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Wohnungslose in Deutschland178.000 Menschen in Notunterkünften

Erstmals gibt es bundesweite Zahlen zu Wohnungslosigkeit. Doch noch hat die Statistik Lücken, etwa weil sie Menschen auf der Straße nicht erfasst.

Fast zwei Drittel der Menschen in Notunterkünften sind Männer Foto: Christoph Hardt/imago

Berlin taz | Rund 178.000 Menschen in Deutschland sind wohnungslos und leben in Notunterkünften. Das geht aus einer Erhebung des Statistischen Bundesamtes hervor, Stichtag für die Zählung war im Januar 2022. Es ist das erste Mal, dass zumindest ein Teil der Wohnungslosigkeit bundesweit erfasst wurde, bisher lagen nur Zahlen für einzelne Bundesländer vor. Weil viele Betroffene aber die Notunterkünfte scheuen und auf der Straße oder bei Bekannten und Familie leben, ist die Aussagekraft der neuen Statistik nur begrenzt.

Den Zahlen nach sind fast zwei Drittel der Menschen in den Notunterkünften Männer, Frauen machen 37 Prozent aus, für rund 1 Prozent der Be­woh­ne­r:in­nen wird das Geschlecht als „unbekannt“ angegeben. Über 40 Prozent der Be­woh­ne­r:in­nen sind alleinstehend, viele leben in Paarbeziehungen, fast die Hälfte hat Kinder.

Das Durchschnittsalter in den Unterkünften liegt bei 32 Jahren. Die deutsche Staatsangehörigkeit haben rund 30 Prozent, die übrigen Be­woh­ne­r:in­nen sind entweder Bür­ge­r:in­nen anderer Staaten oder staatenlos oder haben eine ungeklärte Staatsangehörigkeit.

Aufgeschlüsselt nach Bundesländern zeigt sich, dass in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg die meisten Menschen in Notunterkünften untergebracht waren: gezählt wurden dort jeweils rund 36.000 Personen. In Berlin waren es rund 22.000. Am niedrigsten waren die Zahlen in Sachsen-Anhalt (365 Personen), Mecklenburg-Vorpommern (405 Personen) und Bremen (790 Personen).

„Ein Bild mit Lücken“

Sozialminister Hubertus Heil (SPD) sagte am Donnerstag: „Wohnungslosigkeit hat viele Gesichter und ist nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen.“ Mit den neuen Zahlen schärfe man den „Blick des Sozialstaats auf das Thema Wohnungslosigkeit.“

„Es ist gut, dass erstmals flächendeckend belastbare Zahlen vorliegen zu Menschen, die ohne Wohnung leben“, sagt Verena Göppert, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Städtetages. Bisher liefere die Statistik aber „ein Bild mit Lücken“. Die müssten nun „durch geeignete Verfahren“ gefüllt werden.

Auch die Geschäftsführerin der ­Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW), Werena Rosenke, spricht von einem „Teilbild“. Nicht nur seien Obdachlose außerhalb der Unterkünfte nicht mitgezählt worden, auch andere Fragen seien offen: Etwa die, ob tatsächlich alle Träger von Unterkünften auch Zahlen übermittelt hätten. Unklar sei auch, inwieweit Flüchtlinge in Sammelunterkünften für die Statistik mitgezählt worden seien. Ob anerkannte Flüchtlinge als Wohnungslose gelten, unterscheide sich etwa von Kommune zu Kommune. Die BAGW schätzte die Jahresgesamtzahl der Wohnungslosen in Deutschland 2020 auf 256.000 Personen.

Tatsächlich plant das Statistische Bundesamt weitere Untersuchungen, die die neuen Zahlen flankieren sollen. Im Herbst dieses Jahres will das Bundesministerium für Arbeit und Soziales den ersten Wohnungslosenbericht vorstellen. Ziel sei es, „ein umfassendes Bild über die Struktur von Wohnungslosigkeit hinsichtlich soziodemografischer Merkmale (Alter, Geschlecht, Nationalität) und Dauer der Wohnungslosigkeit“ zu erstellen. Auf dieser Basis soll zusammen mit dem Bauministerium unter Klara Geywitz (SPD) dann ein Nationaler Aktionsplan zur Bekämpfung des Problems umgesetzt werden, der wohl vor allem den Bau neuer Sozialwohnungen beinhalten wird.

Werena Rosenke von der BAGW sagt dazu: „Das wichtigste Ziel muss es sein, langfristig bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.“ Außerdem brauche es etwa eine Quotenregelung für Sozialwohnung, die nur an zuvor Wohnungslose vergeben werden sowie eine deutliche Verbesserung der Gesundheitsversorgung für diese Menschen. Zentral sei auch, Präventionsprogramme zu stärken, damit weniger Menschen überhaupt in die Wohnungslosigkeit rutschen.

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1 Kommentar

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  • Der Begriff 'Notunterkunft' führt ein wenig in die Irre: Es gibt Unterkünfte, die von Obdachlosen aufgesucht werden, besonders im Winter, da gibt es in Berlin, Hamburg, Köln und Frankfurt legendäre Stellen. Aber ein guter Teil der Wohnungslosen lebt in Übergangsunterkünften, manche sind eine große Familie haben Bad und Küche für sich, andere teilen sich das mit einer anderen Familie und anderen Menschen. Viele Unterkünfte sind im Bereich Asylbewerberleistungsgesetz oder einem anderen Gesetzeswerk, andere sind Öffentliche rechtliche Unterbringungen. Es gibt auch Wohnheime für ehemalige Gefängnisinsassen, Unterbringunge für Jungerwachsene. Insgesamt wird das von den einzelenen Kommunen und Städten ernsthaft betrieben, leider sind die Stadards oft unterschiedlich. Viele bieten Sozialberatung und Unterstüzung an. Es ist gut, dass die Bundespolitik dies besser erfasst und dass dazu mehr Zahlen vorliegen, ich hatte mir mal eine Statistik rausgesucht, die war aber deutlich niedriger, aber vielleicht bezog es sich nur auf 'Obdachtlose', die auf der Straße leben.



    Die Statistik sollte m.M. vor allem auch junge Menschen zwischen 18 und 21 erfassen, die Wohngruppen und 'Heime' verlassen. Ich sehe hier eine Aufgabe, dass dieser Übergang in eigenen Wohnraum besser gemacht wird. Jedenfalls gibt es ne Menge Geschichten, wie diese jungen Menschen ins Nichts stürzen.