Wohnungsnot in Berlin: Schlechtes Tauschgeschäft
Die einen haben zu viel Platz, andere zu wenig: Per Wohnungstausch könnte Wohnraum gerecht verteilt werden. Doch der Wechsel gelingt nur selten.
Wie Klimmeck hoffen immer mehr Menschen mit einem Wohnungstausch die Tücken des Berliner Wohnungsmarktes umgehen zu können – doch nur selten gelingt der Wechsel. Gründe, in eine kleinere Wohnung zu ziehen, gibt es viele. Etwa wenn Menschen nach dem Auszug ihrer Kinder ihre Wohnung zu groß geworden ist oder wenn sich Partner:innen oder eine WG trennen.
Jürgen Klimmeck, Mieter
Doch Klimmeck machte schnell die Erfahrung, dass es auf dem freien Markt kaum attraktive Angebote für seine Mutter gibt: „Die Preise waren mindestens genauso hoch wie bei der alten Wohnung. Und das bei halber Größe.“
Der hohe Unterschied zwischen Angebots- und Bestandsmieten führt dazu, dass viele Menschen lieber in ihrer unpassenden, aber wenigstens noch bezahlbaren Wohnung bleiben, als die horrenden Quadratmeterpreise eines neuen Mietvertrags zu bezahlen. Als Folge des als „Lock-in-Effekt“ bekannten Phänomens bleiben Tausende Quadratmeter wertvoller Wohnraum ungenutzt, während junge Familien in beengten Verhältnissen keine größere Wohnung finden.
Auf guten Willen der Vermieter:innen angewiesen
Darüber, wie groß die Potenziale in Berlin sind, gibt es keine Daten. Eine Kurzstudie des Deutschen Instituts für Wirtschaft geht davon aus, dass 6 Prozent der Wohnungen in deutschen Großstädten deutlich über oder unterbelegt sind.
„Der Wohnungstausch könnte in der Theorie dazu führen, dass Haushalte, die von einem etwaigen Lock-in-Effekt betroffen sind, tatsächlich Wohnungen finden, die ihrem Bedarf entsprechen und die aufgrund von bestehenden Mietverträgen erschwinglicher sind als Neuvertragsmieten“, erklärt Niklas Gohl, Wirtschaftswissenschaftler an der Uni Potsdam.
Doch Anspruch auf einen Wohnungstausch haben Mieter:innen bislang nicht. Wer auf Kleinanzeigen.de, Immoscout oder spezialisierten Wohnungstauschportalen wie tauschwohnung.com eine Wohnung zum Tausch anbietet, ist auf den guten Willen der Vermieter:innen beider Tauschpartner angewiesen.
In den meisten Fällen bedeutet dies einen saftigen Aufschlag. „Letztendlich ist der Wohnungstausch ein Mieterwechsel mit Abschluss eines neuen Mietvertrages“, sagt Wibke Werner von Berliner Mieterverein. Anfragen zu Wohnungstauschen bekomme sie viele, erfolgreich seien die wenigsten.
Mieterhöhung bei Tausch häufiges Hindernis
Auch Klimmecks Wohnungstauscherfahrung verlief ähnlich. Zwar stimmte seine Vermieterin zu, die Miete nicht merklich zu erhöhen, jedoch war es schwierig, eine geeignete Tauschpartner:in zu finden. Fast hätte er eine geeignete Zweizimmerwohnung in Lichtenberg gefunden, doch die Hausverwaltung der Tauschpartner:in stellte sich im letzten Moment quer und verlangte eine Mieterhöhung um 30 Prozent. „Das hätte meine Mutter nicht stemmen können“, berichtet Klimmeck. Also musste er wieder absagen. „Für uns war das ein Riesenrückschlag.“
Angesichts stockender Neubauzahlen gerät das Instrument des Wohnungstauschs zunehmend in den Fokus der Politik. Die Idee ist, die schlummernden Potenziale im Bestand zu nutzen und somit den Wohnungsmarkt zu entlasten. „Wohnungstausch ist ein wichtiges Instrument, um bestehenden Wohnraum bezahlbar und gerecht zu verteilen“, sagt Katrin Schmidberger, wohnungspolitische Sprecherin der Grünen.
