drüben" schon gelernt und umgesetzt.

    Also warum nicht mal was Postitives übernehmen ?



    Wie die Wohnungswirtschaft und z.B. die Kindergärten bzw. -horte und -krippen ?

    Aber Mangel ist ja immanenter Teil des Kapitalismus (nur mit knappen Gütern läßt sich Geld verdienen - an Gütern die ausreichend oder gar im Überfluss vorhanden sind lässt sich nichts verdienen.

    Und wo wir grad' dabei sind: Fehlende Rendite kann nicht die Ursache für den kaputten Wohnungsmarkt sein denn verdienen läßt sich da ja genug.

    • @Bolzkopf:

      "Fehlende Rendite kann nicht die Ursache für den kaputten Wohnungsmarkt sein denn verdienen läßt sich da ja genug"



      Wenn sie nicht gerade Wohnungen in Stadtlagen vermieten stimmt das nicht.



      Wir haben beispielsweise ein altes Elternhaus saniert das wir aktuell (noch) nicht brauchen.



      Alles picobello gemacht, gedämmt (vorgehängte hinterlüftete Schieferfassade), Fußbodenheizung und Wärmepumpe rein, PV aufs Dach, Garten ist auch bei, Schuppen, drei Garagen.



      Wir wollten es unbefristet vermieten, aber selbst 12€ den qm wollte keiner zahlen, trotz quasi gratis Strom und Heizung und 930qm Garten inklusive🤷‍♂️



      Anbindung ist top, Erfurt ist 30 Minuten mit dem Auto entfernt, die Autobahn 8 km...



      Für weniger wollen wir es echt nicht 'abwohnen' lassen, das steht in keinem Verhältnis zu den geleisteten Investitionen - ginge es danach müssten wir 25€ den qm ansetzen🤷‍♂️



      Nun nutzen wir es halt familiär als "Gartenhaus".

      • @Farang:

        Ich sag ja: "nur mit knappen Gütern läßt sich Geld verdienen "