Wohnungsbündnis des Senats: Giffey baut auf Papier
Einigung im Bündnis mit großen Wohnungsunternehmen: Mieter*innen erhalten Zugeständnisse, der Senat soll dafür Bauverfahren beschleunigen.
Kooperation statt Konfrontation war stets Giffeys Mantra. Ob die Regelungen dafür wirklich ausreichen, bezweifeln allerdings viele Expert*innen, schließlich handelt es sich um freiwillige Zugeständnisse der großen Immobilienfirmen. Und auch ob Berlin die im Gegenzug versprochenen Zugeständnisse schnell umsetzen kann – etwa deutlich beschleunigte Baugenehmigungen –, wird sich zeigen müssen.
Seit Januar hatte das Bündnis getagt, zuletzt am Mittwochmorgen. Neben Vertreter*innen von Senat und Bezirken gehören ihm die Verbände der Wohnungswirtschaft, große Wohnungsunternehmen wie Vonovia, sowie Verbände wie der DGB, der Paritätische Wohlfahrtsverband und der Berliner Mieterverein an. Eingebunden waren bei den Spitzengesprächen auch die beiden Stellvertreter*innen von Giffey, Bettina Jarasch (Grüne) und Klaus Lederer (Linke), nicht jedoch das Abgeordnetenhaus.
Weil es nicht um Gesetze geht, gelten die Regelungen auch nicht für alle rund 1,9 Millionen Wohnungen, sondern für lediglich jene insgesamt 900.000 Wohnungen, die entweder im Eigentum des Landes – etwa 340.000 – oder der am Bündnis beteiligten Wohnungsfirmen oder Genossenschaften sind.
Versprechen der Unternehmen
Letztere verpflichten sich auf eine Reihe von Zugeständnissen. Künftig soll die Hälfte im Rahmen der kooperativen Baulandentwicklung neu gebauten Wohnungen an Menschen vergeben werden, die Anspruch auf einen Wohnungsberechtigungsschein (WBS) 140 oder 180 haben. Erstere Gruppe mit den geringsten Einkommen umfasst rund 30 Prozent der Berliner*innen, die zweite etwa weitere 20 Prozent. Diese Menschen mit mittleren Einkommen spielten in der Wohnungspolitik bisher nur eine geringe Rolle, was Giffey nun ändern will. Die großen Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen verpflichten sich, 30 Prozent der freiwerdenden Wohnungen an Haushalte mit WBS-Anspruch zu vergeben. Auf Schufa-Auskünfte soll „möglichst“ verzichtet werden.
Auch Giffeys umstrittener Vorstoß, Erhöhungen der Nettokaltmieten – Nebenkosten sind ausgenommen – zu verhindern, wenn damit die Miete mehr als 30 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens ausmachen würde, findet sich in der Einigung. Sie gilt aber lediglich bei Mieterhöhungen, also nicht bei bereits überhöhten Bestandsmieten, und auch nur für Mieter*innen mit WBS-Anspruch. Profitieren könnten davon etwa die Hälfte der Mieter:innen von etwa 550.000 privaten Wohnungen, die das Bündnis vertritt: allerdings nur wenn sie selbst nachweisen, dass ihr Einkommen durch eine Erhöhung übermäßig belastet wird.
Bei den landeseigenen Wohnungen gilt bereits die Regel, dass die Miete nicht mehr als 30 Prozent des Haushaltseinkommens betragen darf. Bisher geht die Zahl der Anträge, sie zu senken, fast gegen null. Im Senat führt man das auch auf mangelnde Information der Mieter*innen zurück und will deswegen die teilweise Ausweitung auf die privaten Bestände mit einer Aufklärungskampagne begleiten.
Das ursprüngliche Ziel, einen freiwilligen Mietendeckel für die Dauer der Legislatur zu vereinbaren und Mieterhöhungen höchstens im Rahmen der Inflation von 1 oder 2 Prozent zuzulassen, kommt nun in stark abgeschwächter Form: Für WBS-Berechtigte sollen die Mieten bis Ende 2023 nur um 2 Prozent steigen. Zudem versprechen die am Bündnis beteiligten Unternehmen, ab 2023 Mieten nur noch um maximal 11 Prozent innerhalb von drei Jahren anzuheben. Die Senkung dieser Kappungsgrenze von derzeit 15 auf 11 Prozent ist auch ein Plan der Ampelkoalition auf Bundesebene.
