Wohnen auf dem Ex-Exerzierplatz: Maritim statt Marine

Viele Orte im Norden beklagen den Abzug der Bundeswehr. Dabei eröffnet der jede Menge Möglichkeiten, Neues zu wagen, wo über Jahrzehnte alles festgelegt schien. Zum Beispiel Luxuswohnungen auf einem alten Exerzierplatz in Kiel.

Hafenkino für gut Betuchte: Aus der zweiten Reihe der Fördeterrassen hat man den Durchblick. Bild: Krstiana Ludwig

KIEL taz | Der Rasen in Hans Leons Garten ist kurz geschnitten. Ein Hund liegt im Gras. Leon hält die Leine schon in der Hand, schaut über den Gartenzaun, und sagt: "Da fliegen zwei Schwäne auf."

Leon blickt auf die Kieler Förde, die bis in die Innenstadt ragt, hier aber noch breit und viel befahren ist. Hinten zieht ein Frachter durch das matte Blau des Wassers. Weiße Jollensegel schwingen am Ufer hin und her. "Vorige Woche ist ein Schweinswal bis an den Steg gekommen", sagt Leon. "Und wenn die riesigen Kreuzfahrtschiffe hier warten, hell erleuchtet, dann kann man die Leute tanzen sehen."

Vor sechs Wochen ist er eingezogen. Leon ist 55 Jahre alt, Unternehmer im Ruhestand, und hat sein Haus aufgegeben, um das Erdgeschoss im letzten freien Wohnquader in der "ersten Reihe" zu beziehen. Vor zwei Jahren wurden hier, in Kiel-Holtenau, fünf Mehrfamilienhäuser direkt ans Förde-Ufer gebaut - mit fünf Etagen und Quadratmeterpreisen zwischen 3.000 und 3.800 Euro. Je höher die Wohnungen liegen, desto teurer sind sie. Wegen der Aussicht.

Die "Fördeterrassen" stehen auf dem ehemaligen Exerzierplatz einer Kaserne. Als die Marine abrückte, entwickelte er sich zu einem "Sahnegrundstück", sagt der Vertriebsleiter der Appartements, Udo Schwarzburg. Ehemalige Militär-Areale in Stadtnähe seien begehrt. Seine Firma Imetas hat sich auf Wasserlagen spezialisiert.

Holtenaus Ufer sind lang: die Förde im Osten, der Nord-Ostsee-Kanal im Süden. Am Tiessenkai, wo wenige Meter von den Fördeterrassen entfernt beide Gewässer aufeinander treffen, reihen sich kleine, rote Backsteinhäuser aneinander.

Motorboote sind festgemacht und wiegen auf der schwappenden Förde auf und ab. Ein Knattern dringt von der Schleuse zum gewaltigen, über 200 Jahre alten Kanalpackhaus herüber, manchmal ein Klingeln. Ein Pärchen lässt ein Foto knipsen - im Hintergrund die türkis-graue Pickelhaube des alten Leuchtturms.

Vertriebsleiter Schwarzburg sagt, seine Kunden seien meist älter als 45, "Wasser affin" und "finanzkräftig". Sie, sagt Schwarzburg, dürften hier "Hafenkino" erleben: "Hier ist schon noch richtig Leben drumherum."

Tatsächlich: Der direkte Nachbar der Fördeterrassen ist der Tonnenhof, eine Art Parkplatz für Seezeichen außer Dienst. Dahinter liegt noch der Standort des Marinefliegergeschwaders 5. Es soll voraussichtlich 2012 ins niedersächsische Nordholz umziehen. Für dieses Gelände besteht zwar "ein nahezu flächendeckender Kontaminationsverdacht", schreibt die Stadt.

Dennoch könnte das Gelände, das Holtenau von Friedrichsort trennt, Wohngebiet werden. Es waren aber auch schon ein Badestrand, ein Flughafen, eine Therme, ein Casino, die Bundesgartenschau oder Schwerindustrie im Gespräch. Und zuletzt Offshore-Windanlagen, sagt Bürgermeister Peter Todeskino (Grüne). Entschieden ist noch nichts.

Im Wachhäuschen sitzt Karen Bauer. Alles ist frisch gestrichen, nur der Backstein draußen hat die alte Patina. Die Vertriebsassistentin sagt: "Wenn ein maritimer Stadtteil entsteht, das wäre wünschenswert."

Bisher weiß sie aber noch nicht einmal, was aus ihrem "Infopavillon" wird, wenn die zweite Reihe der Fördeterrassen verkauft ist. Die Häuser werden auf Lücke gebaut, für den Seeblick. "Vielleicht ein Pächter, der Brötchen und Zeitung verkauft", sagt sie.

Früher war hier alles "düster und schmuddelig", sagt ihr Chef Schwarzburg: "Das macht nicht gerade Appetit aufs Wohnen." Heute ist Hans Leon glücklich in seinem Appartement mit Erdwärme-Heizung. "Holtenau hat sehr viel Niveau", sagt er.

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