Bereits 2019 gründeten die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften ein eigenes Portal, auf dem Wohnungstausch ohne Mieterhöhung möglich ist. Doch nach vier Jahren ist auch hier die Bilanz eher ernüchternd: Von insgesamt 17.000 eingestellten Inseraten konnten lediglich 650 Wohnungstausche erfolgreich abgeschlossen werden.
Angebot und Nachfrage oft nicht passend
Die Gründe für den eher mäßigen Erfolg des Portals seien vielfältig, erklärt David Eberhard vom Verband der Berlin-Brandenburgischen Wohnungsunternehmen (BBU). Ein wesentlicher Faktor sei, dass deutlich mehr Haushalte eine größere Wohnung suchten als umgekehrt: „Auf einen Haushalt, der sich verkleinern will, kommen fünf, die sich vergrößern wollen.“ Auch seien gerade ältere Menschen seltener bereit, ihr vertrautes Umfeld zu verlassen, und würden eher in betreutes Wohnen oder in ein Heim ziehen, wenn es nicht mehr anders ginge.
Katrin Schmidberger kritisiert hingegen, dass auch das Tauschportal der Landeseigenen nur halbherzig umgesetzt ist: „Ein Onlineportal ist gerade für ältere Menschen nicht niedrigschwellig“, sagt die Grünen-Politikerin. Stattdessen brauche es vielmehr persönliche Ansprachen und Anreize wie Umzugshilfen und -prämien. Auch seien ihr einige Fälle bekannt, bei denen die Landeseigenen den Wohnungstausch weiterhin verwehrt hätten. Letztendlich seien auch die Landeseigenen profitorientierte Unternehmen, die von Neuvermietungsaufschlägen profitierten.
Ein weiteres Problem liegt in dem Grundkonzept des Tauschs: Lage, Preis, Größe, Ausstattung – in den wenigsten Fällen sind all diese Faktoren für beide Partner:innen perfekt. Klimmeck berichtet, dass er in sechs Monaten Suche lediglich fünf ernsthafte Angebote bekommen habe. Jedes Mal sei ein Detail nicht passend gewesen – so sagte eine Interessentin ab, weil sie vier statt dreieinhalb Zimmer benötigte, ein anderer, weil er die Wohnung nicht allein renovieren konnte.
Kein Recht auf Tausch
Damit Wohnungstausch funktionieren kann, müsste also der Bestand potenzieller Wohnungen deutlich vergrößert werden. Das gelingt nur, wenn auch die Wohnungen privater Vermieter:innen in das Angebot mit aufgenommen werden. Doch ein „Tauschrecht“, wie es etwa in Österreich bereits existiert, müsste auf Bundesebene eingeführt werden. Und eine solche Regelung steht bislang nicht auf der Agenda der Ampelkoalition.
Stattdessen hofft der Senat weiterhin auf den guten Willen der privaten Immobilienriesen. So sieht Giffeys Wohnungsbündnis ein Modellprojekt auf Kiezebene vor, bei dem die Privaten mit einbezogen werden. Passiert ist allerdings noch nichts, das Vorhaben werde derzeit „geprüft“, so ein Sprecher der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zur taz.
Letztendlich ist ein funktionierendes Wohnungstauschportal nicht die einzige Möglichkeit, dem Lock-in-Effekt zu begegnen. Da die Ursache vor allem im krassen Unterschied zwischen Angebots- und Bestandsmieten liegt, wäre die Senkung der Angebotsmieten das effektivste Mittel. „Wenn der Mietendeckel über mehrere Jahre Bestand gehabt hätte, hätten wir vermutlich ähnliche Effekte gehabt“, mutmaßt Schmidberger.
Für Jürgen Klimmeck nahm die Wohnungssuche doch noch ein glückliches Ende. Eine Interessentin, die mittlerweile etwas anderes gefunden hatte, erinnerte sich an ihn und schlug seine Mutter als Nachmieterin vor. Probleme, selbst eine:n Nachmieter:in zu finden, hatte Klimmeck keine – innerhalb weniger Stunden meldeten sich 800 Interessent:innen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“