Berlins Geschenke
Berlin will im Gegenzug den Immobilienfirmen entgegenkommen, indem Verwaltungsprozesse deutlich beschleunigt werden. So sollen Bebauungsplanverfahren innerhalb von drei Jahren abgeschlossen werden, bisher dauert es in der Regel mindestens doppelt so lange; die digitale Bauakte und ein digitaler WBS kommen, und weitere Flächen für Neubau sollen bereitgestellt werden. Für die Wohnungsbauförderung werde eine gemeinsame Arbeitsgruppe mit der Wohnungswirtschaft aufgestellt, heißt es in dem Papier.
Die Genossenschaften sollen vom Land Grundstücke in Erbpacht bekommen, um bestenfalls 5.000 neue Wohnungen bis zum Ende der Legislatur 2026 zu errichten; die Privaten sollen in dieser Zeit 60.000 Wohnungen errichten; die landeseigenen 35.000. Damit will Rot-Grün-Rot sein Ziel von rund 20.000 neuen Wohnungen pro Jahr erreichen. Zumindest in diesem Jahr geht aber selbst Bausenator Andreas Geisel (SPD) nicht davon aus, dass die Zielmarke zu erreichen ist.
Und auch bei anderen Regelungen stellt sich die Frage von Anspruch und Wirklichkeit. Im Detail strotzt die Vereinbarung von Ankündigungen und politischen Initiativen, ohne klar zu machen, ob diese finanziell untermauert sind oder ob dafür neue Stellen geschaffen werden.
Für Kritik dürfte sorgen, dass sich auch die Milieuschutzgebiete in der Vereinbarung wiederfinden, das letzte scharfe gesetzliche Schwert, das dem Land geblieben ist. Berlin könnte laut Papier hier „mögliche Erleichterungen“ für „sozialverträgliche energetische Maßnahmen“ zulassen; auch soll eine Arbeitsgruppe Milieuschutz zusammen mit der privaten Wohnungswirtschaft gebildet werden.
Kaum Handlungsspielraum
Im Vorfeld der letzten Verhandlungsrunde hatten Vertreter*innen der Koalition betont, dass angesichts der fehlenden gesetzlichen Möglichkeiten der Handlungsspielraum der Regierung gering sei und deswegen jede noch so kleine Möglichkeit genutzt werden müsse, den Berliner Wohnungsmarkt mit seiner Leerstandsquote von lediglich 0,9 Prozent zu entspannen.
Reden sei besser als Nichtreden, hieß es selbst von den Linken, wo allerdings ein guter Teil der Basis und die Wohnungsmarktexpert*innen der Fraktion der Vereinbarung kritisch gegenüberstehen. Die Linke konnte aber immerhin den Ausbau des Angebots von Wohnungen für Wohnungslose und Geflüchtete durchsetzen. Und Bettina Jarasch bilanzierte nach den Verhandlungen in einer Mail an die Grünen-Fraktion: „Diese Vereinbarungen genügen bei Weitem nicht, um den Wohnungsmarkt zu entspannen und dauerhaft für genug bezahlbaren Wohnraum zu sorgen. Aber sie sind ein echter Schritt in die richtige Richtung.“
Auch Gabriele Schlimper vom Paritätischen Wohlfahrtsverband ist nicht vollends zufrieden. „Aber die Ergebnisse sind zumindest unterhalb meiner Schmerzgrenze“. Es sei durchaus etwas Besonderes gewesen, dass die Wohlfahrtspflege mit am Tisch saß und Verbesserungen für Geringverdiener, Wohnungslose und soziale Träger mitverhandeln konnte. „Natürlich sind das nur Absichtserklärungen, aber viel besser als nichts“, so Schlimper.
Für nachhaltige Eingriffe in den Mietmarkt allerdings braucht es Regelungen auf Bundesebene. So könnte die Ampelregierung den Ländern die Kompetenz geben, eigene Mietendeckel zu beschließen und das Vorkaufsrecht der Kommunen für Häuser wieder einsetzen. All das wären weitaus klarere und wirksamere Mittel gegen Gentrifizierung als kleinteilige Vereinbarungen.
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